Schrot & Korn 11/96
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Grappa & Co.
Tresterbrand - viel edler als sein Ruf
Daß jeder Papa seinen Grappa in der Tasch' hat, wissen wir
spätestens seit den Rodgau Monotones. Italienische Schnäpse gehören
in vielen deutschen Restaurants schon lange zum guten Ton. Meist schweifen
Genießer in die Ferne, obwohl doch das Gute so nahe liegt. Heimische
Tresterbrände halten jedem Vergleich locker stand. Nur beim Endverbraucher
kam diese Botschaft bisher noch nicht an.
Feinschmecker schwärmen von italienischem Grappa oder französischem
Marc, aber wer macht schon viel Aufhebens von Tresterbrand? Auf der Sympathieskala
vieler Schnapsfreunde rangiert der deutsche Digestif noch immer weit hinter
der ausländischen Konkurenz. Völlig zu Unrecht, denn außer
den modisch klingenden Namen haben ihm die beiden anderen rein gar nichts
voraus. Die Rohstoffe sind die gleichen, auch bei der Verarbeitung gibt
es kaum Unterschiede. Einheimischer Tresterbrand ist entschieden besser
als sein Ruf.
Nur das "Herzstück" sorgt für echten Trinkgenuß
Bei der Weinherstellung bleiben nach dem Abpressen der Trauben Beerenhäute,
Kerne und ein paar Stiele zurück. Diese mäßig feuchte Masse,
den Trester, haben die Winzer früher als Dünger in ihren Weinberg
gekarrt oder zu einfachen Hausbränden verarbeitet, die sie nach Feierabend
genossen. Erst als die Italiener erkannten, daß auch verwöhntere
Gaumen an dem Getränk Gefallen finden, traten Grappa & Co. den
Siegeszug an. Ob Riesling, Spätburgunder oder Gewürztraminer,
Tresterbrand läßt sich aus jeder Traubensorte gewinnen. Wichtig
ist, daß die Reste schnell verarbeitet werden, um den frischen Traubengeschmack
zu bewahren. Nach mehrtägigem Liegen entwickelt sich ein störender
Muffton. Der Trester wird in großen Bottichen eingestampft und mit
Wasser übergossen, so daß er aufquillt und zu gären beginnt.
Wie lange dieser Prozeß dauern soll, ist nicht verbindlich festzulegen.
Kenner sprechen von maximal drei Monaten, weil sich sonst Bitterstoffe entwickeln,
die das Geschmackserlebnis trüben. Im Brennkessel wird die Maische
anschließend nochmals mit etwas Wasser verdünnt, damit die Aromen
freiwerden und nichts anbrennt. Gute Qualitäten erhält man nur,
wenn man die verschiedenen Phasen des Brennprozesses sauber trennt. Im Vorlauf
bilden sich Fuselöle und andere flüchtige Stoffe, der Alkoholgehalt
liegt anfangs bei rund 80 Prozent. Diese Flüssigkeit taugt nicht zum
Trinken, sondern wandert zur Weiterverwertung in die Industrie. Im Mittellauf,
dem sogenannten "Herzstück", wird der eigentliche Tresterschnaps
gebrannt. Jetzt sinkt der Alkoholanteil merklich. Der noch alkoholärmere
Nachlauf (20 bis 25 Prozent) ist oft schmierig-seifig und darf nicht ins
Endprodukt gelangen. Trotzdem kippen ihn einige Billiganbieter wegen der
höheren Ausbeute in den nächsten Brand.
Während des Brennvorgangs ist die Brennblase von einem Wasserbad umgeben,
das die Maische vor unliebsamen Temperaturschwankungen schützt. Sie
darf auf keinen Fall kochen, damit nicht zuviel Wasser verdampft. Schon
bei 90 Grad wird der Alkohol flüchtig. Wegen der gleichmäßigeren
Erwärmung heizt man nicht mit Holz, sondern in der Regel mit Öl.
Heiner Renn: Eine Lanze für deutschen Tresterbrand
Weil ein wohlschmeckender Tresterbrand nicht viel mehr als 40 Prozent haben
sollte, wird er im Alkoholgehalt auf Trinkstärke heruntergesetzt. Dazu
nimmt man demineralisiertes, das heißt entkalktes Wasser, das besonders
weich ist und für einen angenehmen Geschmack sorgt. Der kann auch durch
schwebende Eiweißstoffe beeinträchtigt werden, die es herauszufiltern
gilt. Allerdings darf die Filtration nicht zu brutal erfolgen, da sonst
das gesamte Aroma im Filter hängenbleibt.
Vor dieser Prozedur sollte der Tresterbrand eine gute Weile gelagert haben,
am besten in Holzfässern. "Nicht unter zwei Jahren", meint
Heiner Renn, eine Art "Papst" unter den deutschen Destillateuren.
Er hat nach eigener Aussage den lange Zeit unterschätzten Tresterbrand
bei uns "wieder salonfähig gemacht". Über das Holz kommen
vanille- oder zimtähnliche Geschmacksnoten in den Brand, die nur dann
zu einem harmonischen Ganzen führen, wenn die verwendeten Trauben von
bester Qualität sind. Sonst erhält man einen "minderwertigen
Schnaps, der nur nach Holz schmeckt".
Obstbaumeister Renn, der mit seiner Frau am Bodensee den ökologisch
bewirtschafteten Burgunderhof führt, bricht mit Leidenschaft eine Lanze
für deutschen Tresterbrand. "Der Gedanke an Abfall ist ebenso
falsch wie die Einstufung als drittklassig". Im Gegenteil: In punkto
Traubengeschmack sei der deutsche Grappa zum Beispiel dem Weinbrand eindeutig
überlegen. Nach dem laxen Motto "für 'nen Schnaps reicht's
immer noch" lassen sich befriedigende Ergebnisse jedoch kaum erzielen.
Renn brennt seinen Trester ausschließlich aus Spätburgunder und
wird von einigen Meisterköchen dafür geschätzt. Um Spitzentrester
zu erzeugen, so Renn, seien eigene Weinberge und Kellereiwirtschaft Voraussetzung.
"Traubig und sortentypisch" müsse er schmecken, sein teuerster
Brand lagerte sechs Jahre im Holzfaß. Für diesen Edeltrester
im hübschen Futura-Glas muß der Kunde stolze 178 Mark hinblättern.
Daß der selbstbewußte Renn seinen Tresterbrand anders als die
Weine nicht mit dem Öko-Label ausstattet, hat einen einfachen Grund:
wenn Engpässe entstehen, kauft er gelegentlich Trester von (konventionell
arbeitenden) Kollegen hinzu. An der absolut sauberen Verarbeitung ändert
diese Tatsache aber nichts. Die durchaus erlaubten synthetischen Weichmacher,
Alterungsmittel, Färbe- und Geschmacksstoffe kommen bei ihm selbstverständlich
nicht ins Faß.
Aufwand des Winzers nicht angemessen entlohnt
Ganz auf Riesling setzt Uwe Weber aus dem Weindorf Lehmen an der Untermosel
nahe bei Koblenz. Er läßt etwa die Hälfte seines Tresters
zu Schnaps brennen, den übrigen Teil verwendet er als "wunderbaren
Dünger". Weber ist seit 1989 Mitglied im Bundesverband ökologischer
Weinbau (BÖW) und fühlt sich dem "Kreislaufdenken" besonders
verpflichtet. Tresterbrand ist für ihn nur ein "Nebenerzeugnis",
das wie Wein- und Hefebrand das Sortiment komplettiert. Eine eigene Brennerei
rentiere sich für ihn bisher nicht.
Auch Weber ist vom Tresterbrand äußerst angetan: "Er schmeckt
würziger als andere Traubenbrände". Daß er noch nicht
die verdiente Wertschätzung genießt, führt er auf hartnäckig
gepflegte Vorurteile zurück. Auch der Champagner habe ein derart exklusives
Image, daß deutsche Sekthersteller damit nicht konkurrieren könnten.
Dabei produzierten viele inzwischen ebenfalls nach der "methode champagnoise",
täten handwerklich gesehen also genau das gleiche. Dieser Aufwand werde
aber beim Griff ins Portemonnaie vom Kunden nicht angemessen entlohnt.
Marc de Gewürztraminer: Demeter und unfiltriert
Im elsässischen Pfaffenheim bei Colmar stellt der Demeter-Winzer Jean-Pierre
Frick seinen Marc de Gewürztraminer nach althergebrachter Methode in
kleinen Mengen selbst her. Zwar betrachtet er wie die meisten Antroposophen
den Schnaps mit kritischer Distanz, da er den materialistisch gesinnten
Menschen von heute in dieser fatalen Einseitigkeit bestärke. Während
der Wein noch viele Mineralstoffe und Erdenergien in sich trage, also "Rohkost"
repräsentiere, "geht der Schnaps durch's Feuer und behält
nur noch Alkohol und flüchtige Aromen". Dennoch will Frick die
Brennerei gerne als kulturelles Erbe bewahren. Wo Kinder beim Stichwort
Milch oder Fisch nur noch viereckige Kartons assoziierten, sei der sinnliche
Bezug zu tradiertem Handwerk umso wichtiger. Wirtschaftlich gesehen ist
die Trester-Verarbeitung alles andere als ein rentables Geschäft. Frick
benutzt nur Holz zum Feuern, aus ästhetischen wie aus ökologischen
Gründen. Der Gewürztraminer besitzt einen derart fruchtigen Eigengeschmack,
daß ihm eine Lagerung in Holzfässern dagegen nicht bekommt. Sie
würde das Traubenaroma eher verfälschen. In Glasbehältern
kann der Marc seine charakteristische rein-weiße Farbe am besten ausbilden.
Eine weitere Besonderheit: Der Brand ist naturbelassen und wird nicht filtriert.
Um Eintrübungen zu verhindern, muß Frick den Alkoholgehalt auf
mindestens 48 Prozent einstellen.
Fricks Nachbar Eugène Meyer verfährt ähnlich. Er gehört
zu den Pionieren der biologisch-dynamischen Anbauweise im Elsaß, wo
er bereits 1969 die Demeter-Zulassung erwarb. Eine vorübergehende Augennervlähmung
nach Sprühen eines chemischen Insektizides gegen Rotspinnen bewog ihn
zum Umstieg. Demeter-Produkte lassen sich derzeit aber nicht nur in Frankreich
schwer absetzen. Von der Resonanz auf der Frankfurter BIOFACH '95 war Meyer
ebenfalls enttäuscht. "Wir dachten, die Leute in Deutschland sind
offener". Weil er sich finanzielle Kraftakte nicht so häufig leisten
kann, blieb er diesmal Europas größter Bio-Messe fern.
Die meisten Öko-Winzer, die Tresterbrände verkaufen, betreiben
die Brennerei nur als Steckenpferd, nur wenige haben eine eigene Konzession.
Direktvermarktung steht an erster Stelle, auch Restaurants zeigen sich oft
interessiert. Heiner Renn beliefert 70 Gastronomen in ganz Deutschland mit
seinen Edel-Alkoholika, ist aber sicher eine Ausnahmeerscheinung. Weil Grappa
und Tresterbrände selten in den Naturkost-Großhandel und die
Bioläden gelangen, erfährt der Endverbraucher von der Entwicklung
auf diesem Sektor so gut wie nichts. Viele ahnen nicht einmal, welch delikate
Brände die Öko-Winzer auf Lager haben.
Hans Krautstein
Buchtip und Adressen
- Axel und Bibiana Behrendt: Grappa. Der Guide für Kenner und Genießer.
München: Heyne Verlag 1994. (240 Seiten, 44 DM).
- Bundesverband Ökologischer Weinbau (BÖW), Am Zuckerberg
19, 55276 Oppenheim,
Telefon 06133-1640, Fax 1609.
- Jean-Pierre Frick, Domaine Viticole Pierre Frick, F-68250 Pfaffenheim,
Telefon 0033-89496299
- Heiner und Andrea Renn, Burgunderhof Hagnau, Sonnenbühl 30, 88709
Hagnau, Telefon 07532-43100, Fax 431043.
- Uwe Weber, Sekt- und Weingut Karl Weber, Hauptstraße 3, 56332
Lehmen, Telefon/Fax 02607-4042.
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