Der Term "für jeden” ist dabei so zu verstehen, daß jedermann in allen Rollen, die er in der Gesellschaft inne hat, durch die Bürgernetze unterstützt wird. Der Schreinermeister z.B. soll also alle für sein Fach wichtigen Informationen über Holzsorten, Lacke, neue Verarbeitungsverfahren von seiner Innung beziehen können. Wenn dieser Schreinermeister überdies einen kleinen Betrieb führt, dann benötigt er zusätzliche Angaben über die Sozialversicherungsbeiträge, die er abzuführen hat, den rechtlichen Rahmen, den er beachten muß usw. Diese Informationen soll er von den jeweiligen Versicherungsträgern und Behörden abrufen können. Natürlich ist er auch daran interessiert, seine Waren zu verkaufen. Die Bürgernetze bieten ihm ein "elektronisches Schaufenster”, in dem er seine Möbel darstellen kann.
Ist unser Schreinermeister verheiratet und hat er zwei Kinder, die Schule und Kindergarten besuchen, dann muß er die Möglichkeit haben, mit Lehrern und Kindergärtnerinnen in Verbindung treten zu können - wann immer es seine Zeit erlaubt. Er muß Auskünfte über Schullaufbahnen erhalten können, etc.
Es ist Aufgabe der Bürgernetze, den Schreinermeister und all die anderen Bürger, die den Computer allenthalben als notwendiges Übel ansehen, zu befähigen, aktiv an einem Datennetz zu partizipieren. Dazu bieten sie Einführungskurse und Weiterbildungsveranstaltungen an, in denen jeder lernen kann, die Angebote von Datennetzen zu nutzen und selbst Informationen einzustellen.
Nun verfügt aber nicht jeder über die notwendige technische Ausrüstung, um an einem Bürgernetz teilzunehmen. Die Betreiber der Netze sind daher gehalten, möglichst viele öffentliche Zugangsmöglichkeiten an zentralen Punkten, etwa dem Eingangsbereich einer Bank, einzurichten. Außerdem versuchen die Bürgernetzknoten, die in der Bevölkerung vorhandene Technologie zu nutzen. Eine Möglichkeit hierzu bietet z.B. das Telefax: Es ist ohne nennenswerten Aufwand möglich, eingehende elektronische Post in Faxformat umzuwandeln. Und über ein Faxgerät verfügt heute nahezu jeder kleine Betrieb. Ferner ist angedacht, Fernseher, die über Fernsehkabel gespeist werden, über sogenannte "Set-Top-Boxen” zu interaktiven Geräten zu machen und so die kostengünstige Teilnahme am Bürgernetz zu ermöglichen. Letzlich befinden sich bei verschiedenen Herstellern von Spielekonsolen (SEGA, Nintendo) preiswerte Geräte in Entwicklung, die sich an ein Datennetz anschließen lassen.
Der bloße Zugang zum Datennetz jedoch verspricht noch keine wirkliche Nutzung. Vielmehr müssen im Netz auch nutzbare Informationen zu finden sein. Hierzu werden die Bürgernetze alle gewachsenen Informationsquellen (im Falle des o.g. Schreiners also z.B. die Innung, die Handwerkskammer, den Versicherungsträger etc.) um Bereitstellung der für das jeweilige Klientel interessanten Inhalte bitten. Um es diesen Stellen zu ermöglichen, zumindest einen Basisinformationsdienst anzubieten, werden die Bürgernetze die erforderlichen Kapazitäten auf eigenen Rechnern bereitstellen. Institutionen, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, die entsprechenden Informationen einzubringen, werden dabei unterstützt.
Ein besonderes Anliegen der Bürgernetze ist es dabei, daß alle Gruppen, die gesellschaftlich wichtige, wirtschaftlich aber nicht attraktive Informationen anzubieten haben, ebenfalls in die Lage versetzt werden, ihre Tätigkeit durch Nutzung des Datennetzes zu unterstützen. Hier ist insbesondere an den sozialen Bereich gedacht, aber auch an Glaubensgemeinschaften, kleine Vereine und Interessensgruppen; Kleinst- und Nebenerwerbs-Betriebe sollen ebenso eine Chance erhalten. Die Bürgernetze sind also für jeden offen, ohne Rücksicht auf Name, Rang, Herkunft, Religionszugehörigkeit und ähnliche Kriterien. "Rosinenpicken” wird es nicht geben!
Den Bürgernetzen ist natürlich bewußt, daß die Gewinnung von Wissen und Information oft mit hohem (insbesondere finanziellem) Aufwand verbunden ist. Institutionen, die dieses i.d.R. hochwertige und innovative Wissen bereitstellen, werden gebeten, sich an die Infrastruktur der Bürgernetze anzuschließen und damit den Zugang zu diesen Daten für jedermann zu ermöglichen. Das bedeutet nicht, daß diese Informationen in jedem Fall kostenfrei verfügbar sein müssen.
Die auf den Bürgernetzrechnern gespeicherten Informationen werden in einem zentralen, über alle Themenbereiche reichenden Index nachgewiesen. Aus diesem Index ist ersichtlich, um welche Informationen es sich handelt, wo die Informationen gelagert sind, wie darauf zugegriffen werden kann, welcher Urheberrechtsschutz dafür gilt. Dieser Index ist öffentlich zugänglich. Durch dieses "offene System” soll Dritten die Möglichkeit gegeben werden, Applikationen für das Datennetz zu entwickeln, die erst eine sinnvolle und praxisnahe Nutzung der Informationen ermöglichen. Steigt unser Handwerksmeister also über ein fachspezifisches Programm in das Datennetz ein, so erhält er eine Oberfläche, die seiner Denkweise als Handwerker entspricht. Daß die Informationen, die er abruft, im Hintergrund von mehreren Rechnern zusammengestellt werden, darf er höchstens an den unterschiedlichen Antwortzeiten des Systems merken.
Besonderen Wert legen die Bürgernetze auf die Möglichkeit, über das System zu kommunizieren. In den Schulungen wird den Bürgern nahegelegt, zu jeder Informationsseite auch einen Hinweis zuzufügen, aus dem ersichtlich ist, wie der Informationsanbieter für Rückfragen zu erreichen ist. Die Browser des World Wide Web bieten hier elegante Möglichkeiten, einen Texteditor aus der Oberfläche heraus aufzurufen und elekronische Post zu versenden.
Im Sinne einer erweiterten Basisdemokratie bitten die Bürgernetze auch jeden Informationsanbieter, sich in sogenannten "Newsgroups” der öffentlichen Diskussion zu stellen. Es ist eine für unsere Kultur ungewöhnliche Verhaltensweise, eine Information über ein Medium zu bekommen und unmittelbar darauf zu antworten. Bisher war es z.B. nicht möglich, auf einen Zeitungsartikel direkt zu antworten. Es wird Aufgabe der Bürgernetze sein, die notwendige Sensibilisierung dafür herzustellen, daß auf eine Meinungsäußerung in einer Newsgruppe, die ja hierzulande immer noch so ein bißchen als Zeitung verstanden wird, sofort geantwortet werden kann. Mehr noch: Die Bürgernetze müssen die Einsicht vermitteln, daß es sich hier um eine "Zeitung zum Selberschreiben” handelt, die davon lebt, daß sich jemand traut, seine Meinung zu veröffentlichen.
Daneben werden über das Bürgernetz selbstverständlich die Möglichkeiten des "Chat” und des "IRC”, also des Schreibtelefons (IRC ist nur eine Konferenzschaltung von Schreibtelefonen) verfügbar sein. Und weil die Bürgernetze Bestandteil des Internet sind, wird die Kommunikation weltweit möglich sein.
Die Aufgaben der Bürgernetze sind vielfältig, wie eben beschrieben. Ein Teil davon ist im Sinne des Abschnitts "steuerbegünstigte Zwecke” der Abgabenordnung gemeinnützig. Dieser Teil ist organisatorisch in der Regel aus dem Betrieb ausgegliedert und wird durch einen Verein, dem sogenannten Förderverein des Bürgernetzes, wahrgenommen.
In Südbayern bestehen derzeit (Stand Februar 1996) 22 Fördervereine, von denen jeder den Aufbau eines eigenen Bürgernetzes vorantreibt. Daneben gibt es ca. 30 weitere Initiativen, aus denen heraus in Kürze Fördervereine gegründet werden. Alle Bürgernetze stehen in engem Kontakt zueinander, denn ein koordinierter Aufbau der Inhalte ist zur Erreichung der Ziele unerläßlich.
Durch die Inbetriebnahme der Bürgernetze soll insbesondere dem Gedanken des Art. 5 GG, also des freien Zugangs zu öffentlichen Informationsquellen, Rechnung getragen werden. Das Verhältnis der Bürgernetze zu privaten Anbietern ist also dahingehend zu verstehen, daß die Bürgernetze Basiswissen bereitstellen, das dann durch private Institutionen ergänzt wird.
Wie sich derzeit abzeichnet, ist das Anbieten von Einwahlmöglichkeiten
in das Internet bei den meisten Providern allenthalben "Zubrot”,
das notwendig ist, um gegenüber Inhaltsanbietern eine kritische
Masse an Abnehmern vorweisen zu können. Die Bürgernetze
könnten hier kommerzielle Provider entlasten. Diese könnten
die frei werdenden Resourcen dafür verwenden, die angebotenen
Inhalte qualitativ hochwertiger und mit höherer Präsenz
anzubieten. In Bayern könnte also ein völlig neues und
zunkunftsweisendes Szenario der Informationsverarbeitung entstehen,
das international richtungsweisend wäre.