Schrot & Korn 8/96
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Rohstoffe vom Acker
Klima und Umwelt schonen, fossile Brennstoffe sparen, neue Absatzmärkte
und Verdienstmöglichkeiten für die Bauern erschließen, Arbeitsplätze
auf dem Land schaffen - das alles können nachwachsende Rohstoffe
nach Meinung der Bundesregierung leisten. Keine Wundermittel, aber allemal
Hoffnungsträger für die Land- und Forstwirtschaft und für
die arg gebeutelte Umwelt gleich mit. Doch das saubere Image der Rohstoffe
vom Acker hat ein paar Schönheitsfehler, bremsen Umweltschützer
die Euphorie.
Wenn im Frühsommer die Rapsfelder blühen, freut sich das Auge.
Strahlendes Gelb so weit der Blick reicht. Mit anderen Worten: Monokultur
und das in Intensivform, wettern Umweltschützer gegen die enorm gewachsene
Anbaufläche für Non-Food-Raps, den Raps für die industrielle
oder energetische Nutzung.
Tatsächlich wächst nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer
Landbau (AGÖL) nur ein verschwindend geringer Anteil des Rapses kontrolliert
biologisch. Der große Rest gedeiht auf konventionelle Weise zumeist
auf stillgelegten Feldern: Waren es 1993 noch rund 62.000 Hektar, die so
bestellt wurden, hatte sich binnen zweier Jahre die Fläche schon mehr
als verfünffacht. Damit ist Raps die Nummer eins unter den nachwachsenden
Rohstoffen.
Überschuß: Dank Raps kann die Gülle aufs Feld
Ein wichtiger Grund für diesen Zuwachs ist nach Einschätzung der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe Nachwachsende Rohstoffe die "Möglichkeit
der Gülleausbringung auf diesen Feldern". Der Rapsanbau hilft
den Bauern aus der Zwickmühle, entweder ihre Gülle außerbetrieblich
zu entsorgen oder den Viehbestand zu reduzieren und damit Einkommensverluste
hinnehmen zu müssen. Rein finanziell lohnt sich der Rapsanbau bislang
kaum: Die Preise sind so niedrig, daß die Kosten gerade gedeckt werden.
Nachwachsende Rohstoffe auf stillgelegten Flächen anzubauen, ist den
Landwirten seit dem Wirtschaftsjahr 1992/93 erlaubt - und zwar ohne
die Stillegungs-Prämie in Höhe von durchschnittlich 750 Mark pro
Hektar einzubüßen. Die Stillegung - eingeführt, um
die immense Überschußproduktion der Landwirtschaft im Nahrungsmittelsektor
einzudämmen - habe sich so in ein "Instrument zur Subventionierung
des Anbaus von NR (nachwachsenden Rohstoffen, Anm. d. Red.) gewandelt",
resümiert Dr. Otmar Schmitz-Schlang, Autor der Studie "Nachwachsende
Rohstoffe - Chancen und Risiken" des Naturschutzbundes Deutschland
(NABU). Die Stillegungs-Politik habe außerdem die Extensivierung des
Landbaus auf den verbleibenden Äckern und Feldern behindert. Auf immer
weniger Fläche erwirtschaften die Bauern immer mehr an Ertrag.
Klima: Auch Biorohstoffe heizen die Atmosphäre auf
Eines der Hauptargumente für die Förderung nachwachsender Rohstoffe
lautet Klimaschutz: Der Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) - mitverantwortlich
für die Erwärmung der Erdatmosphäre - könne durch
die verstärkte Nutzung der Rohstoffe vom Acker reduziert werden. Anders
als bei der Verbrennung fossiler Energiequellen wie zum Beispiel Erdöl
wird bei nachwachsenden Rohstoffen nämlich nur soviel CO2 frei, wie
die Pflanze zuvor aus Luft und Boden aufgenommen und gebunden hat. Doch
der CO2-Kreislauf ist nur scheinbar geschlossen: Denn Anbau und Weiterverarbeitung
der Biorohstoffe verschlingen ebenfalls Energie und setzen CO2 frei.
Ein großer Teil der Rapsernte wird derzeit noch für die Herstellung
von zwei sogenannten Flüssigbrennstoffen genutzt: Rapsöl ("Naturdiesel")
und Rapsmethylester ("Biodiesel" oder kurz "RME"). Dabei
verdienen Ölmühlen, Raffinerien und Umesterungsanlagen nicht schlecht.
Die Biokraftstoffe sind von der Mineralölsteuer befreit - neben
der Stillegungs-Prämie quasi eine zweite staatliche Subventionierung.
Das Bundes-Landwirtschaftsministerium hält nach wie vor an der Förderung
des Non-Food-Rapses fest - trotz zum Teil massiver Einwände. Dabei
zählen nicht nur Umweltschutzorganisationen wie NABU und Bund für
Umwelt und Naturschutz (BUND) zu den Kritikern, sondern auch staatliche
Stellen. Das Berliner Umweltbundesamt (UBA) erstellte 1993 eine Ökobilanz
zu Natur- und Biodiesel, die unter dem Strich negativ ausfiel.
Die Autoren kamen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß die Biokraftstoffe
zwar besser biologisch abbaubar seien als Dieselkraftstoff. Gleichzeitig
belaste der (konventionelle) Rapsanbau jedoch Boden und Grundwasser in erheblichem
Maße. Für einen marktrelevanten Rapsanbau wären außerdem
beträchtliche Flächen erforderlich - sehr zum Nachteil des
Biotop- und Artenschutzes. Wird RME statt Diesel getankt, kann der CO2-Ausstoß
zwar gesenkt werden. Dieses Plus des Biokraftstoffs wird in den Augen der
Wissenschaftler vom UBA jedoch zu teuer erkauft: "Die Minderungskosten
für eine Tonne CO2 ...liegen zwischen 1.400 und 2.500 DM/ t CO2 und
sind damit gegenüber fahrzeugtechnischen Verbesserungen deutlich ungünstiger."
Streit: Agrarressorts
ignorieren Ökobilanz
Von diesen Einwänden wollen die Vertreter der Agrarressorts des Bundes
und der Länder nichts wissen. Die UBA-Ökobilanz weise "schwerwiegende
fachliche Mängel" auf, beziehe sich auf eine ungeeignete Vergleichsbasis,
arbeite mit überholten Daten und sei vom "methodischen Ansatz
... fehlerhaft". Kurzum: Für die Beurteilung der Förderungswürdigkeit
von Raps seien die UBA-Resultate "irrelevant". Trotz dieses scharfen
Tons wird eingeräumt, daß RME beispielsweise beim Stickoxid-
und Aldehyd-Ausstoß schlechter abschneide als herkömmlicher Diesel
und daß der Rapsanbau "regional in Konkurrenz zum Flächenbedarf
für Naturschutz stehen" könne.
Andere Untersuchungen zu Biodiesel - wie die der Abteilung Angewandte
Systemanalyse (AFAS) des Kernforschungszentrums Karlsruhe aus dem Jahr 1993
- stützen jedoch die Ergebnisse des UBA in bezug auf das ausgewiesene
geringe CO2-Einsparpotential. Der NABU rechnet vor, daß mit ökologischer
Landwirtschaft eine Tonne CO2 wesentlich preisgünstiger eingespart
werden kann: nämlich zu einem Viertel der Kosten, die bei der Verwendung
von RME anfallen, um denselben Effekt zu erzielen.
Es gibt jedoch durchaus Bereiche, in denen Rapskraftstoffe sinnvoll eingesetzt
werden können: Aufgrund ihrer guten biologischen Abbaubarkeit empfiehlt
das UBA ihre Verwendung in ökologisch sensiblen Gebieten, beispielsweise
in der Nähe von Trinkwassertalsperren.
Aus demselben Grund können auch Schmierstoffe, Schal- und Hydrauliköle
aus Rapsöl die Umwelt deutlich entlasten. Überall, wo Kettensägen
und Baufahrzeuge am Werk sind, Betonbauten entstehen, Schienenstränge
entlanglaufen und Weichen gestellt werden, gelangt ein bestimmter Anteil
an Schmiere als "Verlustöl" in den Boden und in die Gewässer.
Rapsöl kann dort rasch wieder abgebaut werden und belastet dadurch
die Ökosysteme deutlich weniger als Produkte auf Mineralölbasis.
Die Deutsche Bahn AG testet das Bio-Öl nun auf ihren Strecken. Bei
den Sägeketten-Schmiermitteln hat sich die pflanzliche Alternative
- trotz des höheren Preises - bereits durchsetzen können:
Der Marktanteil liegt bei 75 Prozent.
Die Beurteilung, ob Anbau und Einsatz eines nachwachsenden Rohstoffes sinnvoll
sind, ist also keine einfache Sache. Viele Faktoren - und viele Interessen
- müssen gegeneinander abgewogen werden. Bioethanol beispielsweise
hat sich als Sackgasse erwiesen: allein ein schlechter Treibstoff, als Gemisch
birgt es die Gefahr, Formaldehyd abzugeben. Von seiner Förderung sind
die Landwirtschaftsministerien mittlerweile wieder abgerückt. In Niedersachsen
wurde eine millionenteure Forschungsanlage stillgelegt: unrentabel.
Einweg: Verpackungen aus Stärke sind kompostierbar
Auch bei Verpackungen fällt die Antwort nicht eindeutig aus: Bio-Kunststoffe
aus Stärke sind zwar kompostierbar. Einige der Materialien aus nachwachsenden
Rohstoffen treiben jedoch auf Deponien die Ausgasung von Methan in die Höhe
- wie CO2 ein klimaschädigendes Gas.
Chinaschilf (auch Elefantengras oder Miscanthus) galt bis vor wenigen Jahren
als großer Hoffnungsträger unter den Energielieferanten vom Feld.
Auch Fernsehjournalist Franz Alt machte sich für das exotische Riesenschilfgras
stark. Als C4-Pflanze hat es einen effizienteren Stoffwechsel als die hierzulande
heimischen C3-Pflanzen. Es bindet schneller - auch nachtsüber
- eine größere Anzahl von Kohlenstoff-Atomen (chemisch "C"),
seine Stengel werden dicker, verholzen schneller. So wird Miscanthus zu
einer wahren "Energiebombe" und das, ohne besondere Ansprüche
an das Wasser- und Nährstoffangebot zu stellen. Ein idealer Brennstoff
und ein idealer nachwachsender Rohstoff, könnte man meinen - wenn
die niedrigen Temperaturen in unseren Breiten dem Chinaschilf nicht so zu
schaffen machen würden. Seine mangelnde Winterfestigkeit hat die hochgeschraubten
Hoffnungen enttäuscht: Vielerorts sind die Pflanzen auf den Äckern
erfroren.
Dennoch: Die Festbrennstoffe vom Feld bekommen insgesamt bessere Noten als
die flüssigen Biokraftstoffe. Sie werden überwiegend extensiv
gewonnen - ein großes Umwelt-Plus. Was in Skandinavien und Österreich
schon jahrelang erforscht und erfolgreich praktiziert wird, ist nun auch
in Deutschland im Kommen. Restholz aus der Forstwirtschaft, Plantagenholz
und Stroh aus dem Getreideanbau liefern in Biomasse-Kraftwerken Wärme
und Strom. Während das erste große Stroh-Heizkraftwerk im thüringischen
Schkölen die öffentlichen Etats noch schwer belastete, scheinen
in Bayern neuerrichtete Biomasse-Heizwerke nach einer Anschubfinanzierung
ohne Subventionen auszukommen.
Nachdem Mitte April die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
perfekt war, hat nun auch eine andere Nutzpflanze in Deutschland wieder
eine Chance: der Hanf (Cannabis sativa). Zugelassen sind nur THC (Tetrahydrocannabinol)-arme
Sorten, also Cannabis mit geringen Mengen des "high"-machenden
Wirkstoffs. Die einjährige Pflanze gilt als widerstandsfähig,
verbessert die Bodengesundheit und kann die Fruchtfolge bereichern. Sie
eignet sich daher auch für den biologischen Anbau sehr gut.
Berauschend: Hanf kann vielfältig eingesetzt werden
Hanf zählt zu den besonders vielfältigen Rohstoffen. Im saarländischen
Bliestal beispielsweise gedeihen nun auf einem Feld die 14 Jahre lang verbotenen
Pflanzen; sie sollen später als Biomasse Strom erzeugen. Beim Biokreis
Ostbayern e. V., einem der Verbände für kontrolliert biologische
Landwirtschaft, gibt es eine 30 Hektar große Anpflanzung, um Öl
und Hanffasern zu gewinnen.
Viele der ursprünglich für Flachs (Faserlein) entwickelten Verfahren
und Produkte können auf Cannabis übertragen werden, zum Beispiel
im Bereich von Bau- und Dämmstoffen, Formteilen und Verbundwerkstoffen
(siehe auch Kasten "Für Häuslebauer", Seite 32). Derzeit
sind der Anbau und die Verarbeitung von Hanf jedoch noch auf staatliche
Subventionen angewiesen: Aus den EU-Kassen gibt es nach Auskunft der Fachagentur
Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Gülzow rund 1.500 Mark pro Hektar.
Klar ist, daß mit nachwachsenden Rohstoffen die anstehenden Energieversorgungs-
und Klimaprobleme nicht gelöst werden können. Die Industrienationen
werden nicht drumherum kommen, ihren immensen Energie- und Ressourcenverbrauch
drastisch zu senken anstatt ihn lediglich aus anderer Quelle decken zu wollen
- und sei es vom Acker.
Christiane Schmitt
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