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Kienzle Wann ist ein Mensch tot?
Diese Frage beschäftigt zur Zeit den Bundestag. 1982 hatte es noch Konsens gegeben. Damals war es die Bundesärztekammer, die feststellte: der Tod tritt dann ein, "wenn die gesamte Hirnfunktion irreversibel ausgefallen ist." Daran zweifeln immer mehr Bundestagsabgeordnete, die zur Zeit ein neues Transplantationsgesetz beraten. Die Fronten gehen übrigens quer durch alle Fraktionen.
Das neue Argument: Der Hirntod ist nicht das Ende, sondern nur Teil des biologischen Sterbeprozesses. Eine Diskussion die jetzt schon verheerende Folgen hat. Immer weniger Deutsche sind bereit, Organe zu spenden. Es gibt lange Wartelisten, allein 9000 Dialyse-Patienten hoffen auf eine neue Niere. Würden diese Vorstellungen Gesetz, dürften Hinterbliebene keine Spendenorgane mehr freigeben. Nur eine Einwilligung zu Lebzeiten wäre rechtens. Eine Geisterdiskussion, die tausende von Menschen das Leben kosten kann.

Hintersetzer



Ein Bericht von Friedrich Kurz

Andi ist sieben Jahre alt und akut herzkrank. Die Klinik-Ärzte in München-Großhadern sehen für ihn nur eine Überlebens-Chance: Andi braucht ein neues Herz. Doch passende Spenderorgane mit identischer Blutgruppe sind selten.
Endlich letzte Woche: Die Operation! Die Klinik hat doch noch ein Spenderherz für Andi gefunden. Das Herz eines anderen Kindes, das - in einer anderen Stadt - an einem Gehirnschlag starb. Dessen Eltern erlaubten die Organentnahme, nachdem die Ärzte den unwiderruflichen Hirntod festgestellt hatten. Hätten sie die Organ-Spende ihres Kindes verweigert - auch Andi wäre heute vielleicht schon tot.

Es ist jedesmal ein Wettlauf mit der Zeit, bis ein Spender-Organ in der Kühltasche den Operationssaal erreicht. Ohne die Zustimmung Hinterbliebener wären 95 Prozent aller Organverpflanzungen unmöglich. Denn einen - persönlich unterschriebenen - Spenderausweis besitzen nur fünf Prozent aller Deutschen. Die Spende eigener Organe, der eigene Tod - das sind Tabus, die man gerne verdrängt.
Doch wenn dann das eingepflanzte Herz eines Verstorbenen wieder zu schlagen beginnt - das ist auch für das routinierte Chirurgen-Team um Prof. Reichard noch immer ein bewegendes Ereignis.
Der erste Herzschlag.....
.... so kehrt das Leben in Andis Körper wieder zurück. Über 3000 mal pro Jahr wird in Deutschland erfolgreich transplantiert, die Versagerquote liegt unter einem Prozent.

"Wir haben es noch rechtzeitig geschafft", beruhigt Prof. Reichard Andis Mutter. Monatelang hatte sie darum gebetet, daß sich endlich ein Organspender finde. Denn bis zu 30 Prozent der Patienten auf der Warteliste müssen sterben. Ihr Sohn hat das Spender-Herz noch rechtzeitig bekommen - vor jener Bonner Bundestagsentscheidung, vor der sich viele Transplantations-Patienten fürchten.
Denn rund 180 Abgeordnete aller Fraktionen wollen eine Organ-Entnahme nur dann noch erlauben, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten schriftlich zugestimmt hat.
Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer befürchtet katastrophale Auswirkungen, falls dies zum Gesetz wird. Tausende Patienten wären vom Tode bedroht. Die grüne Abgeordnete Monika Knoche hält ihm entgegen: Die Menschenwürde von Hirntoten sei verfassungsrechtlich gewichtiger als der bloße Wunsch von Kranken nach Organverpflanzung.

Monika Knoche
Es ist sicherlich richtig, daß wir die Auswirkungen einer solchen Gesetzgebung noch nicht genau beschreiben können. Allerdings können wir nicht ein Gesetz machen, das ausschließlich der Organgewinnung dient, denn schließlich sind hier ganz zentrale Fragen, ethische- und Wertefragen berührt, aber es sind auch die Grundrechte berührt, und zwar die Grundrechte der Menschen, die sterben.

Auch Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig möchte deswegen die Zustimmungslösung durch Angehörige abschaffen. Stattdessen solle der Staat den freiwilligen Spenderausweis zur "Bürgerpflicht" erklären.

Edzart Schmidt-Jorzig
Das eben denke ich muß mit einer intensiven Aktion zur Werbung und dann eben wirklich dem moralischen "am Portepee fassen" der Bürger aufgefangen werden, damit wirklich mehr Spendebereitschaft da ist.

Uni-Klinik Hannover. Der Herzchirurg Gundolf Gubernatis glaubt, daß selbst eine exzessive Werbekampange nicht mehr als zehn Prozent der Bürger erreicht. Die Abgeordneten spielten mit dem Leben von Patienten.

Gundolf Gubernatis
Das ist ein gigantisches Gesellschaftsexperiment, was eben diese katastrophalen Folgen hat und wahrscheinlich im Endeffekt doch nicht gelingen wird. Denn es ist einfach gegen die menschliche Psychologie, das sich jeder zu Lebzeiten mit dem Tod beschäftigt und eine Entscheidung zur Organspende trifft.

Patienten mit neuen Nieren. Sie verfolgen den Bonner Streit mit Empörung

Ein Patient
Ja, haarsträubend war das, man hätte nach Bonn hingehen wollen und weiß Gott was anstellen wollen, es war schlimm
Ein anderer Patient
Die Erben, die sollten mal hierhin kommen und sollten sich mal hierhin legen, dann würden sie überhaupt nicht darüber diskutieren und würden das sagen, da brauchen wir überhaupt kein Gesetz zu machen. Das ist doch selbstverständlich, daß den Leuten geholfen wird!

Gundolf Gubernatis
Die Zahl der Transplantationen würde auf - günstigstenfalls 1/10 zurückgehen, d.h. wir haben zehnmal solange Wartezeiten, das ist aber theoretisch, weil die meisten es nicht mehr erleben werden, wir werden sicherlich mehrere tausend Todesopfer haben und jeder, der es sich leisten kann, wird ins Ausland gehen.

Eurotransplant, die Verteilungszentrale im holländischen Leiden. Hier werden Spenderorgane nach medizinischer Dringlichkeit international zugeteilt. Bisher importierten die Deutschen viel mehr Organe aus dem Ausland, als sie selbst lieferten. Damit ist jetzt Schluß.
In Österreich ist die Spendenbereitschaft doppelt so hoch wie in Deutschland. An der Innsbrucker Uni-Klinik nimmt man aber nicht mehr hin, daß einheimische Patienten zugunsten der Deutschen zurückstehen müssen.

Prof. Margreiter, Uni-Klinik Innsbruck
Natürlich hat es schon Widerstände gegeben, vor allem unter den Patienten in Belgien, aber auch zunehmend in Österreich, die doch gemeint haben, daß sie hier keine Organe bekommen, während wir Organe in ein anderes Land exportieren.

Herzoperation
























FRONTAL Der philosophische Bonner Streit um den Hirntod bedroht auch schon Patienten in Österreich. Weil verunsichertete Angehörige Spenderorgane verweigerten, mußten Patienten auf der Warteliste bereits sterben.

Prof. Margreiter, Uni-Klinik Innsbruck
Also, der Hirntod ist heute bis auf Nordkorea - und ich glaube von den Hinduisten in Japan - grundsätzlich weltweit anerkannt. Also das ist schon eine Diskussion, die vom Ausland, vor allem auch vom deutschsprachigen Ausland mit einiger Verwunderung verfolgt wird. München, letzte Woche. Andi hat seine Herztransplantation gut überstanden. Er hatte Glück, daß die Eltern das Spenderherz ihres toten Kindes freigaben - ohne Rücksicht auf Bonner Hirntod-Debatten. Die Frage ist schließlich, was mehr wiegt: Die verfassungsrechtlich garantierte Menschenwürde, die auch einem Hirntoten noch zusteht - oder der Wunsch eines Lebenden nach einem Spender-Organ, auf das es allerdings keinen Rechtsanspruch gibt.

Horst Seehofer
Ich glaube, daß es in der humanistisch geprägten Gesellschaft ein Gebot ist, auch für Christen, Menschen zu helfen, denen ansonsten nicht mehr geholfen werden kann. Ich betrachte dies sogar als christliches Gebot, respektiere aber auch jede andere Entscheidung.

Diese - "andere" Entscheidung wäre für 10000 Dialysepatienten das Ende ihrer Hoffnung, mit einer neuen Niere wieder ein normales Leben führen zu können. Wenn die Zahl der Organspenden auf ein Zehntel zurückgehen sollte, betrüge die Wartezeit anstatt fünf künftig 50 Jahre. Auch für Bärbel Barth. Schon eintausendzweihundert Mal mußte sie jeweils fünf Stunden lang an die künstlichen Niere.

Bärbel Barth, Nieren-Patientin
Ich apelliere an die Abgeordneten, und zwar mit aller meiner Kraft, die ich habe. Ich möchte, daß die darüber nachdenken, daß wir Lebende sind, das mehr Spender Organe spenden. Und das man nicht nur auf der einen Seite ganz bewußt an die Menschen denkt, die Hirntot im Krankenhaus liegen, die zwar auch Familie haben, aber wir sind Lebende.

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