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in'side online 8/9'96 - Thema


Der gläserne Bürger

Das neue Telekommunikationsgesetz und seine Folgen

Von vielen unbemerkt hat Anfang Juli das neue Telekommunikationsgesetz alle parlamentarischen Hürden genommen. Erst langsam dämmert es Anwendern und Anbietern, welch weitreichende Folgen dieses Gesetz für die Online-Welt haben kann. Es drohen nicht nur Eingriffe in die Privatsphäre, sondern auch drastische Kostenerhöhungen.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde vor wenigen Wochen das neue Telekommunikationsgesetz verabschiedet. Nachdem 1998 das Monopol der deutschen Telekom fallen wird, war eine Neuregelung des Telekommunikationsmarktes notwendig geworden. Es bestand die Chance, mit dem neuen Gesetz die Bedürfnisse der entstehenden Informationsgesellschaft zu definieren und zu regeln. Ob dies nun tatsächlich gelungen ist, scheint aber zweifelhaft.

Mit dem neuen Paragraphen 87 wird staatlichen Sicherheitsinteressen der denkbar größte Spielraum eingeräumt. Alle Telekommunikationsanbieter, von kommerziellen Online-Diensten bis hin zu privaten Mailboxen, müssen demnach Dateien führen, aus denen Rufnummern, Namen und Anschriften der Kunden eindeutig hervorgehen. Auch Nummern, die nicht in den öffentlichen Verzeichnissen eingetragen sind, werden erfaßt. Diese Daten sind der sogenannten Regulierungsbehörde über eine dritte Schnittstelle zugänglich zu machen. Die Anbieter müssen dafür Technik und Software bereitstellen und gewährleisten, daß der Datenabruf unbemerkt vom Kunden stattfindet.

Die Regulierungsbehörde nimmt Abhöraufträge von Strafverfolgungsbehörden, Polizei, Zollfahndung und Geheimdiensten entgegen, schaltet sich mit den lokalen Datenbanken der Anbieter kurz, um dann die gewünschten Daten an den jeweiligen Antragsteller weiterzuleiten. Nicht einmal ein Gerichtsbeschluß ist hierfür notwendig.

Für Arne Börnsen, den Vorsitzenden des Ausschusses für Post und Telekommunikation, ist dies nichts Ungewöhliches. Auch bei dem im letzten Jahr verabschiedeten Fernmeldeanlagengesetz (FAG) "waren richterliche Anordnungen bei der Auskunft von Kundendaten nicht erforderlich, analog der Auskunft von Kfz-Halterdaten durch die Kreisverwaltungen an die Polizei". Doch den Politikern läßt sich der Paragraph 87 kaum in die Schuhe schieben. Eher sind es sogenannte Innenleute, also Beamte des Innenministeriums, die dafür gesorgt haben, daß den Fahndern in der veränderten Kommunikationslandschaft die Arbeit erleichtert wird. Zu peinlich war die Erinnerung an den "Handy-Lacher": Wochenlang hatte sich die Republik über Gefängnisinsassen amüsiert, die per Handy von der Zelle aus ihren kriminellen Geschäften nachgingen.

Schon lange reicht es für eine effektive Strafverfolgung nicht mehr aus, per Gerichtsbeschluß den Telefonanschluß eines Verdächtigen abzuhören. Mit dem privaten und geschäftlichen Anschluß, dem mobilen Telefon und den E-Mail-Adressen haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten vervielfacht. Gerade im Kampf gegen organisiertes Verbrechen sind die herkömmlichen Methoden antiquiert.

Nicht zuletzt die Diskussion um Nazipropaganda und Kinderschänder im Internet hat die zuständigen Stellen mit Argumenten für eine Überwachung des Netzes versorgt. In der Boulevardpresse erscheint das Internet als Eldorado für Gesetzlose und Bombenbauer. Jörg Tauss, der Internet-Experte der SPD, wendet sich gegen diese Vorstellungen: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Strafverfolgung kann stattfinden. Kinderpornographie ist beispielsweise in fast allen Ländern verboten. Wer über das Internet nationalsozialistische Propaganda verbreitet, kann in Deutschland vor Gericht gestellt werden." Auch Hansjürgen Garstka, Berliner Datenschutzbeauftragter, spricht sich gegen den ungehemmten Lauschangriff aus: "Wir haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf freien Informationsaustausch. Nur im Ausnahmefall darf die Polizei mithören. Wenn die Telekommunikationsstruktur so aussieht, daß die Polizei mitten drin sitzt, dann entstehen auf technischer Ebene mittelalterliche Strukturen".

Anbieter sind laut Gesetz selbst für die Technik und Installation der Abhöreinrichtungen verantwortlich. Dadurch werden ihnen erhebliche Mehrkosten entstehen. Betroffen sind nicht nur gewerbliche Betreiber wie die großen Online-Dienste, auch Firmen mit einem Intranet, Mailboxen oder Funknetze werden von der Regelung erfaßt. Wird das Gesetz ohne Ausnahmen durchgesetzt, so bedeutet das für kleine Anbieter das Ende. "Das Telekommunikationsgesetz schwebt wie ein Damoklesschwert über den Mailboxen", so Tauss. Aber auch die Großen der Branche haben bereits Beschwerde eingelegt: Mannesmann und E-Plus rechneten schon bei der Einführung der Fernmeldeüberwachungsverordnung im letzten Jahr mit Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe. Der Gang vor die Gerichte ist für alle Anbieter die einzige Hoffnung, daß sich an der Kostenübernahmepflicht noch etwas ändert.

Letztendlich wird jedoch der Kunde für die Mehraufwendungen aufkommen müssen. Dies wird durch die Regelung des sogenannten Universaldienstes bzw. der informationellen Grundversorgung noch verstärkt. Damit soll jedermann unabhängig von seinem Wohnort einen erschwinglichen Zugang zu den Telekommunikationssystem haben. Während in den USA die Telefongesellschaften dabei an eine Ausweitung des Prinzip des Universal Services auf neue multimediale Dienste denken, wird in Deutschland der Universaldienst durch das Telekommunikationsgesetz auf den einfachen Telefondienst beschränkt. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß Online-Anwender auf dem Land künftig eine wesentliche Verteuerung ihrer Internet-Anbindung in Kauf nehmen oder ganz darauf verzichten müssen. Anbieter wie etwa CompuServe werden durch diese Regelung sicher nicht dazu bewegt, auch außerhalb der Großstädte Einwahlknoten einzurichten.

Die Geschichte des neuen Gesetzes ist übrigens schnell erzählt: Nach der Verabschiedung der ersten Version durch den Bundestag am 13. Juni führte Kritik am Universaldienst und dem Wegerecht der Kommunen am 14. Juni im Bundesrat zunächst zur Ablehnung. Am 26. Juni einigte man sich dann im Vermittlungsausschuß von Bund und Ländern auf einen Kompromiß, der der ursprünglichen Vorlage in wesentlichen Punkten entspricht. So wurde am Universaldienst und am Paragraphen 87 nichts geändert. Die vom Vermittlungsausschuß gebilligte Version passierte den Bundestag und schließlich auch den Bundesrat.

Obgleich das neue TK-Gesetz beschlossen und verkündet ist, bleibt der demokratische Prozeß in seinem Umfeld nicht stehen. Wie Jürgen Tauss uns gegenüber betonte, sei es wichtig, vor allem diejenigen Abgeordneten anzusprechen, die nicht wie er ständig im Internet präsent seien. Seit Mitte Juli berät eine Enquete-Kommision, die aus Bundestagsabgeordneten und Sachverständigen besteht, über ein künftiges Multimediagesetz. Hier ist noch einiges zur Meinungsbildung beizutragen. Es empfiehlt sich, mit Fragen und Anliegen direkt an die Kommissionsmitglieder heranzutreten und eine E-Mail an den elektronischen Briefkasten des Bundestags zu schicken. Eine Liste mit E-Mail-Adressen und den jeweiligen Tätigkeitsbereichen der Abgeordneten finden Sie bei der FU Berlin.

"Abhörsicherheit" für Ihre privaten E-Mails können Sie derzeit noch durch Kryptographie erreichen. Mit dem Verschlüsselungsprogramm PGP, das jedem im Internet zum kostenlosen Download zur Verfügung steht, lassen sich E-Mail-Messages und beliebige Dateien für Unbefugte unleserlich machen. Außerdem lassen sich Daten durch steganographische Methoden (siehe in'side online 6-7/96, S. 86) vor der Übertragung in Bild- oder Sounddateien verstecken. Auch über das Internet geführte Telefongespräche können verschlüsselt werden - hierzu dient eine PGP-Variante. Der Anonymizer schließlich kann ein weitergehendes Ausspähen von Verbindungsdaten verhindern.


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Letzte Änderung am 23 Jul 1996.
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