NOVEL IN PROGRESS
20. Oktober

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8. GIER NACH GELD

13. Dezember 1996

Es war jetzt kurz vor acht Uhr abends. Lametta hatte gut verdient. Nicht nur heute. Die ganze Adventszeit ⁿber hatte das Geschäft gekocht. Morgen, am ersten Weihnachtsfeiertag hatte sie nur drei Termine. Dann waren am 26., 27., 28., 29. und 30. Dezember noch Besuche bei den Kunden fällig, die von Lamettas Laszivität lieber in der unmittelbaren Nachweihnachtszeit Gebrauch machten.
Sie hatte das Geld noch nicht gezählt, das sie wie in den Vorjahren in dem Koffer unter Ferdinands Bett bewahrte. Sie rechnete es immer erst an Silvester zusammen. Es war abzusehen, da▀ es trotz oder wegen aller Wirtschaftsflauten in ihrem Geschäft keine Einbrⁿche gegeben hatte. Vielmehr schien der bisherige Jahreszuwachs von zwanzig Prozent diesmal auf fⁿnfundzwanzig bis drei▀ig gestiegen zu sein. Der allgemeine Wunsch nach Sex zur Weihnachtszeit nahm zu, und die Konkurrenz im Bereich der käuflichen Liebe nutzte die Gunst der Stunde noch immer nicht. Manchmal kam sich Lametta vor wie eine einsame Streikbrecherin. Von einer Lⁿcke im Markt konnte keine Rede sein. Ein riesiger unerschlossener Markt war es, auf dem sich Lametta tummelte.
Während sie sich auf den Weg zum stockkonservativen Chefredakteur machte, hörte sie eine Musikkassette mit Hits aus ihrem Geburtsjahr 1965, die ihr Ferdinand zusammengestellt und heute morgen zu ihrem einunddrei▀igsten Geburtstag geschenkt hatte. "There is a rose in Spanish Harlem" - eine Stimme wie diese Sängerin wⁿrde sie gern haben. Männer singend verrⁿckt machen, das wäre einmal etwas anderes.
Sie freute sich auf Ferdinand. Er hatte ihr zu Glⁿck und Glanz verholfen, jetzt wⁿrde sie sich revanchieren. Er sollte seinen verdienten Erfolg bekommen. Der brⁿllende Literaturkritiker wⁿrde ihn hochjubeln. Dafⁿr hatte sie gesorgt.
There is a rose in Spanish Harlem - die Melodie war eine einzige Umarmung. Lametta fragte sich, warum sie die beiden heute noch fälligen Termine nicht absagte. Sie wⁿrde sechstausend Mark verdienen, die sie nicht brauchte. Es war längst genug Geld da. Es ist nicht Geldgier, die mich treibt, sagte sie sich. Geldgier lehnte sie ab. Soviel Antikapitalismus war noch in ihr. Sie hatte frⁿher im Osten nie verstanden, warum die Westleute mit dem Geldverdienen nicht aufhören konnten. Jetzt ging es ihr eben so. Sie folgte einem Pflichtgefⁿhl. Auch mochte ihren Beruf. Sie hatte ihre komischen Kunden gern. Manche mochte sie, manche mochte sie verachten.
Und doch trieb sie auch eine geradezu boshafte Geldgier. Nicht nur das Bezahltwerden, auch das Zahlenlassen machte Spa▀. So zufrieden sie es machte, da▀ sie der trostlosen Weihnachtsfrau mit ihrem Reh vorhin zwei Tausender zugesteckt hatte, so wurmte sie der Verlust auf unangenehme Weise, und sie war entschlossen, sich die verschenkte Summe bei ihren jetzt noch fälligen Auftritten von ihren ahnungslosen Kunden zurⁿckzuholen. Sie mu▀ten fⁿr ihre Mildtätigkeit bⁿ▀en. Das Geld im Koffer, das Geld in der Schweiz war uninteressant. Nur das frisch- und frech- und frivolverdiente Geld machte Spa▀. Lametta war eine Sammlerin. Sie sammelte Geld. Die Sammlung ist fⁿr den Sammler schön und gut und beruhigend. Das belebende und erregende Glⁿck aber lag fⁿr Lametta nicht im Haben, sondern in der Jagd und im Augenblick des Gewinns.
Fⁿr den Masomann wⁿrde sie sich noch etwas ausdenken mⁿssen. Er legte gro▀en Wert auf Pⁿnklichkeit, also könnte es ihn quälen, wenn sie zu frⁿh käme. Lametta hielt an und holte ihr transportabales Telephon hervor. Sie fand es affig, während des Fahrens zu telephonieren. Die Tⁿrkisfarbe war widerlich. Sie mu▀te den Apparat gegen einen grauen eintauschen. Der stockkonservative Chefredakteur war gut gelaunt. Er hatte nichts dagegen, wenn Lametta eine Stunde später käme.

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