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![Kienzle](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/kienzl~2.gif) |
Sylt bleibt einsame Spitze. Es ist nach wie vor Deutschlands beliebteste Ferieninsel. Ein Tummelplatz der Bussi-Schickeria. Sylt ist aber auch Spitze im Drogenmißbrauch. 20.000 Einwohner leben zwischen List und Hörnum. Nicht mal ein Prozent der schleswig-holsteinischen Bevölkerung. Auf Sylt registriert die Kripo jedoch 5 Prozent der Drogenabhängigen im nördlichsten Bundesland.
Es sind aber weniger die Touristen, die Drogen nach Sylt importieren. Das Problem ist hausgemacht.
Ein Thema, das der Fremdenverkehrsverband verständlicherweise verschweigt. Schließlich lebt die Insel vom schönen Schein. Um so mehr sorgt sich die Kriminalpolizei. Heroin, Kokain und Extasy. Alles teurer als auf dem Festland. Drogenexperten vermuten einen Zusammenhang zwischen Luxus und Elend. Viele ertragen das Ferienparadies offensichtlich nur noch im Rausch.
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Ein Beitrag von Tilmann Jens
Der Inselpastor sagt æSylt sei gut für die SeeleÆ. Konrad F., 25, zu Lebzeiten wohnhaft in Tinnum, ist hier zerbrochen. Deutschlands nördlichstes Eiland zählt zu den teuersten Plätzen der Republik. Er hat das Privileg seiner Sylter Jugend gar mit dem Leben bezahlt: Heroin! Urlaubsgrüße vom Nordsee-Strand: eine Postkarte, ein Polizeifoto. Der einsame Tod eines Fixers.
Wieviele Menschen haben Sie so verloren, an Freunden, Freundinnen, in den letzten Jahren?
Anja K.
Viele. Viele durch Selbstmord. Viele durch Überdosis.
Wieviele?
Also in den letzten drei Jahren würde ich mal sagen zehn.
Das Problem wurde über Jahre verdrängt: Sylt ist ein profitables Stückchen heiler Welt, rein ist die Luft und rauh ist die See. Und wenn es Probleme gibt, dann diktiert die der Küstenschutz. Dabei haben Heroin und Kokain ganze Familien zerstört, auch die der Fußpflegerin aus Westerland.
Die Fußpflegerin
Ja, ich habe drei drogenabhänige Kinder und eine Schwiegertochter, die drogenabhängig ist. Ich hab's nicht begriffen, weil ich immer gemeint habe, ich habe ihnen irgendwie ein ordentliches Zuhause geboten, ich habe ihnen ein ordentliches Leben dargestellt. Das war schon sehr schwierig für mich, mir selbst einzugestehen, daß ich drogenabhängige Kinder habe. Und irgendwann habe ich den Punkt, daß ich sage, es geht nicht mehr, daß ich immer Angst haben muß, spricht dich jemand drauf an. Daß ich einfach gesagt hab', ich stehe jetzt dazu, daß das so ist, wie es ist.
Tochter der Fußpflegerin
Es wird ganz viel gemacht, so daß der Deckel drüber gehalten wird. Meine Kinder, die nehmen keine Drogen, die werden dann erstmal verfrachtet aufs Festland, damit überhaupt keiner erstmal was mitkriegt, damit kein Verdacht geschöpft wird, damit überhaupt gar nicht erst der Gedanke aufkommt, da hat man irgendetwas mit zu tun.
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Doch die erschreckende Bilanz läßt sich nicht länger verdecken. Sylt steht ganz oben, nicht nur bei den Übernachtungszahlen. Von den 20.000 Insulanern konsumieren rund 200 harte illegale Drogen.
Heiner Jensen, Drogenberatungsstelle Westerland
Also wir können sicherlich mit den Großstädten Hamburg, Frankfurt und Amsterdam gleichziehen. Also prozentual haben wir ungefähr den Schnitt an Abhängigen zu der Bevölkerungszahl dieser Insel.
Was die Kurdirektoren gerne verschweigen: Im Friesen-Idyll floriert die Kriminalität. Wenn es um Drogen geht, wird zwischen Keitum und Kampen geklaut, gehehlt und munter erpreßt.
Peter Iden, Kripo Westerland
Ich kenne aktuelle Beispiele aus Ermittlungen, die wir geführt haben, daß ein nicht-abhängiger Kieler Dealer hier regelmäßig auf die Insel gekommen ist, seinen Stoff sehr teuer verkauft hat, die Drogenschulden sogar unter Vorhalten einer Schußwaffe bei Eltern von Abhängigen eingetrieben hat.
Und da auf Sylt nun einmal beinah alles teuer und der Weg über den Damm für Drogenkuriere zudem gefährlich ist, sind auch die Heroinpreise einsame Spitze.
Anja K.
In etwa - sag ich mal - daß man hier für ein Gramm Heroin oder Kokain, ganz egal, 300 Mark bezahlt für ein Gramm und wenn man nach Hamburg fährt, bezahlt man für fünf Gramm 150 Mark.
So ist auch Anja K. häufig selber nach Hamburg gefahren, um Stoff für sich zu kaufen - und bisweilen auch noch ein bißchen mehr. An diesem Mittwoch wird sie in Morsum erwartet, dem ersten Inselbahnhof nach dem Hindenburg-Damm. Zivilfahnder sind ihr den ganzen Tag gefolgt. Noch an den Gleisen wird Anja K. verhaftet. 23 Gramm Heroin werden bei Anja K. gefunden, die krank ist, nicht mehr arbeiten kann und - so der Vorwurf der Polizei - den eigenen Konsum mit Kleindealerei finanziert. Wenige Stunden später wird Anja K. freigelassen - bis zum Beginn des Strafverfahrens.
Seit 15 Jahren gibt es, getragen von der Kirche, eine Beratungsstelle für Suchtkranke auf Sylt. Spritzen werden getauscht, Wege zu Entgiftungen und Substitutionsprogrammen geöffnet. Vor allem aber - wie auch für Simone B. - Gesprächsmöglichkeiten angeboten, Therapieplätze in Kliniken organisiert. Simone B., 25, seit mehr als zehn Jahren abhängig, ist seit einem Jahr auf Methadon. Ohne die Beratungsstelle, sagt sie, wäre sie vollends verloren.
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![Kueche](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/kueche.jpg)
![](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/spritzen.jpg)
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![Strand](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/strand.jpg) |
Sie lebt am Rand von Westerland, in einem Block am Flughafen, in den sich noch kein Kurgast verirrte. Das krasse Gegenstück zur Reetdach-Romantik: Sylt von ganz unten. Kein eigenes Klo. Kein eigenes Bad. Und keine Aussicht auf Veränderung. Die Mieten sind horrend auf der Insel. Raum gibt es vornehmlich für die solventen Gäste.
Simone B.
Mietpreise, daß Insulaner wegziehen müssen, wenn ich das jetzt so sehe, daß hier dann teilweise, fast größtenteils des Jahres, irgendwelche Wohnungen leerstehen, die nur als Ferienwohnungen genutzt werden, von irgendwelchen Leuten, da werde ich echt manchmal wütend. Da würde ich am liebsten einsteigen und mich da reinsetzen und auch mir's mal gutgehen lassen. Also die Leute laufen so verlogen 'rum und merken gar nicht, daß da jemand echt vor ihren Füßen verreckt, fast. Die steigen noch drüber und sagen "ach ist das Meer schön blau" - so nach dem Motto.
Im Urlaub wird die Sau rausgelassen, nicht nur hier in Kampens legendärer Whisky-Straße. Mehr als 6 Millionen Gästebetten werden jährlich zwischen List und Hörnum vermietet. Die Touristen bringen das Geld, ihnen gehört die Insel. Da haben einheimische Jugendliche keinen Platz. Das hat Spuren hinterlassen.
Die Beratungsstelle. Der Mülleimer mit den Einwegspritzen ist einer der wenigen Orte, die den Drogenabhängigen auf Sylt alleine gehören. Das weckt Bitterkeit.
Tochter der Fußpflegerin
Exzessiv leben, daß tut hier jeder irgendwie.
Sohn der Fußpflegerin
Irgendwas haut sich hier jeder rein.
Tochter der Fußpflegerin
Ja, also es haben hier alle æne Macke, irgendwie.
Anja K.
Also ich für meinen Teil, ich müßte eigentlich die Insel verlassen normalerweise, um mein neues Leben anzufangen, um von der Droge abzukommen, neue Menschen, neue Freunde kennenzulernen. Aber ich hab' schon zweimal probiert hier weg zukommen, und ich schaff's einfach nicht.
Simone B.
Wenn ich meinen Hund nicht hätte, wäre ich vielleicht eher schon weg. Aber so für den Hund ist es landschaftlich sehr schön.
Doch wehe dem, der hier nicht als Hund aufwachsen darf. In Wenningstedt ist gerade wieder ein junger Mann gestorben. An einer Überdosis Heroin. Schon der Dritte in diesem Jahr. Auftakt einer Badesaison.
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