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![Kienzle](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/kienzl~2.gif) |
Es ist ein Fall wie aus dem Lehrbuch. 95 Jahre lang hat die Geheimgesellschaft funktioniert. Sie hat zwei Weltkriege überlebt, zwei Währungsreformen und drei politische Systeme. Erst kürzlich wurde das erfolgreichste deutsche Kartell aufgedeckt - ein Triumph für das Berliner Kartellamt. Seit 1902 haben deutsche Stromkabelhersteller Preise abgesprochen und Märkte aufgeteilt. Zum Nachteil der Stromverbraucher. Starkstromkabel waren in Deutschland bis 1990 deshalb doppelt so teuer wie im europäischen Ausland. Marktwirtschaft pervers. Daß so etwas so lange ungestraft geschehen konnte, macht natürlich nachdenklich. Aber schon Adam Smith, der Begründer der Nationalökonomie, hat 1776 die "gemeinsame Raubgier und den Monopolgeist der Fabrikanten beklagt". Daran hat sich nichts geändert. Die Kabelbrüder machten jedoch einen typisch deutschen Fehler: Ihre Gründlichkeit und ihre Bürokratie wurde ihnen zum Verhängnis.
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![Hintersetzer](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/hinter~3.gif) |
Ein Bericht von Uli Gack
18. September æ96, Punkt 10 Uhr. Der erfolgreichste Tag in der Geschichte des Bundeskartellamtes beginnt. Es ist zugleich die schwärzeste Stunde für die deutschen Hersteller von Starkstromkabeln. Ganz oben auf der Zielliste: Der æFachverband Kabel und Isolierte DrähteÆ. Hier haben Manager bis zu drei mal in der Woche um Marktanteile gefeilscht. Und hier, bei der Kölner Elektro-Treuhand - einer Tochterfirma - überwachte eine komplette Buchhaltungsabteilung die Einhaltung der abgesprochenen Quoten. Das Kartell hatte jahrzehntelange Erfahrung. Man fühlte sich so sicher, daß nicht einmal die Anwesenheit der Kriminalpolizei, die hier zur Untermiete logiert, beeindruckte. Das Kartell wäre wohl nie aufgeflogen, wenn nicht ein ehemaliger Mitarbeiter eines Kabelherstellers ausgepackt hätte. Er hatte der Berliner Behörde detailliert geschildert, welche Firmen beteiligt sind, wer in dem Verein was zu sagen hat und in welchem Zimmer brisante Akten stehen. Ursprüngliche Geldbuße 400 Millionen Mark. Man ließ sich dann auf 280 Millionen herunterhandeln.
Siemens, ABB, Alcatel-Töchter wie Kabel-Rheyd, Felten und Guillaume, insgesamt 14 Unternehmen hatten mitgemischt. Der Ex-Kabelwerker hatte so gezielt aus dem Nähkästchen geplaudert, daß das Kartellamt schon nach acht - monatiger Ermittlungszeit Bußgeldbescheide verschickte.
Und noch ein Rekord. Der Gesamtfall wurde von nur einem einzigen Beamten bearbeitet. Von so einem Riesending hatten die Wettbewerbshüter bisher nicht mal zu träumen gewagt. Ein Musterbeispiel für so ziemlich alles, was nach dem Kartellrecht verboten ist.
Harald Lübbert, Bundeskartellamt Berlin
Es war marktumfassend, lückenlos durchorganisiert bis ins Letzte, mit eigener Kartellbuchhaltung, Meldesystem, Sanktionen. Ja, um dieses Kartell durchzusetzen, mußte natürlich eine Aufteilung der Kunden vorgenommen werden. Man hatte ja vereinbart, das jedes Unternehmen einen bestimmten Marktanteil bekommt. Um das zu realisieren, mußte man Preis- bzw. Rabattabsprachen treffen, um die einzelnen Kunden absprachegemäß zu steuern. D.h., man mußte durch sein Angebot die Kunden veranlassen, die Aufträge so zu vergeben, daß der vorher festgelegte Marktanteil erreicht wurde. Und das hat man eben bei 1598 Kunden getan.
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1598 Kabelkunden in einem Zeitraum von drei Jahren. Was zuvor geschah ist kartellrechtlich verjährt. Es interessiert die Berliner Behörde lediglich am Rande. Doch die Kabelhersteller haben Tradition. Bereits 1902 wurde ein erstes Kartell gegründet. Das war unter Geschäftsfreunden damals so üblich und vollkommen legal.
Und während Wilhelm zwo gegen Erzfeind Frankreich rüstete, machte das Kabelkartell wohl satte Gewinne. Wieviel Geld letztendlich die Aktionäre kassierten, läßt sich nicht mal mehr schätzen. Doch eines scheint gewiß: Die Kartellbrüder dürften wohl nicht unbedingt zu den Kriegsverlierern gerechnet werden. Trotz Inflation und allgemeinem Durcheinander ging es zu Zeiten der Weimarer Republik weiter bergauf. Gemäß den Kartellabsprachen versteht sich. Die Kölner Firma Felten und Guillaume produziert Kabel wie am Fließband. Erste Seekabel zischen den Niederlanden und England werden verlegt. Die Kabeltrommel - eine Rednerbühne. Hitler in den Berliner Siemenswerken. Die Vereinigung überlebte den Diktator. Zumindest bis zum Zusammenbruch waren Kartelle geduldet. Erst die Siegermächte wollten derartige Vereinigungen abschaffen. Das Kabelkartell überdauerte zwei Weltkriege, Inflation und Währungsreform. Wohl ein einmaliger Vorgang. 1958 gründete Ludwig Erhard das Bundeskartellamt. Das zumindest legale Ende des Kabelkartells. Ob das Kabelkartell während des Wirtschaftswunders aktiv war, ist unklar. Allerdings: Den Kunden soll man bis zur Wiedervereinigung gelegentlich das doppelte des europäischen Durchschnittspreises für Starkstromkabel abgeknöpft haben. Spätestes seit Anfang der 90er sind die goldenen Zeiten in der Kabelindustrie passe. Überkapazitäten durch Fehlplanungen. Die Preise fielen um bis zu 70 Prozent, von den 30.000 Beschäftigten verlor jeder dritte seinen Job. Das Kartell erschien als Rettungsanker in höchster Not.
Günter Krauss, Bayerische Kabelwerke
Man hat schon vorher miteinander gesprochen, aber mehr auf der technischen Seite. Und das Bösartige, das uns jetzt unterstellt wird, ist praktisch erst seit 92/93 passiert.
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![Kabelproduktion](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/kabel.jpg)
![Kabelrolle](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/kabelr~1.jpg)
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![Herr Krauss](/file/21499/OP2_97.BIN/cd-rom/osurfen/frontal/krauss.jpg) |
Seit 1993 gilt: Öffentliche Stromkonzerne müssen ihre Aufträge europaweit ausschreiben. Der Billigste kommt zum Zug. Das drückt die Preise. Zudem: Die Märkte im europäischen Ausland sind weitgehend abgeschottet.
Winfried Holetzek, Felten & Guilleaume
Wir sind der Meinung in Europa, in Zentraleuropa herrscht noch keine Waffengleichheit. Beispiel: Frankreich, wir haben heute praktisch keine Möglichkeit an Energieversorgungsunternehmen in Frankreich diese sogenannten Starkstromkabel zu liefern. Auf der anderen Seite kann Frankreich beliebig hier in den Markt reinliefern, weil der deutsche Markt mit der liberalste in Europa ist. Ich habe nichts gegen Konkurrenzsituationen und gegen Liberalisierung. Es muß aber Waffengleichheit zwischen den einzelnen Regionen, sprich Ländern, herrschen.
Alles, was in der Branche Rang und Namen hat, mischte irgendwie mit. Kaiser Kabel Berlin kündigte der Vereinigung, scherte sich nicht mehr um Quoten. Der Preiskrieg ging in die nächste Runde. Das Kartell war eigentlich schon tot, bevor die Berliner Behörde ermittelte.
Günter Krauss, Bayerische Kabelwerke
Es wäre schön gewesen, wennÆs funktioniert hätte, dann hätten wir heute die Sorgen nicht und wir würden optimistischer in die Zukunft schauen.
Die Berliner Kartellwächter haben sich jetzt auf die Energiekonzerne eingeschossen. Die hätten - so wörtlich - jahrelang beim Einkauf geschlafen und überhöhte Kabelpreise auf Stromkunden abgewälzt.
Erwin Münch, RWE
Es waren ja keine höheren Preise, wir haben ja grundsätzlich eben dieses auf internationalem Niveau verglichen und dabei wohl festgestellt, daß unsere Anbieter in Deutschland günstig genug waren. Und aus diesem Grunde haben wir nach unserer Meinung auch richtig eingekauft.
Günter Krauss, Bayerische Kabelwerke
Naja, wir haben echt ænen Fehler gemacht.
Inwiefern?
Naja, daß wir uns einfach auf diesem Gebiet bewegt haben und gegen diese Kartellgesetze verstoßen haben.
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