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1974 meldeten fast alle großen Blätter in Deutschland die spektakuläre Flucht zweier Männer aus der DDR. Sie wollten über die Ostsee schwimmen, wurden nach 10 Stunden im eiskalten Wasser von einer Fährbesatzung aufgegriffen und gerettet. Zwei, denen die Flucht über die unsichtbare Grenze gelungen war. Erhard Schelter hieß der eine. Er hatte genug von der DDR, wollte weg in den Westen, zu Freunden und Verwandten, zu denen er immer Kontakt gehalten hatte. Genau das aber rief auch die Staatssicherheit auf den Plan. Es gab Treffen mit Stasileuten, sie tricksten ihm eine Verpflichtungserklärung ab. Weil er nicht spurte, wurde Schelter relativ schnell für die Stasi zum unsicheren Kantonist, den IM-Vorgang stellte sie ein und verfolgte von nun an ihn und seine Familie. Was Erhard Schelter nicht für möglich gehalten hätte, bekam er vor kurzem schwarz auf weiß. Die Gauck-Behörde führt ihn noch heute als IM, als Täter.

Ein Bericht von Horst Danker


Diese Spaziergänger heißen Erhard und Helga Schelter, unterwegs am Strand von Boltenhagen, ehemals DDR. Hier hat Erhard Schelter vor 20 Jahren seine Flucht in den Westen vorbereitet. Die Flucht vor der Staatssicherheit.

Denn weil Schelter zur See fahren wollte, war er für die Stasi interessant. Es kränkt ihn, daß er in der Gauck-Behörde heute als IM geführt wird, als "Inoffizieller Mitarbeiter" der Stasi. Dafür hat er sein Leben nicht aufs Spiel gesetzt, als er mit einem Freund durch die Ostsee schwamm - damals.

Erhard Schelter
Die Scheinwerfer fingen auch gleich an zu leuchten und es war schon sehr, sehr aufregend und ich habe gedacht, also jeden Moment ist es sowieso schon zu spät, jeden Moment haben sie dich schon im Visier. Aber es passierte nichts. Es kam nichts und wir sind dann tatsächlich weggetaucht und unser Punkt war ja, wo wir hin wollten, die Küste oben an der Lübecker Bucht. Und wir hatten uns ausgerechnet, daß man das hätte schaffen können in 10 Stunden.

Sie hätten es nie geschafft, wenn nicht eine westdeutsche Fähre sie entdeckt hätte. Denn sie hatten die Strömung unterschätzt, waren nach zehn Stunden im zehn Grad kalten Wasser weit draußen in der Schiffahrtsroute. Der Kumpel hatte längst schlapp gemacht, Schelter schleppte ihn an einer Leine mit.
Es war eine hochdramatische Rettungsaktion, erinnert sich der Fähren-Kapitän. Passagiere sahen zufällig Köpfe im eiskalten Wasser. Flüchtlinge! Ein Wettkampf mit dem Küstenwachboot der DDR begann. Heute fährt der Flüchtling mit seinem Retter auf demselben Schiff.

Erhard Schelter
Als dann dieses Schiff, dieses Küstenwachboot auf uns direkt zuhielt und mit vollem Speed, da habe ich in dem Moment gedacht, jetzt ist doch alles vorbei und was machst du jetzt. Winkst du jetzt, oder läßt du dich überlaufen oder... und dann mußte das blitzschnell gehen und dann habe ich gesagt, dann lieber weg, aber nicht da in den Knast oder was auch immer. Und das ist eine Sekundenentscheidung gewesen.

Und dann bin ich weggetaucht und dann habe ich gedacht, jeden Moment ist Schluß, jetzt ist es vorbei! Und dann wurden die Geräusche immer lauter, ich hatte keine Luft, ich mußte wieder hoch und dann rauschte dieses Wachschiff an uns vorbei.

Die Schlagzeile damals:

"Ihre Rettung gleicht einem Wunder!"

Herbert Schacht, Kapitän
Ich hatte nur die Möglichkeit eben, mein Schiff so zu legen, daß ich a) die rechtzeitig stoppe und b) zwischen Grenzboot und die in Not befindlichen Personen kam.

Eine tollkühne Flucht. 189 Flüchtlinge starben bei solchen Versuchen.

Das steht in der Stasi-Akte nicht. Die Stasi hat Erhard Schelter in die Zange genommen, zum "IM" gemacht durch seine Verpflichtung, für die "Erhaltung des Friedens" zu arbeiten, "Feindtätigkeit sofort zu melden". Nur unter Druck hat er den Tarnnamen "Felix" angenommen - mit seiner Unterschrift! Von da an plant er seine Flucht. Nun will er seine Akten sehen, weil alle seine Papiere verschwunden sind, beschlagnahmt damals, und erfährt, daß er als Täter geführt wird, nicht als Opfer, und deshalb Gebühren zahlen soll für die Akteneinsicht. Das verletzt ihn - doch die Gauck-Behörde bleibt hart.

Michael Zabel, Justitiar Gauck-Behörde
Je nachdem wie das MfS jemanden eingestuft und registriert hat, danach richtet sich die Kostenpflicht.

Für Schelter heißt das : Er ist immer noch in den Klauen der Stasi! Bei der IKN, seiner letzten Arbeitsstätte in Rostock, ist sein Name getilgt. Hier hat man ihn damals bespitzelt, denn vorher schon war die Mutter geflüchtet.

"Was sagen Sie denn dazu, daß die Gauck-Behörde Sie nun als typischen IM bezeichnet? "

Erhard Schelter
Das macht mich sehr, sehr betroffen und es macht mich auch zur gleichen Zeit sehr zornig.

Michael Zabel, Justitiar Gauck-Behörde
Wir sind Sachwalter der Akten und wir müssen erstmal von den Sachverhalten, die in der Akte drinnen stehen, ausgehen.

Sachwalter der Akten. Dabei beschreiben die FRONTAL zur Verfügung gestellten Aktenauszüge genau die Schwierigkeiten, die der Stasi-Staat dem "westlich angehauchten" Schelter gemacht hat. "In der Zusammenarbeit nicht ehrlich", heißt es da. Und: "Er hielt die Treffs nicht ein und meldete sich danach auch nicht." Nach vielen Bemühungen dann das Fazit: "Der Verdacht einer eventuellen Republik-Flucht bleibt bestehen, so daß aus diesem Grunde der Vorgang eingestellt wird". Damit schließt die Akte. Die Stasi selbst gibt ihren "IM" auf. Zwei Jahre später gelingt Schelter die Flucht.

Die Stasi-Zentrale in Berlin, heute Gauck-Behörde. Sie verweigert dem von der Stasi verfolgten Schelter zwar nicht die Einsicht in seine Akte, doch sie verlangt von ihm, Gebühren, weil er Täter sei.

Schelter vermißt nun die Gerechtigkeit. Der lange Stasi-Arm greift immer noch nach ihm - und lähmt ihn. Er ist nicht das einzige Opfer, das von der Stasi so verstrickt wurde. Rehabilitation gibt es nicht - ist nicht vorgesehen, im Stasi-Unterlagen-Gesetz.

Michael Zabel, Gauck-Behörde
Er kann sich ja rehabilitieren, indem er ein Recht auf Gegendarstellung warnimmt, das ihm nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz zusteht. Dann wird seine Gegendarstellung - und wir haben solche Fälle schon häufiger - zur Akte genommen und jeder, der die Akte dann später mal zu Gesicht bekommt, sieht diese Gegendarstellung mit. Es wird aber nicht so weit kommen, daß die MfS-Akten umgeschrieben werden. Also es wird nicht aus einem Menschen, der als IM registriert ist, durch unser Umschreiben ein Opfer. Das geht nicht, wir würden die Akten ja richtiggehend verfälschen.

"Kann er eine IM-Akte anfechten?"

Michael Zabel, Gauck-Behörde
Anfechten im Wege der Gegendarstellung.

Der Justitiar gibt noch den Rat, sich die Bestätigung der Führungsoffiziere zu holen. Wir machen den Versuch. Verzweifelter Schritt eines Opfers.

Dialog zwischen Täter und Opfer

Ehemaliger Führungsoffizier
Ich habe die Polizei angerufen. Ich habe die Polizei angerufen, ich weiß nicht wer sie sind und ich will auch nichts mit Ihnen zu tun haben. Ich bin kaputt, wissen Sie, zwei Herzinfarkte.

Erhard Schelter
Das glaube ich Ihnen doch, wir wollen Sie doch auch gar nicht aufregen.

Ehemaliger Führungsoffizier
Ich will nichts von Ihnen. Entschuldigen Sie bitte. Machen Sie was Sie wollen.

Erhard Schelter
Er will nichts von mir, aber damals wollte er was von mir.

Ironie des Schicksals: Bei der Staatsanwaltschaft ist über Schelter nichts bekannt - außer einer Straftat: Republikflucht.

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