Das Assessment Center: Natürlich bleiben
Bei vielen Unternehmen wird die Methode des Assessment Centers zur Auswahl neuer Mitarbeiter und zur
Personalentwicklung eingesetzt. Monika Nolte, Personalreferentin bei der Bayerischen Vereinsbank AG, erläutert
wie und aus welchen Gründen dieses Auswahlverfahren bei der Vereinsbank angewendet wird.
Gliederung:
Einführung
Ein gutes Examen, die Beherrschung einer Fremdsprache und das eine oder andere Praktikum reichen heute nicht
mehr aus, um als Hochschulabsolvent eine Arbeitsstelle zu bekommen. Die Unternehmen erwarten mehr als das an
den Hochschulen erlernte Wissen: Immer wichtiger bei ihren Bewerbern wird für sie der Faktor "Persönlichkeit".
Die Anforderung an die Persönlichkeit eines Bewerbers lassen sich jedoch - wenn überhaupt - nur sehr selten aus
dem Anschreiben oder dem Lebenslauf herauslesen. Daher kann eine gute Bewerbung, wie z.B. über das careernet,
lediglich ein "Türöffner" sein, die Chance also, sich persönlich bei einem Unternehmen vorzustellen.
Bei der Vereinsbank findet das erste Vorstellungsgespräch meist in Form eines persönlichen Interviews statt
oder als Round-table-Gespräch, an dem mehrere Bewerber gleichzeitig teilnehmen. Allerdings ist hier auch noch
nicht sehr viel über die Persönlichkeit des Bewerbers zu erfahren. Wer in diesem ersten Gespräch positiv auffällt,
wird daher zu einem weiteren und spezifischeren Auswahlverfahren eingeladen - dem Assessment Center (AC).
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Verschiedene Einsatzbereiche des AC
Das AC bei der Vereinsbank ist eine zweitägige Veranstaltung, in deren Rahmen Bewerber ihre persönliche Wirkung,
ihre Kommunikations- und Integrationsfähigkeit, Überzeugungskraft, ihr Engagement, ihr Organisationsvermögen und
ihre Entscheidungsfähigkeit sowie Denkleistung und Veränderungsbereitschaft unter Beweise stellen können.
Bei der Vereinsbank wird das AC in zwei unterschiedlichen Bereichen eingesetzt: einerseits im Rahmen des
sogenannten Auswahlseminars zur Auswahl von Hochschulabsolventen für den Berufseinstieg; andererseits im Rahmen
des sogenannten Entwicklungsseminars zur Auswahl von bereits erfahrenen Mitarbeitern, denen eine
weiterführende Aufgabe im Unternehmen anvertraut werden soll. In beiden Fällen besteht das AC aus Bausteinen wie
Einzel- und Gruppenarbeit, Rollenspiel, Gruppendiskussion und Präsentation.
Im AC zur Personalauswahl der Vereinsbank werden verschiedene Situationen in Form eines Szenarios
aufgebaut. Dabei wird bewußt auf einen bankspezifischen Background verzichtet, so daß das Auswahlseminar auch
für Bewerber von Studiengängen, die bisher nichts oder nur wenig mit dem Thema Banken zu tun hatten, beherrschbar ist.
Der Schwerpunkt der Vereinsbank-ACÆs liegt auf Wirtschaft und Vertrieb. Im Szenario werden die späteren Positionen,
die im Vertrieb, in der Kreditbearbeitung, oder im Zentralbereich Organisation und Informatik auf den potentiellen
Mitarbeiter zukommen, widergespiegelt. Auch werden kritische Situationen, die im Arbeitsprozeß auftreten können,
im AC simuliert.
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Feedback durch die Beobachter
Die Bewerber werden während des gesamten ACÆs von einer Beobachter-Jury aus verschiedenen
Bereichen des Unternehmens begleitet, die ihre Aktionen und Reaktionen genau registrieren. Um Beobachtungsfehler
zu vermeiden, erhält jeder Beobachter eine eintägige Einweisung. Ziel ist es, die Beobachter stärker in das
AC einzubinden und für die Urteilsfindung zu sensibilisieren. Nicht selten entwickeln die Beobachter, die
sich aus dem Kreis erfolgreicher Niederlassungsleiter rekrutieren, im Verlauf des AC so viel Interesse für
einen Kandidaten, daß dieser noch auf dem AC für die Mitarbeit in der eigenen Niederlassung akquiriert wird.
Durch das AC erzielt die Vereinsbank somit hohe Akzeptanz für den neuen Mitarbeiter und großes Engagement für
dessen Einarbeitung.
Bei der Vereinsbank werden übrigens alle Bewerber bis zum Ende eines ACÆs getestet - keiner muß mittendrin
abreisen. Nach Ablauf de zwei Tage entscheiden die Beobachter gemeinsam und einstimmig in der Beobachterkonferenz
darüber, ob ein Bewerber ein Angebot bekommt oder nicht. Jeder Teilnehmer erhält ein persönliches Feedback
mit einer detaillierten Analyse seiner Stärken und Schwächen.
Die Möglichkeit, die Durchführung des Assessment Centers zu "outsourcen", gewinnt im Zeitalter des Lean-Managements
viele Anhänger: Recruiting-Agenturen schießen wie Pilze aus dem Boden. Aus er Sicht der Vereinsbank hat jedoch
der Einsatz unternehmensfremder Personen zur Durchführung des ACÆs einen gravierenden Nachteil: Der Bewerber hat
kein Möglichkeit, einen Dialog mit potentiellen Kollegen zu führen. Uns ist aber besonders wichtig, daß nicht nur
die Bewerber unter die Lupe genommmen werden, sondern auch, daß sie in zwei Tagen möglichst häufig Gelegenheit
erhalten, mit Mitarbeitern der Vereinsbank in Kontakt zu treten.
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Nutzen des AC's für das Unternehmen
An ACÆs wird oft kritisiert, daß sie nicht die tatsächlichen Arbeitssituationen in ihrer
ganzen Komplexität und Vernetzung abbilden und somit auch keinen realen Eindruck vom Verhalten und der
Persönlichkeit potentieller Mitarbeiter in entsprechenden Arbeitssituationen geben können. Und in der Tat
ist die Methode AC nicht die ideale Lösung zur Abbildung der Wirklichkeit. Doch hat sich gezeigt. daß mit
Hilfe des ACÆs eine geeignete Auswahl an Fach- und Führungskräften gewinnen können. Wir haben bei der
Evaluation unseres Auswahlseminars einen positiven Zusammenhang zwischen diesen Ergebnissen und der erreichten
Hierarchieebene der auf diese Weise gewonnen Mitarbeitern festgestellt. Auch in ökonomischer Sicht hat
nach Berechnungen der Kienbaum-Personalberatung das Auswahlseminar im Vergleich zum Interview positiv
abgeschnitten - das AC hat sich also für die Vereinsbank als ein probates Mittel zur Mitarbeitergewinnung
und -förderung erwiesen.
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Keine kurzfristige Vorbereitung möglich
An dieser Stelle sei ausdrücklich betont, daß sich Bewerber unserer Meinung nach eigentlich nicht - zumindest
nicht kurzfristig - auf ein AC vorbereiten können. Es genügt, wenn sie ausgeschlafen, möglichst fit und
pünktlich erscheinen.
Die Qualifikation, die Bewerber benötigen, um Erfolg im AC zu haben, lassen sich jedoch
langfristig aneignen - insbesondere während des Studiums: Hier gibt es eine Fülle von
Möglichkeiten, um im persönlichen Bereich Erfahrungen zu sammeln: Warum beispielsweise nicht die Praktika
in mehreren Branchen machen, um die unterschiedlichen Unternehmenskulturen, Menschen und Aufgaben kennenzulernen?
Nie wieder im Leben hat man die Chance, mit geringem Risiko in verschiedene Bereiche von Wirtschaft und Industrie
einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Zum Thema Teamfähigkeit kann man sicherlich auch mehr lernen,
wenn man in einer Lerngruppe gemeinsam den Stoff bewältigt und nicht allein vor seinen Büchern sitzt. Auch
das Engagement in einer studentischen Vereinigung oder auch im sportlichen und sozialen Bereich bringen viele
persönliche Erfahrungen.
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Verstellen bringt nichts
Versuche , sich beim AC zu verstellen, um ein möglichst positives Bild abzugeben, fallen in aller Regel den
Beobachten - unangenehm - auf. Bei der permanent Streßsituation, in der die Bewerber während des ACÆs stehen,
wird es außerdem schwer, sich auf Dauer zu verstellen und ständig eine Rolle zu spielen. Wer meint, er müsse
den knallharten Typ, der seine Ideen und Konzepte ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzt, spielen, der sollte
wissen, daß dies in den meisten Fällen nicht die Art des neuen Mitarbeiters ist, der gesucht wird.
Abschließend sei gesagt, daß das Assessment Center kein "Hexenwerk" ist - niemand muß angsterfüllt in ein
solches Verfahren gehen. Im Vordergrund des ACÆs steht, daß sich Unternehmen und potentielle Mitarbeiter
in diesen Tagen intensiv kennenlernen sollen. Wenn im Einzelfall die Entscheidung nicht zugunsten des Bewerbers
ausfällt, ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Absage an dessen Persönlichkeit und Qualifikation. Es
bedeutet schlicht, daß es zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht gepaßt hat. Und die Teilnahme an einem
Auswahlverfahren ist für den Bewerber auch eine lehrreiche Erfahrung, die ihm beim nächsten Bewerbungsgespräch
oder AC auf jeden Fall zugute kommt.
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Bausteine eines Assessment Centers
Im AC müssen die Kandidaten sowohl Gruppenaufgaben ("einer gegen alle", "einer gegen einen anderen")
als auch Einzelaufgaben ("jeder für sich", "einer gegen alle") lösen. Die Anzahl des
AC-Bausteine und deren Zusammensetzung variieren von Unternehmen zu Unternehmen. Die am häufigsten verwendeten
Übungen sind:
- Präsentationen und Vorträge (beispielsweise zur Vorstellung der eigenen Person)
- Rollenspiele (einzeln oder in der Gruppe)
- Einzelinterviews
- Gruppenarbeit (Kooperationssituationen, Wettbewerbssituationen)
- "Postkorb" (unter Zeitdruck muß ein bestimmtes Arbeitspensum verarbeitet werden)
- verschiedene psychologische Tests.
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Literatur zum Thema AC
Job Fit, Band 4: Assessment Center - Training, DSV Studenten Verlag GmbH, St. Gallen
Brenner/ Giesen: Individuell bewerben - Karrierestart für den Führungsnachwuchs, Staufenbiehl Institut für Berufs- und Ausbildungsplanung Köln GmbH
Claus Coelius: Bewerben nach dem Studium, CC-Verlag GmbH, Hamburg
Claus Coelius: Fit fürs Assessment Center, CC-Verlag GmbH, Hamburg
Jürgen Hesse: Assessment Center: Das härteste Personalauswahlverfahren, Eichborn Verlag, Frankfurt
Holger Beitz, Andrea Loch: Assessment Center: Erfolgstips und Übungen für Bewerberinnen und Bewerber, Falken Verlag, Niedernhausen
Wolfgang Jeserich: Mitarbeiter auswählen und fördern. Assessment Center-Verfahren, Hanser Verlag, München, Wien
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