AKTUELL
An einem Donnerstagmorgen im Januar dieses Jahres brannte das Haus in der Lübecker Hafenstraße 52. Eine Unterkunft für Asylbewerber. 10 Menschen starben, 38 wurden verletzt. Am kommenden Montag beginnt vor der Lübecker Jugendstrafkammer ein Prozeß gegen den mutmaßlichen Brandstifter. Der Libanese Safwan Eid wird beschuldigt, das Feuer gelegt zu haben. Gegen ihn wurde zunächst wegen Mordes ermittelt, jetzt wird ihm schwere Brandstiftung, fahrlässige Tötung und Körperverletzung vorgeworfen. Auf mehr wollte sich die Staatsanwaltschaft dann in diesem Indizienprozeß nicht festlegen, aber auf ihn legte sie sich fest, auf Safwan Eid. Der streitet bis heute die Tat ab, hat nach Meinung seiner Verteidigerin überhaupt kein Motiv.
Hartnäckig hielt sich der Vorwurf: die Staatsanwaltschaft ermittle einseitig. Die vier Jugendlichen aus Mecklenburg-Vorpommern seien zu schnell entlastet worden. Das weist wiederum die Anklage vehement von sich und ist überzeugt, den wirklichen Täter vor Gericht zu bringen. Viele Rätsel und Widersprüche indes kann oder will sie nicht lösen.

Ein Bericht von Thomas Fuhrmann


Der Fall ist klar:
Das ist der Täter, sagt die Staatsanwaltschaft. Sie behauptet: Safwan Eid legt noch in der Brandnacht ein Geständnis gegenüber einem Rettungssanitäter ab. Der Zeuge ist absolut glaubwürdig, und dieses Geständnis paßt in den Brandablauf wie ihn Landes-und Bundeskriminalamt ermittelt haben.
Demnach beginnt das Feuer im ersten Stock und breitet sich von dort aus. Einen anderen Verlauf schließen LKA und BKA nachdrücklich aus. Zusammenfassend heißt es im BKA-Gutachten:
"Für die Brandentstehung im Ergeschoßbereich des Treppenhauses und eine von dort ausgehende Brandausbreitung ergeben sich keine Anhaltspunkte."

Der Fall ist überhaupt nicht klar:
Das ist nicht der Täter, sagt die Verteidigung. Sie behauptet: Das Gespräch zwischen Safwan Eid und dem Rettungssanitäter hat so nicht stattgefunden. Der junge Libanese hat mit dem Brand nichts zu tun und auch der Brandverlauf war anders als die Staatsanwaltschaft behauptet. Der Brandsachverständige Professor Ernst Achilles, vom Gericht offiziell als Gutachter bestellt, hält einen Anschlag von außen durchaus für möglich. Dafür spricht seiner Meinung nach auch das Brandspurenbild:

Achilles
Meiner Auffassung nach, ist der Brand im Eingangsbereich des Erdgeschosses gelegt worden und hat sich von dort aus über den Treppenraum vom Erdgeschoß zum ersten Obergeschoß ausgebreitet. Viele Brandzeichen und Brandzehrung sprechen eindeutig dafür.

Dieser Gutachterstreit für eine der wesentlichen Fragen des Brandes und kann erst vor Gericht geklärt werden:
Aber ein Todesfall paßt nicht in die Darstellung der Staatsanwaltschaft und kann von ihr auch nicht erklärt werden.

Um diesen Mann geht es: Silvio Amuso, Trauerfeier für ihn in Kotonu, der Hauptstadt Benins. Der 27jährige stirbt in der Nacht zum 18. Januar, tausende Kilometer von seiner Heimat entfernt in der Lübecker Hafenstraße 52. Wodurch er getötet wird, ist bis heute unklar.
Im hölzernen Vorbau der Asylunterkunft bergen vier Feuerwehrleute die Leiche von Amuso - auf dem Bauch liegend. Übereinstimmend sagen sie aus, daß unter der Leiche kein Brandschutt lag. Ein Indiz dafür, daß Amuso schon tot war, als der Brand ausbrach. Für den Gerichtsmediziner bleibt die Todesursache ein Rätsel. Die klassischen Vergiftungsmerkmale bei einem Brandopfer kann er nicht feststellen. Zusammenfassend schreibt er:

Zitat:
"Nur konnten im vorliegenden Fall keine sicheren Hinweise dafür gefunden werden, daß Herr Amuso noch lebte, als der Brand sich auch in der Nähe seines Körpers ausbreitete: Es fand sich keine wesentliche - wenn überhaupt - Rußeinatmung, und es fand sich kein Hinweis auf eine Kohlenmonoxideinatmung."

Andere giftige Gase als Todesursache schließt der Gerichtsmediziner genauso aus wie direkte Gewalt durch Erdrosseln oder Erschlagen. In der Gerichtsmedizin ist sonst nur noch das Phänomen des brandbedingten Sauerstoffmangels bekannt.

Professor Urban
Es gibt einen anderen Vorgang, den sogenannten Verbrennungsschock, bei dem durch plötzliches Einatmen sehr heißer Gase beziehungsweise im unmittelbaren Flammenbereich ein akuter plötzlicher Tod auftritt.

Eine weite Entfernung vom Brandausbruch wie im Falle Amuso hält der Wissenschaftler für kaum denkbar.Professor Urban
Das würde es äußerst unwahrscheinlich machen, man müßte es tarnen, man müßte dann davon ausgehen, daß es hier eine Art wellenförmige Ausbreitung dieses Brandes gab, bis zu der Stelle, wo sich die Person befand.

Das halten die Brandsachverständigen der Staatsanwaltschaft aber wie gesagt für ausgeschlossen. Amusos Leiche wurde über 20 Meter entfernt und ein Stockwerk tiefer vom angeblichen Brandausbruchsort gefunden.

Der Staatsanwalt
Auch das gehört zu den Einzelheiten, zu denen ich mich jetzt nicht äußere, auch wenn Sie natürlich als Journalist jederzeit nachfragen müssen und den Versuch machen, meine Linie zu durchbrechen. Ich werde dazu nicht im einzelnen Stellung nehmen.

Auch die Verteidigerin von Safwan Eid kann die genaue Todesursache von Amuso nicht beweisen. Sie geht aber von einem Brand im Eingangsbereich aus.

Die Rechtsanwältin
Ich war nicht dabei, ich weiß nicht, was passiert ist. Aber, das Silvio Amuso unten etwas passiert ist, was einen Schock verursacht hat, das scheint mir einigermaßen klar zu sein.

Frage von Thomas Fuhrmann:
"Und Sie nehmen an, daß es durch einen Angreifer von außen geschehen ist?"

Die Rechtsanwältin
Es spricht einiges dafür, daß es durch einen Angreifer von außen geschehen ist. Weil es sonst keine Grund gibt, daß er dort unten tot liegt.

Einen Brandanschlag von außen hat die Staatsanwaltschaft schnell ausgeschlossen. Ebenso schnell wie den Tatverdacht gegen vier junge Ostdeutsche. Sie waren in der Brandnacht in unmittelbarer Nähe des Brandortes überprüft worden. Nach eintägiger Haft kamen sie frei. Der Grund: ein vermeintlich wasserdichtes Alibi.
An dieser Tankstelle beobachtete eine Polizeistreife die Männer um drei Uhr fünfzehn. Die Staatsanwaltschaft grenzt den Zeitraum des Brandausbruchs jetzt aber auf drei Uhr bis drei Uhr dreißig ein. Genug Zeit für die Fahrt von der Hafenstraße zur Tankstelle. Auch ein weiterer Hinweis lenkt den Verdacht auf die Jugendlichen .
In der Brandnacht verlassen gegen zwei Uhr dreißig zwei Zeugen ein Gebäude in der Nähe der Hafenstraße. Auf der Straße werden sie von zwei Fahrzeugen fast überfahren. In der Öffentlichkeit möchten diese Zeugen unerkannt bleiben.

Ein Augenzeuge
Es hat sich um einen Wartburg mit einer helleren Farbe gehandelt und um einen dunklen Golf-Typ älteren Baujahrs. Beide waren besetzt mit ca. drei Personen.

Frage:
"Haben Sie die Personen irgendwie erkennen können?"

Der Augenzeuge
Ich habe in dem einen Wagen gesehen, daß eine Person bunte Haare hat und die andere Person hatte eine Art Irokesenschnitt.

Die Jugendlichen fuhren in der Brandnacht mit einem Wartburg durch Lübeck und klauten nach eigener Aussage einen Golf. Auch die Personenbeschreibung paßt. Der Staatsanwaltschaft sind diese Zeugenaussagen bekannt. Aber:

Der Staatsanwalt
Auch das sind Einzelheiten, zu denen ich hier weder in der einen oder anderen Weise Stellung beziehen möchte. Ich habe gesagt, ein Tatverdacht besteht nicht und das bezieht mit ein, daß alle Gesichtspunkte, die eventuell dafür sprechen könnten, gewichtet und bewertet worden sind von der Staatsanwaltschaft.

Auch Haarversengungen bei drei der jungen Ostdeutschen ändern nichts an der Auffassung der Staatsanwaltschaft.
Die Einschätzung ihres eigenen Gutachters, daß die Brandspuren maximal 24 Stunden alt sind, will die Staatsanwaltschaft mit einem Gegengutachten jetzt entkräften. Dem neuen Gutachter liegen dafür Lichtbilder und Zeugenaussagen vor. Aber keine Haarproben. Nach Expertenmeinung völlig unzulänglich.
Ab kommenden Montag will die Staatsanwaltschaft die Schuld des Angeklagten beweisen. Wenn sie nicht noch etwas überzeugendes präsentieren kann, wird die Beweisführung in diesem Indizienprozeß sehr sehr schwierig.

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