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Belgien kommt nicht zur Ruhe. Neue, grauenvolle Leichenfunde verunsichern das Nachbarland. Angst vor einem weiteren Serienmörder macht sich breit. Dabei ist der Fall des Kinderschänders Dutroux noch lange nicht aufgeklärt. Der hat dazu geführt, daß die Belgier ihren Glauben an Politik und Justiz verloren haben. Ein Kriminalfall stürzt das ganze politische System in die Krise. Die Folgen: ein moralisches Vakuum, das die Eltern der ermordeten Kinder mit ihrer "weißen Revolution" zu füllen versuchen. Ihr Mißtrauen ist grenzenlos. Sie verlangen immer dringlicher, die Hintermänner der schrecklichen Verbrechen dingfest zu machen. Sie und die meisten Belgier sind überzeugt, daß es diese Hintermänner gab, und daß sie es waren, die Dutroux vor dem Zugriff der Polizei geschützt haben. Soviel ist inzwischen bekannt: Ein undurchdring-licher Filz aus Protektion und Korruption hinderte Polizei und Justiz daran, Belgiens Bürger und ihre Kinder vor Triebtätern zu schützen.
Heute hat der Dutroux-Untersuchungsausschuß seinen Bericht vorgelegt.
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Ein Beitrag von Karin Storch Plötzlich verpönt, Brüssels Maneken Pis. Der schamlos Pinkelnde, pausenlos fotografierte Bube ist den Behörden peinlich. Klammheimlich wurde sein Werbeplakat am Flughafen entfernt. Diskret soll er aus Prospekten und Büchern verschwinden, mit denen das Touristenamt Fremde nach Belgien lockt. Man fürchtet das Image "Kinderschänderland".
Köpfe rollen dagegen keine, auch nach dem Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht. Der Polizist René Michaux wurde bloß versetzt. Michaux hatte das Haus von Dutroux durchsucht, als die verschleppten Kinder Julie und Melissa dort noch lebten. Hinter einer hohlen Wand vermutete er einen Wasserspeicher, kein Verlies für sexuelle Folter. Daß Dutroux keine heiße Spur wäre, hätte ihn seine Chefin wissen lassen. Da sei wohl viel hinter seinem Rücken gelaufen. Fahndungspannen und Filz, nun sind sie aktenkundig. Wer schützte wen?
Claude Eedekens, Fraktionsvorsitzender Sozialistische Partei
Wir haben bisher keine Zeit gehabt, um das Kapitel Protektion zu untersuchen.
Der Ausschuß benötigt einen zusätzlichen Auftrag des Parlaments, um festzustellen:
Wir sind die Hintermänner? Wen haben Sie gedeckt. Das müssen wir in Bezug auf Nihoul und andere Personen herausfinden, die verdächtig sind, bestimmte Personen zu decken. Wie Derochette, der das Verbrechen an der kleinen Loubna Benaissa beging.
Die neunjährige Loubna lief am 5. August 1992 mittags nochmal schnell zum Aldi-Markt, um einen Joghurt einzukaufen. Ein wegen der Vergewaltigung kleiner Jungen vorbestrafter Tankwart griff sie sich. Stunden später war Loubna tot. Im März, fünfeinhalb Jahre nach der Tat, wurde Patrick Derochette verhaftet. Ein Einzeltäter, keine Verbindung zur Kinderschänderbande um Dutroux, Fall gelöst. Die offizielle Version. Da atmen einige auf.
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"Loubna könnte noch leben", schreibt der belgische "Le Soir". Der Fall ist typisch für Schlamperei und Protektion. Der einschlägig vorbestrafte Nachbar, früh verdächtig, besaß ein Alibi. Er aß mit Vater und Bruder zu mittag. Das genügte der belgischen Polizei.
Loubna hat die sexuelle Quälerei nicht Stunden, sondern Tage überlebt. Aber weil ein H mit einem K auf einem Autokennzeichen verwechselt wurde, ging man auf die Aussage der Freundin nicht ein, die Loubna 13 Tage nach der Entführung auf dem Rücksitz eines Autos sah. Erst jetzt stießen die Fahnder über das Autokennzeichen prompt auf Derochette. Suchplakate waren nur privat gedruckt worden. Derochette hing selber eines an der Tankstelle aus. Aufgrund eines anonymen Briefes durchsuchte die Polizei im Oktober zwei Mal das Haus von Derochette. Die Beamten nahmen ein paar Kinderpornokassetten mit und dachten sich selbst auf dem Höhepunkt des Dutroux-Skandals nichts dabei. Fahndungspannen?
Mittlerweile traute sich eine neue Zeugin vor, aus Albanien - damals illegal in Brüssel - der Landessprache nicht mächtig. Loubna sei bei Aldi von zwei Männern in einen hellen Lieferwagen gezerrt worden. Der Fahrer - Michelle Nihoul.
Nihoul, der Brüsseler Wahlhelfer mit den schillernden Geschäften, den Beziehungen zum politischen Establishment, ließ sein Auto bei Dutroux reparieren und er tankte regelmäßig bei Derochette auf.
In diesem Gebäude befand sich der Nacht- und Sexclub Dolo. Nihouls Lebensgefährtin managte ihn. Zur Tankstelle, wo Loubna jahrelang tot in der Kiste lag, sind es nur ein paar Schritte. Derochette verbrachte ganze Nächte im Dolo.
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![Sexclub](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/sexclub.jpg) |
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![Baranyana](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/barany~1.jpg)
![Derochette](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/deroch~1.jpg)
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Für Nihouls Anwältin sind das Zufälle. Ihr Mandant sei ein Pechvogel. Er habe jahrelang an Sexparties mit Partnertausch teilgenommen, diese Gesellschaftsspiele aber nie selber organisiert.
Virginie Baranyana, Anwältin von Nihoul
Ist er da etwa wichtigen Personen begegnet, die im Zusammenhang mit dem Fall Dutroux stehen? Man hat Fotos mit Nihoul beschlagnahmt und alles durchgeschaut, aber keine wichtigen Leute gefunden.
Vor dem Parlamentsausschuß, hinter verschlossenen Türen, fielen prominente Namen. Nihoul soll die Protektion eines Parteivorsitzenden, eines Landesministers und vor allem des ehemaligen Ministerpräsidenten, Verteidigungsministers und Ex-Bürgermeisters von Brüssel, Paul van den Boeynants genossen haben. Nur eine Zeitung druckte die Namen.
Nihoul, der stadtbekannte Lebemann, geht auf Krücken. Der einstige Inhaber eines Cateringservices für die Reichen und die Prominenten hat im Gefängnis kräftig abgenommen. In der Trutzburg von Arlon sitzen seltsamerweise Nihoul, Dutroux und Derochette ein. Wegen der Kindermorde vor Gericht gestellt worden ist noch keiner.
Derochette teilte dem Gefängnisdirektor mit, er habe Loubna im Auftrag von Dutroux entführt. Der Direktor tat es als Hirngespinst ab. Dutroux wollte vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß aussagen. Der Ausschuß lehnte es aus juristischen Gründen ab. Nihoul hat in der Zelle ein Buch geschrieben. Namen würde er nennen. Einen Verleger hat er noch nicht. Einer wird sich noch in dieser Woche dem geneigten Leser offenbaren: Belgiens stellvertretender Ministerpräsident Evio Di Rupo, der für seine Vorliebe für allzu junge Männer ganz bös in die Schlagzeilen geriet. Der Buchtitel: Von der Puppe zum Schmetterling. Wie romantisch. Di Rupo ist selbstverständlich noch im Amt. Die Wahrheit muß man suchen.
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