09/96 – CD-Magazin
And now for something completely
different
LavaMind ist eine winzige US-Spielfirma, die vor der
Veröffentlichung ihres ersten Spiels, Gazillionaire,
nicht nur hierzulande völlig unbekannt war. Vor allem die
Shareversion fand viele Freunde, denn der deutsche Vertrieb der
Vollversion durch Spectrum Holobyte/Microprose kam nie so richtig
ins Laufen. Mittlerweile gibt es einen zweiten Titel, ZAPITALISM,
der ebenso wie der Erstling eine minimalistische Spielidee
wunderhübsch in Szene setzt. Unser Korrespondent Derek dela
Fuente sprach mit Steve Hofmann, einer Hälfte des
LavaMind-Teams.
Steve Hofmann: Zapitalism ist
eine Liebhaberarbeit. Als völlig unabhängige Produktion
wurde es komplett von den Entwicklern selbst finanziert. Wir
haben zwar nicht die Mittel, die anderen Firmen zur
Verfügung stehen, aber dafür versuchen wir, dieses
Handicap mit einer besonderen Aufmachung des Spiels zu
kompensieren. An "Zap" arbeiten wir schon seit zwei
Jahren, und es gibt bereits einen kleinen Kult rund ums Game und
Leute, die es jeden Tag spielen.
Was die Vermarktung angeht, haben wir uns etwas
Ungewöhnliches ausgedacht. Erst kurz vor Weihnachten soll
Zapitalism in die Läden kommen. In der Zwischenzeit arbeiten
wir an einer Art Guerilla-Kampagne und machen von den
Möglichkeiten des Internet Gebrauch, um unser Game zu
verbreiten. Außerdem verhandeln wir mit Vertriebspartnern
in Deutschland, Japan, Korea und Israel. Wir versuchen, mit
unseren bescheidenen Mitteln das Beste herauszuholen. Das
schließt Cross-Promotion, Werbung im Netz, Wettbewerbe und
ähnliche Dinge ein.
Außerdem haben wir eine sichere Methode gefunden, um
Bestellungen per Kreditkarte direkt über das Netz
entgegenzunehmen. Ob unsere Kunden in Milwaukee oder Marokko
leben, spielt keine Rolle: Sie können einfach auf einem
unserer Sites vorbeischauen, ihre Bestellung aufgeben, und
innerhalb von 24 Stunden schicken wir ihnen das Spiel. Wir finden
das ganze sehr, sehr spannend, weil wir auf diese Weise in den
direkten Wettbewerb mit den ganz Großen im Geschäft
eintreten können. Was uns im Vergleich zu denen an
Ressourcen fehlt, hoffen wir, mit unserer Begeisterung für
die Sache wettzumachen.
Wie viele Leute arbeiten denn
bei LavaMind, und seid ihr eigentlich eine Vollzeit-Firma?
Sind wir! (Steve grinst.)
Tatsächlich ist das alles, was wir machen: Tag und Nacht
arbeiten! LavaMind sind lediglich zwei Leute, Steven Hofmann und
Naomi Kokubo. Unser umfangreicher Website läßt uns
zwar viel größer erscheinen, aber im Prinzip war's
das. Es gibt noch ein bißchen Hilfe in Sachen technischer
Unterstützung, aber Spieldesign und Produktion erledigen nur
wir beide.
Wir haben LavaMind im Januar 1994 gegründet, und der
Firmensitz befindet sich in San Francisco. Bisher haben wir alle
unsere Projekte selbst finanzieren können. Die Firma hat
zwei feste Prinzipien: 1. Sie produziert Titel, die auf
vollständig eigenen Ideen basieren; 2. Sie verzichtet auf
jede Art von Finanzierung von dritter Seite und nimmt lieber
entsprechende Einschränkungen bei der Umsetzung der Ideen
hin. Unser Ziel ist es, alternative Unterhaltung mit
einzigartigen Charakteren, Stories, Design und Gameplay zu
bieten. Auf lange Sicht hoffen wir, uns dadurch einen Namen zu
machen, der für das Besondere steht und für die hohe
Qualität unserer Produkte.
In Europa hat Gazillionaire
es kaum über den Status eines kleinen Geheimtips hinaus
geschafft. Wie war das Echo in den Vereinigten Staaten?
Spectrum Holobyte, unser
Vertriebspartner für Gazillionaire, hat in den Staaten
über 60.000 Exemplare im ersten Jahr verkauft. Ein paar
tausend Exemplare vielleicht gingen nach England, und das war's
im Grunde. Uns fehlte die Kontrolle über den Vertrieb.
Eure Spiele sind ja, ohne sie
negativ zu kritisieren, ein bißchen verrückt. Man
sieht hier und da und überall, daß Ihr den Humor
à la Monty Python schätzt. Glaubt ihr, daß
diese Art von Spielen genug Potential hat, um die Firma über
Wasser zu halten.
Zunächst einmal vielen Dank:
"Verrückt" empfinden wir als Lob! Wir mögen
die Spiele, die wir machen, und denken bei der Arbeit im Grunde
nie an den kommerziellen Erfolg. Erst wird das Spiel
fertiggestellt, dann denken wir darüber nach, wie wir es
verkaufen. Unserer Meinung nach sollte nicht das Marketing die
Gestaltung eines Produkts diktieren. Wir gefallen uns in der
Rolle, um des Gestaltens willen zu gestalten. Ob uns das in
kommerzieller Hinsicht eher schadet oder eher nützt,
können wir gar nicht sagen.
Erzähle uns doch noch
mal ein wenig über Zapitalism.
Ein ausgefeiltes Strategie-Adventure
mit ungewöhnlicher 3D-Grafik und einer gehörigen
Portion Humor. Es geht darum, in der Phantasiewelt Mermadan ein
Handelsimperium aufzubauen und dabei jede Menge Kohle zu machen.
Man erforscht die Inselwelt des Planeten, sucht nach
Schätzen und magischen Gegenständen, trifft alle
möglichen Charaktere wie seltsame Mönche, Piraten und
Räuber, treibt sich an der Warenbörse herum, versucht,
die Mitbewerber zu unterbieten, kauft und verkauft Aktien. Man
spielt gegen bis zu fünf Computergegner oder menschliche
Kontrahenten, und sogar Partien im Internet sind möglich.
Die Software läuft unter Windows 3.1 oder Windows 95, und
das Game wird weltweit auf CD-ROM vertrieben.
Der größte Teil des Spiels
wird von der Hauptinsel Zapinalia aus abgewickelt. Die
Königin Keshi Keshi, die den Planeten regiert, hat nach
Tausenden von Jahren der Isolation beschlossen, den Markt
für fremde Anbieter zu öffnen. Es gilt, jede Menge
Zables (die lokale Währung) zu machen, indem man alle
möglichen Waren einkauft und wieder an den Mann bringt. Mit
dem Profit wächst allmählich die Firma. Aber
aufgepaßt! Die Mitbewerber sind echte Haie, selbst wenn man
nur gegen die Computergegner spielt. Wer geschickt operiert,
gewinnt! Wenn nicht, dann wird es Zeit, sich einen neuen Job zu
suchen. Und der erste, der mehr als 100 Millionen Zables auf der
hohen Kante hat, ist der Sieger.
Schon vorhin hast du ein
paarmal euren Website im Internet erwähnt. Was hat es damit
auf sich, zum Beispiel mit dem "virtuellen
Haustierfriedhof"?
Das Besondere am Virtual Pet Cemetery
(VPC) ist, daß er jede Menge Leidenschaften weckt. Es ist
ziemlich selten, daß ein Internet-Site die Gefühle
anspricht, aber wir bekommen laufend ausführliche
Dankesbriefe von Leuten, die sehr froh darüber sind, eine
Adresse gefunden zu haben, unter der sie sich wirklich offenbaren
können.
Wie schon der Name ahnen
läßt, ist der VPC ein Platz für Leute, die ihre
Haustiere als Familienmitglieder betrachten und ein Forum suchen,
um mit Gleichgesinnten zu kommunizieren. Genau aus diesem Grunde
haben wir den VPC eingerichtet. In der wahrscheinlich ersten
virtuellen Ruhestätte der Welt kannst du sozusagen eine
bleibende Erinnerung an deine treuen tierischen Gefährten
einrichten.
Wenn wir die Beiträge lesen, haben wir jedesmal das
Gefühl, die Leute zu kennen, die dort schreiben. Irgendwie
hat der VPC die Eigenschaft, eine Menge über das Innerste
der Leute hinter den Beiträgen zu verraten.
Zum Beispiel haben wir herausgefunden, daß die meisten
Menschen dafür sind, unheilbar kranke Tiere
einschläfern zu lassen – gerade weil sie sie besonders
lieben und die Tiere nicht qualvoll sterben sollen.
Unglücklicherweise ist unsere Gesellschaft zu Menschen nicht
so nett.
Indem der VPC ständig wächst, wird er mehr als nur ein
Friedhof. Ich sehe ihn eher als Sammlung von Kurzgeschichten
über echte menschliche Probleme, kulturelle Perspektiven,
Beziehungen und Gefühle. Mit dem Tod ist das eine seltsame
Sache: Die meisten sprechen darüber nicht einmal mit ihren
Freunden oder ihrer Familie. Beim VPC ist das etwas anders: Dort
können viele auf einmal über Ängste und
Todesgedanken sprechen.
Wir haben uns immer für Philosphie und Existentialismus
interessiert, und die Geschichten im VPC faszinieren uns. Sie
vermitteln echte Gefühle von Leuten, die mit einem Verlust
fertigwerden müssen – jedenfalls sehen wir das so.
Andere mögen anders darüber denken, wenn sie den VPC
besuchen.
Eure Spiele sind
äußerst minimalistisch, das ist Absicht, oder?
Als Zwei-Personen-Unternehmen
müssen wir Grenzen akzeptieren. Andernfalls würden wir
niemals ein Spiel fertigstellen. Jede einzelne Grafik
beschäftigt uns ungefähr einen Tag lang. Außerdem
erledigen wir die Programmierung zu 100 Prozent, genau wie die
Soundgestaltung, die Stories, das Marketing, die Websites sowie
Geschirrspülen und Wäschewaschen (Grinst). Genau
deshalb konzentrieren wir uns auf den Kern einer Spielidee. Wir
glauben, es ist die Qualität der Künstlichen
Intelligenz, die unsere Spiele so ansprechend macht. Wenn Leute
ein anspruchsvolles Strategiespiel mit Simulations- und
Fantasy-Elementen schätzen und darüber hinaus auf
unseren etwas abgefahrenen Humor stehen, dann werden ihnen
bestimmt auch unsere Games gefallen.
Wie siehst du die Entwicklung
von Gazillionaire zu Zapitalism?
Die grundlegenden Ideen sind
ähnlich, aber Zapitalism spielt sich anders als
Gazillionaire. Ich würde sagen, es spielt sich besser. Und
es bietet grafisch erheblich mehr. Das waren auch unsere Ziele.
Wir wollten ein Spiel, das einfach zu beherrschen ist. Eine ganze
Menge Studenten investieren eine Menge Zeit, und zusammen testen
wir das Spiel ausgiebig. Aufgrund des Feedbacks können wir
immer wieder das eine oder andere verbessern.
Wird das eure Richtung
bleiben – Strategie und minimalistische Umsetzung?
Wir mögen Strategie und
Managementsimulationen sehr und lieben Spiele, die Spieler
wirklich herausfordern. Außerdem möchte sich Naomi
lieber auf konstruktive Spiele konzentrieren – im Gegensatz
etwa zu Kriegsspielen. Das sind einfach persönliche
Vorlieben.
Spectrum Holobyte/Microprose
waren eure Vertriebspartner für Gazillionaire. (Ich habe nie
ein Exemplar bekommen!) Wen sucht ihr für Zapitalism aus?
Spectrum/Microprose haben das Spiel in
Europa überhaupt nicht vertrieben, und du bist deshalb nicht
der einzige, der es gar nicht zu sehen bekam. (Anm. der Red.:
Aufgrund der damals schon großen Verbreitung der
Shareversion sah man seitens der Firma keine vernünftige
Basis für einen Vertriebserfolg auf dem
"kommerziellen" Wege in Europa.) Für
"Zap" und "Gaz Deluxe" (Fortsetzung von
Gazillionaire) verhandeln wir mit einem anderen Distributor, aber
noch gibt es keinen Vertrag. Wenn er zustande kommt, wird das
unser Vertriebskanal, und sonst bleiben wir weiter beim Angebot
über das Internet.
Wie entwickelt ihr eure
Ideen? Und was haltet ihr von der Spieleszene im allgemeinen?
Schwere Frage! Es gibt da keine
einzelne Quelle, aus der wir Ideen beziehen. Normalerweise stammt
die erste Inspiration aus unserem etwas seltsamen Freundeskreis
und unserer eigenen Art zu leben. Wir sind ziemlich isoliert,
leben wie Einsiedler und wissen wenig darüber, was gerade
"hip" ist oder außerhalb unserer kleinen Welt
passiert.
Und was passiert nach
Zapitalism?
![](stevehof.jpg)
Gazillionaire
Deluxe wird unser nächstes großes Projekt. Die Arbeit
daran läuft bereits. In der Fortsetzung gibt es doppelt so
viele Planeten, doppelt so viele Schiffstypen, doppelt so viele
Nachrichten und Wetterkarten, doppelt so viele Spezialereignisse,
sieben neue Warenbörsen, Play-by-E-Mail-Funktionalität
und ... – nein, warte, ich glaub', das war's!
![](lavamind.jpg)
LavaMind-Websites:
Games & Entertainment, Firmennachrichten: http://www.lavamind.com;
alles über Zapitalism: http://www.zapitalism.com;
alles über Gazillionaire: http://www.gazillionaire.com;
die Galerie der Vulkane: http://www.lavamind.com/volcanic.html;
Virtual Pet Cemetary – der virtuelle
Haustierfriedhof: http://www.lavamind.com/pet.html;
Utterly Outrageous Recipes – ausgesprochen
ungeheuerliche Rezepte: http://www.lavamind.com/food.html;
Wettbewerbe: http://www.gazillionaire.com/contest.html