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Die Frontal-Reporter Rita Stingl, Beate Thorn und Alois Theisen berichten
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Nicole M., betroffene Mutter Ich habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen, ich stehe jetzt hier als angebliche Kinderschänderin, wie gebrandmarkt irgendwo. Ich habe selbst zwei kleine Kinder, die hier im Verfahren eine Rolle spielen, die aber nie einen ärztlichen Befund hatten, noch einen psychologischen Befund, der auf einen Mißbrauch schließen könnte. Was soll ich dazu sagen, bei der Art von Ermittlungen, wie sie hier gelaufen ist, denke ich, daß jeder der Kinder hat oder mit Kindern zu tun hat, an meiner Stelle sitzen könnte. November 94. In Mainz beginnt der größte Prozeß gegen mutmaßliche Kinderschänder, den es je in Deutschland gegeben hat. Angeklagt sind 24 Männer und Frauen - Väter, Mütter, selbst Omas und Opas. Mehr als hundert Mal sollen sie Kinder sexuell mißbraucht haben. Insgesamt 16 Jungen und Mädchen, das Jüngste sechs Monate, der Älteste zehn Jahre. Am Anfang schien alles so klar: Doch das Wormser Kinderschänder-Verfahren ist ein Lehrstück dafür, wie aus Aufdeckungseifer Panik werden kann. Zwei Jahre später sind alle Angeklagten frei. Das Gericht sieht keinen dringenden Tatverdacht mehr. Es waren vor allem die Aussagen der Kinder, die Elternpaare wie Sandra und Klaus H. hinter Gitter brachten. Sie beteuern, ihre Kinder nicht mißbraucht zu haben. Die Vorwürfe seien in die Kinder hineingeredet worden. Ihnen geben sie keine Schuld. Sandra H., betroffene Mutter Nicht nur meinen Kindern nicht, überhaupt den Kindern kann man keinen Vorwurf machen. Das ist für mich das Schlimmste, daß die - sagen wir mal - regelrecht einer Gehirnwäsche ausgesetzt waren und dermaßen beeinflußt wurden, daß die Kinder selbst nicht mehr wissen: was ist richtig, was ist falsch? Was war? Was war nicht? Was angeblich war, soll vor mehr als drei Jahren in dieser Beratungsstelle ans Licht gekommen sein - bei "Wildwasser", einem Verein, der sich selbst parteilich-feministisch nennt. Ute Plass hat hier gerade ihre neue Stelle angetreten. Eine kaufmännische Lehre hat sie absolviert und ein religionspädagogisches Fernstudium. Nach den Vorschriften des Landes ist sie als Fachkraft für Kinderschutz nicht qualifiziert. Über ihre Arbeit führt sie Tagebuch. Ihr erster Fall ist Jenny, ein Scheidungskind. Direkt in der ersten Stunde, die dem Kennenlernen dienen soll, drückt sie Jenny die für Wildwasser wichtigen anatomischen Puppen in die Hand. Tagebucheintragung der Ute Plass "Weiß beim Baby-Jungen das Geschlechtsteil zu benennen: Schniedel. Sagt jedoch nichts, als ich sie nach dem Geschlechtsteil der Mädchenpuppe befrage." Ein Interview wollte uns Frau Plass heute nicht geben.
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Ute Plass, ehem. "Wildwasser"-Mitarbeiterin im Nov. 1994 Es ist auch ganz wichtig, daß wir auch Erwachsenenpuppen haben, mit ausgeprägten Geschlechtsmerkmalen, das heißt, wir haben jetzt sehr oft erfahren, daß besonders kleine Kinder ja nicht erzählen können, was ein oraler Mißbrauch ist, sondern die Kinder nehmen sich die Puppen, und irgendwann im Spiel bei dieser männlichen Puppe, da wird der Penis in den Mund einer Kinderpuppe eingeführt und das geschieht sehr oft ganz kommentarlos.Solche Puppen reizen Kinder dazu, auszuprobieren, was wo reinpaßt. Doch wenn das Kind so mit den ungewöhnlichen Puppen spielt, gibt es der "Wildwasser"-Betreuerin angeblich schon Signale über einen sexuellen Mißbrauch. Daß die anatomischen Puppen Kinder zu vermeintlichen Sexspielen verleiten können, hält Wildwasser für ausgeschlossen. Genau das aber haben Aussagepsychologen mit Experimenten nachgewiesen. Professor Dr.Udo Undeutsch, Psychologe, Universität Köln Bei ärztlichen Untersuchungen: einige Kinder werden nur oben rum untersucht. Andere müssen auch unten rum untersucht werden. Dann werden die Kinder anschließend gefragt: "Wo bist du denn untersucht worden?" Und selbstverständlich machen die Kinder richtige Angaben. Dann wird die gleiche Frage wiederholt, indem den Kindern eine ausgezogene anatomische Puppe in die Hand gegeben wird. Und siehe da, mit dieser Puppe in der Hand fangen die Kinder an, falsche Aussagen zu machen. Sie sagen nicht nur, sondern sie zeigen auch an der Puppe, "Ich bin da berührt worden und dort berührt worden, und zwar unten herum", obwohl sie in Wahrheit überhaupt nicht ausgezogen gewesen sind, unten herum. Wir sehen also, daß diese anatomischen Puppen zu massiven falschen Aussagen - speziell auf sexuellem Gebiet - verleiten. Ein Kinderbuch legt Ute Plass Jenny als nächstes vor. So will sie ihr Mut machen, das böse Geheimnis preiszugeben. Was immer das Kind beim Betrachten der Bilder sagt - Frau Plass sieht es durch eine ganz bestimmte Brille: Allerweltsbeobachtungen nähren so ihren scheußlichen Verdacht. Jenny nennt Namen, immer mehr Kinder geraten so in das Tagebuch der Ute Plass und werden von ihr befragt. Tagebucheintragung der Ute Plass "Im Gegensatz zu Jenny erinnert Robert nichts. So sagt er jedenfalls. Entnehme Robertæs Verhalten, daß er sehr wohl Bescheid weiß.Isabell flüstert mir ins Ohr, daß dies nicht stimme, der Jürgen hat nichts gemacht...wiederholt, es wäre nichts passiert. Sage ihr, "ja, das stimmt, heute ist nichts passiert, aber es ist vorher passiert, wo der Jürgen dir wehgetan hat". Isabell nickt dazu." Später wird das Verhalten von Ute Plass als unzulässige Einflußnahme kritisiert werden, auch von der Mainzer Staatsanwaltschaft. Hans Seeliger, Leitender Oberstaatsanwalt, Mainz Ab einem gewissen Zeitpunkt haben wir gesagt, jetzt ist Schluß. Was habe ich denn davon, nachher mit Kinderaussagen an die Öffentlichkeit zu gehen, die im Grunde genommen nichts wert sind. "Warum waren sie nichts wert, warum sind sie zu dieser Erkenntnis gekommen?" Weil wir zu dem Ergebnis gekommen sind, daß in der Tat hier die Frau Plass in einer Form überzogen hatte, die nach unserem Gefühl hier nicht gerade - was die Glaubwürdigkeit betrifft - bei der Begutachtung förderlich ist.
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Damals bremst keiner den Aufdeckungseifer der Ute Plass. Sie holt Isabell mit Hilfe des Jugendamts von zu Hause weg, bringt sie ins Heim. Die Kleine wird gefragt, wer noch böse sei. Sie nennt Namen. Bei Frau Plass entsteht die Idee eines Pornorings. Sie fragt nach Filmen. Isabell nickt dazu. Aus der Zusammenarbeit von Wildwasser und Jugendamt wird ein Dreierbündnis. Die Staatsanwaltschaft greift ein. 24 Erwachsene werden verhaftet, 16 Kinder kommen ins Heim. Sandra H., betroffene Mutter Mein Sohn Sebastian und die Marina saßen hier bei meinem Mann, weinend, haben sich regelrecht an ihn geklammert, Christian saß da drüben, hat auch geweint. Irgendwann kam dann die Ute Plass, stürzte sich regelrecht auf den Christian, weil er mehr oder minder alleine daneben saß und meinte, jetzt braucht ihr keine Angst mehr zu haben, Frau Plass ist da und schützt euch. Nach den Eltern wird auch die Oma dieser Kinder verhaftet. Lissy H., betroffene Oma Dann bin ich mit alleine ins Zimmer bei der Staatsanwältin und auf einmal sagt sie, lügen ihre Enkel, und da habe ich gesagt, eigentlich nicht, nicht mehr und nicht weniger als andere Kinder auch. Und da sagt sie, gut, dann haben die Kinder die Wahrheit gesagt und sie haben gelogen. Dann sind zwei Männer von der Kripo rein gekommen, fort war ich - verhaftet. Auch bei den Eltern dieser beiden Jungen erscheint der Staatsanwalt. Sie glaubten zunächst an einen Irrtum. Nicole M., betroffene Mutter Das Schlimmste für mich war dann der nächste Tag, weil ich dachte an einem Stück, ja gut, wir haben gedacht, wir kommen jetzt zu dem Haftrichter, das klärt sich und wir fahren dann nach Hause, holen die Kinder. Das war so mein Gedanke, ich hatte ja nichts mit der Sache zu tun, also warum sollte ich da irgendetwas befürchten. Ich dachte halt, der Haftrichter wird das dann schon irgendwie aufklären. Ich hatte ja gar keine Vorstellung, was eigentlich ein Haftrichter ist, wie das dort läuft, das hatte ich nicht. Und als dann der nächste Abend da war und ich in Mainz in meiner Zelle gesessen habe, da war dann Ende. Dann dachte ich, was denkt der Kleine jetzt, ich habe dem versprochen, ihn zu holen. Ich war also total durcheinander.
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Weiter in Kapitel 2
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