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"Autor unterwegs"
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Ein kleines Extra - Kapitel am Rande ... / 25. Oktober
Manchmal, mitten im Brüten, kriegt man Lust, eine ganz andere Geschichte zu schreiben als
die, die man schreiben soll. Man tut das Unvernünfige, das Quasiverbotene, man entflieht der
Pflicht - und das macht Spaß. Wenn man mehrere Projekte gleichzeitig auf dem Schreibtisch
hat, wird man fast immer zu einem von ihnen Lust haben. Die anderen vernachlässigt man.
Das ist ein diebisches Vergnügen. So entstand hinter dem Rücken von "Lametta lasziv" die
folgene Geschichte, die den Vorteil hat, wenigstens lesbar zu sein. Sie hat mit "Lametta lasziv"
schon auch zu tun. Sie ist eine Art Trainingsschrieb, sie dient der Lockerung der Muskeln, sie
ist mir näher. Die herumstolzierenden Frauen haben mit mir zu tun. Es ist die Titelgeschichte
zu meinem nächsten, dtv-Sammelband, die ich seit Dezember 95 schreiben will und jetzt
plötzlich entstand sie innerhalb eines Tages wie von selbst.
Die Liebeskopie
oder Der entkräftete Verdacht
Endlich war es so weit. Mehr als drei Jahre hatte ich gebraucht, um von ihr loszukommen.
Wie kann man so sehr an einer Frau hängen, die Erika heißt. Ich konnte. Dann endlich war
sie mir wirklich egal. So egal, wie ich ihr vermutlich von Anfang an gewesen war.
Die heißesten Ecken der Liebe hatte ich mit ihr kennengelernt. Viele schöne dunkle Tage und
Nächte hatte ich gewonnen - und doch konnte ich, kaum war es vorbei, das Gefühl nicht
loswerden, daß die Zeit mit ihr eine verlorene war.
Dann, nach Monaten finsteren Herumstolzierens begannen mir endlich wieder die Haare und
Hüften anderer Frauen aufzufallen, bald auch die Augen, Lippen und die Wangenpartie.
Schon dachte ich, ich hätte Erika überwunden. Doch jede Eroberung zeigte mir nur, wie
wenig zwingend jede neue Liebe war, wie klein und bedeutungslos gegen die alte, große,
unbegreiflicherweise verlorene und vermutlich einseitige Liebe zu Erika.
Erika hatte mir, denke ich heute, immer nur so viel Liebe zurückgegeben, daß ich die
Einseitigkeit unserer Liebschaft nicht bemerkte. Nachdem sie sich entfernt hatte, unschön
keifend wie mir später auffiel, probierte ich vier- oder fünfmal vergeblich mein Glück bei
anderen, bis ich begriff, daß ich nie Trost finden würde, solange ich nur Ersatz suchte.
Spätestens nach dem dritten Tag saß ich auf der Bettkante, stierte ins Leere und Nina, Nena,
Nana, Nuna und Nona wußten, daß ich an eine andere dachte. So verdarb ich mir die
verheißungsvollsten Anfänge. Auch der famosesten Frau in Gedanken treu zu sein ist
idiotisch. Und ich war in Gedanken einer Frau treu, die verduftet war und nur einen
schwefligen Geruch hinterlassen hatte. Ich war ein sehr großer Idiot.
In Nena, Nina, Nana, Nuna und Nona suchte ich Erika, so wie ich sie geliebt hatte: die
gierige, die hinter ihrem Orgasmus her ist wie der Hund hinter dem Hasen, die Frau, mit der
man auf die Jagd geht. Das hatte mir gefallen. Ich haßte Erika, die Verräterin der Liebe, die
Betrügerin meiner Gefühle, die Frau vom Stamm der Selbstsüchtigen, die faule Sau und feige
Äffin, die mit Anfang Vierzig schon zu bequem geworden ist für die Strapazen der
Seitensprünge, des Lügens und der Geheimhaltung - ich haßte diese Erika so, wie ich die
Erika noch immer liebte, die verrückt vor Lust so tief und wollüstig atmete, wie ich davor und
danach noch nie eine Frau atmen gehört hatte.
Es ging so nicht weiter. Also nahm ich mir vor, den Frauen nicht mehr hinterherzulaufen und in
ihnen Erika, das lächerliche Urbild zu suchen, von dem ich besessen war. Tatsächlich gelang
es mir, mir ein halbes Jahr lang nicht den Kopf verdrehen zu lassen. Ich folgte meinem
Vorsatz. Ich fing zwar noch die Blicke der Frauen und lächelte ihnen zu, aber ich drehte mich
nicht nach ihnen um.
Allein ging ich nach Hause, legte mich in die Badewanne bis meine Haut schrumpelig wurde
und sagte mir, daß dies ein Vorteil des Alleinseins sei. Nie hatte ich so lange in der
Badewanne gelegen in meinen Jahren mit Erika und auch nicht in meinen Tagen mit Nena,
Nina, Nana, Nona und Nuna. Sie sollten meine aufgeweichte Haut nicht sehen.
Nach einem halben Jahr war es so weit. Sie hatte an der Supermarktkasse drei Pfennige
gebraucht, die Frau an der Kasse war nicht bereit ihr die zu erlassen. Fünf Schafe in der
Reihe vor mir reagierten nicht auf die Farce. Ich warf der fremden Frau mein Portemonnaie
zu und erlöste sie. Sie wartete, nachdem sie an der Kasse fertig war, und als ich an die Reihe
kam, gab sie mir mein Portemonnaie wieder und bedankte sich. "Drei Pfennige", sagte ich.
"so billig habe ich noch nie jemanden retten können. Ich wünschte es wären dreihundert
Mark gewesen." Wir lächelten uns an, ich ging und drehte mich nicht um, obwohl es mir
schwer fiel.
Wenig später traf ich sie in einem Bäckerladen. Ich hatte nur einen Hundertmarkschein und
wollte eine Brezel. Die Verkäuferin hatte kein Wechselgeld und schüttelte den Kopf. Da flog
mir ein Portemonnaie zu. Wir lächelten uns an, jetzt war es schon ein Strahlen. Ich ging mit
meiner Brezel, gutgelaunt, fast glücklich, und drehte mich nicht um.
Noch einmal begegnete ich ihr. Sie versuchte ungeschickt Luft in ihre Fahrradreifen zu
pumpen. Ich half ihr, ging weiter - und drehte mich nicht um.
"Hey!" rief sie mir nach, und ich ging zu ihr zurück. "Sie können doch nicht jetzt nicht einfach
so gehen", sagte sie, "das gehört sich nicht." - "Wenn Sie meinen", sagte ich.
Sie hieß Olga. Ich begleitete sie nach Hause und verließ eine Woche ihre Wohnung nicht. Ich
bin Schriftsteller und kann mir das leisten. Von keinem Computer, nicht einmal von einer
Schreibmaschine bin ich abhängig. Ich kann noch immer mit der Hand deutlich genug auf
Papier schreiben und damit Geld verdienen. Auf den modernen Zauber verzichte ich gern. Ich
brauche nur ab und zu Telefon, um Abgabetermine zu verschieben.
Dann begleitete Olga mich nach Hause. Meine Wohnung ist größer und besser gelegen als
ihre. Sie blieb drei Wochen. Morgens verließ sie das Haus. Olga hatte einen lustigen Beruf.
Sie beriet Designer, die eine Schaffenskrise geraten waren und unter einem Kreativitätsstau
litten. Ich kann nur unter Druck arbeiten, und Olga sah, daß es mein Rezept war, den Druck
so groß werden zu lassen, daß der Stau von selbst hinweggespühlt wird oder gar nicht erst
entsteht. Allerdings wollte ich nicht, daß sie ihren Heinis mein Geheimnis verriet. Je mehr die
Designer untätig leiden, desto weniger wird die Welt mit ihren unsinnigen Formen verunstaltet.
Ein halbes Jahr lebten wir hin und her und waren glücklich. Endlich eine Frau, die ich nicht mit
Erika vergleichen mußte. Endlich war mir Erika einerlei geworden. Von meinem Leben mit
Olga zurückblickend empfand ich Erika immer mehr als eine Krampfhenne, deren Scharren,
Gackern und Plustern ich blinder Hahn für Leidenschaft gehalten hatte.
Wie immer arbeitete ich an verschiedenen größeren und kleineren Projekten. Mit Olga redete
ich über meine Arbeit nicht. Ich rede mit niemanden über meine Arbeit. Ich mache sie. Das
Reden über das Schreiben geht zu weit. Köche reden auch nicht vom Kochen.
Eines meiner Projekte hatte ich "Die Liebeskopie" genannt. Ich wußte noch nicht, was daraus
werden würde. Eine Erzählung, ein Essay, vielleicht auch ein Roman. Das Thema waren Erika
und die Erika-Ersatzfrauen Nena, Nina, Nana, Nona und Nuna. Inwieweit sucht man
Wiederholung und Kopie der verflossenen Liebe, war die Frage, die ich mir in diesem Text
stellen wollte, an dem ich aber kaum weiterarbeitete, weil Olga die Frage hinfällig gemacht
hatte.
Das Verhältnis zu Olga blieb wolkenlos wie zu Beginn, als wir uns Portemonnaies zuwarfen.
Nach einem dreiviertel Jahr legte sich erstmals ein Schatten auf unser Glück. Eines Tages war
Olga anders als sonst. Ich hatte schon fast nicht mehr daran geglaubt, daß sie auch stockig
sein konnte. Sie konnte nicht lügen, und nach zwei Tagen wußte ich den Grund. Zufällig war
ihr ein Manuskript von mir in die Hand gefallen. Es war das Manuskript der "Liebeskopie".
Der Titel hatte sie beunruhigt.
Ich sagte Olga, "Die Liebeskopie" sei der Entwurf zu einem geplanten Essay, in dem ich die
These aufstellen werde, daß die Frauen zunehmend die Unarten der Männer kopierten. Ob
sie nicht auch finde, daß bei den Geschlechterrollen zur Zeit eine seltsame Veränderung
stattfinde: Männer und Frauen kopierten immer mehr die Eigenschaften des anderen
Geschlechts .
Fand Olga nicht. Sie fühle sich nicht männlich, sagte sie. Und so viel sie bisher von mir
mitgekriegt habe, könne sie mich auch nicht sonderlich weiblich finden.
Bei dem Thema geriet ich in Fahrt. Ich schwor Olga, daß es im Inneren meiner Seele aussehe
wie in einem Backfisch vor achtzig oder hundert Jahren. Früher seien es die Frauen gewesen,
die ziellos gelitten hätten. Sie sehnten sich nach Männern, von denen sie längst vergessen und
verraten worden waren. Die glorreiche Emanzipation habe erreicht, daß Männer und Frauen
ausgerechnet die Macken die jeweils anderen Geschlechts reproduzierten. Die Frauen hätten
längst gelernt, wie man Männer ausnützt, auf Distanz hält, mit wenig Gefühlseinsatz viel
erreicht und unsentimental Affären beendet, wenn einem die Liebe lästig wird. Die Männer
hätten die sinnlose Sehnsucht nach herzlosen Verräterinnen in ihr Repertoire übernommen.
Ich schaute Olga möglichst tief ins Gesicht: "Man sieht es mir nicht an, aber ich habe immer
wieder wie ein Weib geschmachtet, nach Weibern, die sich wie Dreckskerle benommen
haben."
Olga war nicht zu überzeugen. Sie meinte, schmachtende Männer und grausame Weiber habe
es immer schon gegeben, mit der Emanzipation habe das nichts zu tun. Dann merkte ich, daß
sie die unfertigen Seiten überflogen hatte. Ihr war es peinlich. Sie wollte nicht als Schnüfflerin
dastehen. Sie schnüffelte nicht, allerdings war sie neugierig. Mir war es noch peinlicher, bei
einer falschen Ausflucht ertappt worden zu sein. Olga mußte durch meine dumme Lüge in
dem Glauben bestärkt sein, sie sei für mich nichts als die Ersatzfrau von Erika. Das war nicht
richtig, und ich stritt es heftig ab. So heftig, daß Erikas Mißtrauen nur wuchs. Mir gefiel ihr
Mißtrauen nicht, und ihr nicht die Vorstellung, an ihrem Kopie-Verdacht könne etwas dran
sein.
Ich schüttelte den Kopf, sie aber zitierte einen Satz, den ich tatsächlich geschrieben und der
sich ihr leider eingeprägt hatte: "Ich werde mein Leben auf der Suche nach einer besseren
Erika zubringen, nach einer Frau, der die Gier ebenso deutlich im Gesicht steht, die ebenso
verrückt nach Liebe ist - aber mit einer weniger engen Seele."
Ich beschwor Olga, dies sei erstens überholt und zweitens eine Geschichte, ich sei schließlich
Schriftsteller, natürlich würde ich mich reichlich der Angebote bedienen, die die Wirklichkeit
bereitstelle. Möglicherweise hätte ich ansatzweise tatsächlich einmal so gedacht, nun aber
schon lange nicht mehr. Seit ich mit Olga zusammensei, sagte ich wahrheitsgemäß, habe sich
sie Erinnerung an Erika spurlos aufgelöst, weder Schwefeldunst noch Asche seien
zurückgeblieben, weder Mitleid noch Haß noch irgendwelche verkohlten Liebesreste. Nichts
sei mir gleichgültiger als diese falsche Person namens Erika, dieses unselig schwache Weib,
das ich für stark gehalten hatte, solange ich ein Narr war, diese konditionslose Triebtäterin,
deren Leidenschaft sich verbraucht habe und nicht erneuern ließ.
"Mach sie nicht schlecht, du hast sie geliebt", sagte Olga. Kaum nickte ich reumütig sagte sie:
"Siehst du! Du suchst auch in mir nur ein verbessertes Modell Erika, eine Erika ohne
Konstruktionsfehler." Ihre Züge wurden spöttisch wie die von Nena, Nina, Nana, Nuna und
Nona, wenn sie mich beim melancholischen Hocken auf der Bettkante ertappt hatten. "Ich
fürchte, ich komme deinen Vorstellungen nur ungenügend entgegen", merkte sie an, machte
ein Gesicht, als würde sich mich auf der Stelle oder sehr bald für immer verlassen und quälte
mich erneut mit einem eigenen Zitat: "Ihr Herz war eng und dunkel. Dunkel ist schön, aber
nicht immer. Man ist doch auch Pflanze und braucht Licht. Ich will in einem weiten Herzen
wohnen, das hell ist, und völlig verdunkelbar. Schwarze Jalousien, durch die kein Lichtstrahl
dringt, werden heruntergelassen - bei Bedarf."
Ich wand mich: "Ja, es ist daneben, es ist der pure Kitsch. Mensch, Olga", sagte ich, "nur aus
kitschigen Gefühlen kann man später gute Texte machen. Im Kitsch keimt die Wahrheit." Den
Aphorismus hätte ich mir verkneifen sollen, denn Olga sagte sofort: "Siehst du! Ich wußte es!
Du liebst sie noch immer! Ich bin nur Ersatz! Aber nicht mehr lang!"
Alles Interpretieren nützte nichts. Sie hatte den Text nur überflogen, aber sie kannte ihn
genau. Ich hatte darin einige Jazztitel genannt. "Sweet Substitute", "Exactly Like You",
"Second Hand Love" - Stücke, in denen sich Sänger und Sängerinnen auf die vergebliche
Suche nach süßem Ersatz und dem Ebenbild der oder des Entfleuchten machen. All diese
vermaledeiten Einfälle wurden nun von Olga gegen mich verwendet. Sie beklagte sich daß sie
nicht das Original sei.
"Jeder Mensch ist anders"! rief ich, jede Liebe ist anders. Das zweifelte sie an. Einer wie ich
würde jeder Frau dieselben Briefe schreiben. Diese Behauptung ärgerte mich maßlos. Denn
ich habe immer den größten Wert auf die Originalität der Gefühle gelegt. Ich gebe zu, daß
manche Frauen dieselben Ansichts- oder Kunst- oder Quatschpostkarten von mir
bekommen haben. Weil die meisten hart und selbstsüchtig sind, mußte ich leider an zwei
Dutzend Frauen die Ansicht eines verwahrlosten Gebäudes in der italienischen Prärie
schicken auf dessen räudiger Fassade ein liebeskranker Romeo die anrührende Sentenz
gepinselt hatte: "Bella ma non hai l'anima" - Schöne, Du hast keine Seele! Aber hinten auf die
Karte habe ich zwei Dutzend individuell auf die jeweilige Seelenlose zugeschnittenen
Anklagen formuliert.
Olga gab noch immer keine Ruhe. Sie glaubte mir nicht, schwang männerfeindliche Reden
und sagte, Männer könnten vielleicht dichten, ja, weil Dichten Lügen bedeute, aber wirklich
lieben und leiden und Frauen gefühlvolle Briefe schreiben könnten sie nicht, da sei ich keine
Ausnahme. Da ging ich zum äußersten: Ich rief beim Studentenschnelldienst an und bestellte
mir einen Germanisten. Der Typ war derart auf den Kopf gefallen, er war so etwas von
desinteressiert, unflott, unraffiniert und unbelesen, daß ich ihm widerwillig die zwanzig Mark
für die Anfahrt in die Hand drückte und wieder verscheuchte. Man schickte mir zwei weitere
Gestalten von ähnlicher Unverwendbarkeit ins Haus. Als ich auch die verjagt hatte, nahm ich
einen Privatdetektiv. Auf Akademiker ist kein Verlaß, auf Studenten schon gar nicht, am
wenigsten auf Studentinnen. Keine Sorte Frau ist herzloser als Studentinnen. Ich hasse sie
mittlerweile. Sie sind Mitte Zwanzig und ihre Seelen sind verkalkt. Ob Hertie, ob Penny, ob
Aldi: Jede Kassiererin weiß besser, was Sehnsucht ist.
Der Detektiv sollte sich als gestandener amerikanischer Literaturprofessor ausgeben. Wenn
schon, denn schon. Kein kümmerlich bittstellender Doktorarbeitschreiber. Mein Werk sei
sein Forschungsgebiet, solle er vorbringen. Er bitte herzlich, einen Blick in die Briefe werfen
zu dürfen die ich geschrieben habe. Er sei dabei, eine dreibändige Biografie über mein Werk
und mich zu verfassen. Er werde selbstverständlich nur unverfängliche Stellen herausziehen
und den Damen vor der Veröffentlichung die zitierte Passage zur Absegnung vorlegen. Kein
Risiko. Seriöse amerikanische Literaturwissenschaft. Harvard, selbstverständlich, Madame.
Wenn von den Frauen die Frage käme, ob umfangreiche Biografien nicht erst nach dem Tod
eines Autors geschrieben würden, solle er sagen: "Bei einem derart bedeutenden Autor ist es
etwas anderes. Im übrigen geht es ihm nicht sehr gut." Vor allem beim zweiten Satz solle er
haargenau die diversen Reaktionen meiner ehemaligen Liebsten beobachten, schärfte ich ihm
ein.
An Nina, Nena, Nana, Nona und Nuna hatte ich nicht viel geschrieben, wohl aber an
Verena, Mercedes, Lolita, Jenny, Sabine, Paula, Marie, Erika, Julia, Barbara, Susanne,
Valeska, Roberta. Als ich dem Detektiv eine Liste mit Namen und Adressen
zusammenstellte, kam ich durcheinander, denn all diese Frauen kamen in meinen Romanen
vor, die meisten unter anderem Namen, mache auch unter ihren eigenen, wenn ich den
unübertrefflich passend fand. Den Wohnsitz und Familiennamen hatte ich verändert oder
vertauscht, das zum Teil aber schon wieder vergessen. So lebte Susanne in meiner
Vorstellung längst in Heidelberg, obwohl ich ihr doch in Wirklichkeit hundert Briefe nach
Nürnberg geschickt und von dort erhalten - und dort jene Nacht stattgefunden hatte, die ich
in irgendeinem meiner Bücher aus Gründen der Diskretion und der Dramaturgie nach
Straßburg verlegte. Valeska, die mich ebenso enttäuscht und ausgeschmiert hatte wie Erika,
und deren Herz nicht größer als die Spitze meines Daumens, trieb in meiner Vorstellung längst
in Paris ihr Unwesen und nicht dort, wo sie wirklich wohnte. Sie mußte im Besitz von
hunderten von Briefen von mir sein, denn es hatte eine Zeit gegeben, da ich ihr mehrere
Stunden am Tag schrieb. Ich wollte damit nicht nur ihr Herz erobern, sondern sie damit auch
zum schreiben animieren, was ihr als kapriziöser Studentin natürlich schwer zu fallen hatte. Sie
hätte nur jede dritte meiner Botschaften beantworten müssen, und schon hätten wir unseren
Spaß und obendrein einen hochmodernromantischen Briefroman gehabt. Aber sie war noch
fauler und feiger und falscher als Erika, die wenigstens schrieb "Laß mich in Ruhe!" wenn ihr
meine Post zu viel wurde. Valeska aber flötete falsche Töne. "Deine Briefe sind meine letzte
Rettung". Mehr nicht.
Der als Harvard-Professor getarnte Detektiv verlangte von mir fünfzehntausend Mark
Vorschuß. Was tut man nicht, um seine Unschuld zu beweisen und den Verdacht
abzuschmettern, ein Kopist seiner selbst zu sein. Seine Beute war reich. Erika hatte die
vierhundert Briefe bereits an ein Literaturarchiv verkauft. Das amüsierte mich mehr als es
mich kränkte. Immerhin waren sie den Verwaltern der Gegenwartsliteratur dreitausend Mark
wert gewesen. Eine junge Germanistin, die einen Job im Literaturarchiv gefunden hatte, zierte
sich, den vermeintlichen Harvard-Professor Einblick nehmen zu lassen. Er durfte meine Briefe
nicht fotokopieren und mußte wie James Mason als Geheimagent im Zweiten Weltkrieg all
mein Flehen und Fluchen mit einer Minox-Stabkamera heimlich ablichten.
Valeska hatte dem Professor so wenig die Tür geöffnet wie mir am unrühmlichen Ende
unserer unrühmlichen Liaison. Er brach nachts in ihre Wohnung ein. Sie schlief mit
Wachswattepfropfen in den Ohren und hörte nichts. Meine Briefe waren unsystematisch in
ihren Räumen verteilt. Viele waren nicht zu Ende gelesen. Rätselhafte Frau. Eine Lehre. Sind
Augen und Sprüche schön genug falle ich wirklich auf alles herein. Roberta, Susanne,
Barbara, Julia, Christiane rückten einige Briefe heraus. Susanne war die einzige, die auf die
Nachricht meines angeblich schlechten Gesundheitszustands immerhin "Ach je!" gesagt haben
soll.
Ich beglich die Reisespesen des Detektivs, achttausendfünfhundert Mark, und die
Kopierkosten, eintausendzweihundert Mark. Dafür nahm ich sechzehn pralle Leitzordner in
Empfang, blätterte drei Minuten darin herum und genierte mich kurz und heftig dafür, all die
unwürdigen Frauen so inbrünstig geliebt und ihnen das auch noch ungeschützt und
hundertfach gesagt zu haben.
Meine Briefe an Valeska hatte der Detektiv zum Kopieren entwendet und war noch nicht
dazugekommen, die Originale wieder in ihrer Wohnung zu verteilen. "Ich will Sie nicht
verletzen", sagte er mir, "aber ich glaube, ich kann mir die Mühe sparen. So tief, wie die
schlief, und so achtlos verstreut die Briefe herumlagen, wird dieser Frau nicht auffallen, daß
ihr etwas weggekommen ist." Er gab mir den Rat, die Originale an das Literaturarchiv zu
verkaufen. Meine Liebe war echt, heiß und scharf gewesen und entsprechend waren meine
Briefe. Das Archiv zahlte siebentausend Mark dafür, und ich konnte meine Detektivkosten
damit etwas reduzieren.
Dann zeigte ich Olga die sechzehn Ordner und bat sie, sich zu überzeugen: sie werde keinen
einzigen Brief finden, der dem anderen ähnle. Ich sei immer ein originaler Liebhaber gewesen.
"So?" sagte Olga und blätterte. "Warum hast Du mir nicht solche Briefe geschrieben", sagte
sie dann in die Briefe an Erika und Valeska hinein. Es klang traurig. "Menschensmädchen",
sagte ich, seitdem wir uns kennen, hocken und liegen wir zusammen. Wann und warum sollte
ich dir schreiben. Du kriegst meine Liebe eben pur und nicht auf Papier." - "Gottseidank",
sagte Olga und klappte die Ordner zu.
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