Der masochistsche Brauereibesitzer gehörte zu Lamettas ältesten Kunden. Er war lieb und nett, sein Tick aber machte ihr Mühe. Er haßte Christbäume, Krippen, Weihnachtlieder und alle anderen gutbürgerlichen Requisiten und Rituale des Heiligen Abends, weil ihm als Kind der einzige wirklich dringende Weinachtswunsch nicht erfüllt worden war. Er konnte den Geruch von Bier nicht ausstehen und hatte schon als sechsjähriger auf einem Wunschzettel das Christkind darum gebeten, niemals die Brauerei übernehmen zu müssen. Dazu war er zu seinem Ärger als einziger Sohn und Bruder von fünf älteren Schwestern ausersehen.
Im den ersten zwei Jahren hatte der Brauereibesitzer von Lametta mit Lametta ans Bett gefesselt und mit Lametta gepeitscht werden wollen. So wollte er sich sein Weihnachtstrauma austreiben lassen. Damals noch unerfahren, wie sie mit solchen sonderbaren Wünschen umgehen sollte, hatte sie ihm den Gefallen getan. Das erste Mal war eine Katastrophe gewesen. Das dünne Lametta riß, sie Fesseln hielten nicht, das Peitschen tat nicht weh, sie mußte lachen, und der Brauereibesitzer war beleidigt. Wenn sie schon lachte, sollte sie bitte grausam lachen. Diese heitere Gelächter sei der Tod seiner Wollust. Bei ihrem Weihnachtsbesuch im Jahr darauf kam sie mit südafrikanische Speziallametta, sehr grob aber fest. Eine Chrom-Nickel-Vanadium-Legierung. Diesmal hielten die Fesseln und die Hiebe erzielten den gewünschen Schmerz. Doch Lametta unterbrach plötzlich ihr Peitschen. Sie hatte nichts gegen einen gepflegten Sadomasochismus, aber bitte lieber mit Leder und nicht mit Lametta. Das fand sie kitschig. "Wer bin ich denn!" fluchte sie wütend. "Such dir eine andere, du verdrehter Sack!" Ihr Zorn war echt und entschädigte den Brauereibesitzer ein wenig für die so brutal unterbrochenen Hiebe. "Überlaß es mir, wie ich dich behandle", sagte sie streng, und er nickte gehorsam. Ein Jahr später hatte dann die Frau des Brauereibesitzers bei der Weihnachtsaustreibung mitgemacht. Sie wollte ihrem Mann bei seinen Leiden nahe sein.
Lametta hatte noch keine Idee, was sie mit dem Brauereibesitzer heute anstellen könnte. Um halb elf sollte kommen und dreimal klingeln. "Überraschen Sie mich bitte!", hatte er mit großen Augen gesagt. Nun war es halb neun als sie am Eingang seiner Villa stand. Vielleicht wäre das eine Überraschung. Sie klingelte einmal. Ein Hund bellte, ein Kind öffnete und rief nach hinten: "Onkel, das Christkind!" Lametta hatte ihren Mantel geöffnet, das hauteng anliegende Silberkleid, das der Informatiker eben noch als eidechsenscharf empfunden hatte, wirkte mit seinem Glitzern auf das Knäblein offenbar heilig.
Der masochistsche Brauereibesitzer

Der Brauereibesitzer kam und erschrak. "Sie sind zu früh", sagte er entsetzt. Seine Mutter war hier, seine Tanten, Onkel, Neffen, Nichten. "Schon recht", sagte Lametta und ging kühl an ihm vorbei in den Salon, in dem drei Neunzigjährge, fünf Achtzigjährge und ein paar Kinder saßen. Ein neunzigjähriger Greis deutete auf Lametta und brüllte einer achtzigjährigen Greisin ins Ohr: "Was ist denn das für eine wunderhübsche Frau?" Der Brauereibesitzer litt Qualen. Das mußte ihm als Masomann gefallen.
"Ich bin der Weihnachtsengel", sagte Lametta, "aber ich muß mich wundern. Was ist das für ein gottloses Haus! Wo ist denn hier der Christbaum?"
"Sehr richtig!" riefen die Achtzig- und Neunzigjährigen, "wo ist der Christbaum?"
Lametta wandte sich an den Brauereibesitzer und ließ ihre Stimme schneidend werden. "In zwanzig Minuten steht hier ein Christbaum, sonst werde ich ungemütlich. Auf den Weihnachtsmärkten gibt es noch genug. Los!"
"Bravo!" riefen die Greisinnen und Greise, "endlich wird hier für Sitte und Tradition gesorgt."
Nach zwanzig Minuten kam der Brauereibesitzer schwitzend und schnaufend mit einer Tanne an. Die Greise und Kinder klatschten.
"Schmücken!" befahl Lametta der Frau des Brauereibesitzers. Die wand sich. "Los! Ich weiß das gewisse Silberfäden im Haus sind." Lametta ließ nicht locker. "Und nette kleine Kerzen will ich flackern sehen!"
Als der Baum im Lichterglanz erstrahlte, hielt sich der Brauereibesitzer verzweifelt die Augen zu. Lametta zischte ihm zu. "Augen auf und singen! Drei, vier: 'Oh du fröhliche...'"
Die Kinder und Greise fielen sofort ein, zunächst etwas zaghaft. "Soll das ein fröhliches Weihnachtslied sein?" rief Lametta dazwischen. Der Gesang wurde nach der Mahnung etwas temperamentvoller. Der Brauereibesitzer hielt sich die Ohren zu und biß sich auf die Lippen. Das war sie, die Hölle des Heiligen Abends. Der Albtraum seiner Kindheit. Dieses entsetzlich inbrünstige Jubilieren, diese niederträchtige Stimmungsmache. Lametta stieß dem Leidenden in die Rippen: "Los! Mitsingen!"
Es wurden noch einige Klassiker abgesungen. "Ihr Kinderlein kommet", "Stille Nacht", "Oh Tannenbaum". Danach war der Brauereibesitzer am Ende. Er verschwand, übergab sich, kam wieder und sagte zu Lametta. "Jetzt ist mir besser." Es war die härteste Tortur, die er je hatte erdulden müssen. "Die reine Katharsis", sagte er, wischte sich den Schweiß von der Stirn, suchte nach seinem Portemonnaie und gab Lametta fünf Tausender. "Eine echte Katharsis" sagte Lametta, "ist mehr wert, ich wette sie sind ihr Trauma ein für allemal los, während ich unter der verhaßten Zeremonie am meisten gelitten habe - aber nicht gern.
"Verstehe", sagte der Brauereibesitzer, "Sie wollen Schmerzensgeld" - und legte zweitausend Mark drauf.

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Weiter geht es, man glaubt es kaum, mit einem Gesamtkonzept des Autors.......
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