AKTUELL
Kienzle "Kinder werden auch zur Weihnachtszeit ermordet". Ein Satz, der aufrütteln soll.
Am Wochenende stand er in einem Zeitungsinserat der Süddeutschen Zeitung. Eine ungewöhnliche Aktion, mit der Eltern und Geschwister von Gewaltopfern auf sich und ihre Probleme aufmerksam machen wollen. Ein Notschrei mitten in der Rubrik Todesanzeigen. Der Versuch, Öffentlichkeit, Medien und Politik zu provozieren. Der Hauptvorwurf: Mörder finden in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit als ihre Opfer. Und die Rechte der Täter werden ohnehin über die Rechte der Opfer gestellt. Bis heute jedenfalls erhalten Eltern, deren Kinder ermordet wurden, kaum öffentliche Unterstützung. Kostspielige Therapien müssen selbst bezahlt werden, die Täter erhalten sie umsonst.
Die bekommen auch einen Pflichtverteidiger auf Staatskosten, die Angehörigen der Opfer müssen ihren Anwalt selbst bezahlen.

Hintersetzer Ein Bericht von Udo Frank und Theodor von Keudell

Es geschah am hellichten Tag. Liebigstraße, München - 29. September 1994. Der siebenjährige Alexander kommt vom Musikunterricht und nimmt wie immer die Abkürzung über den Hinterhof. Dort fängt ihn der Hilfsarbeiter Michael Tischlinger ab. Der 22-jährige zerrt den Jungen in einen nahe gelegenen Kellerraum. Das Kind wehrt sich, ruft um Hilfe. Aus Angst vor Entdeckung erwürgte Tischlinger das Kind brutal.

Martha Rappolder - Mutter
Alexander lag halb bekleidet auf dem Boden, die Hände von sich und die Beine leicht gespreizt. Eins leicht angezogen und den Kopf zur Seite. Wenn man sich vorstellt, daß so ein hilfloses Kind gewaltsam... man weiß ja nicht wie lange hat der Tod gedauert? wie lange mußte das Kind leiden? Es wird ja gewaltsam getötet. Das Kind kriegt das bei vollem Bewußtsein fünf, zehn, fünfzehn Minuten mit, und bittet, so wie auch mein Sohn mehrfach zu ihm gesagt hat, bitte bring mich nicht um. Er war sich seiner Situation voll bewußt. Es ist unvorstellbar, eigentlich.

Alexanders Mörder wird wenige Tage später festgenommen. Er gesteht die Tat sofort. In einem Brief an die Mutter versucht er sein Verbrechen zu entschuldigen.

"Ich wollte ihrn Kind nicht weh tun. Ich wollte bloß mit ihn reden. Es tut mir sehr leid, was ich mit ihr Jungen gemacht habe."

Der Täter hat mehr als nur ein Leben zerstört. Für die Familien ermordeter Kinder ist danach nichts mehr so, wie es einmal war.

Dr. Martina Eckert -Diplom- Psychologin
In dem Moment ändert sich für die Eltern im Grunde alles. Das normale Leben ist nicht mehr existent . Das ist alles vollkommen voller Leid und Schmerz, und im Grunde ist der normale Alltag zur Folter geworden. Im Grunde ein Alltag, der von Alpträumen und Phantasien gekennzeichnet ist und der letztendlich darauf hinaus läuft , daß die Leute entweder funktionieren, oder in Depression verfallen phasenweise.
(von Dr. Martina Eckert gibt es einen Hintergrundbericht)

Die Eltern der Opfer wollen nun nicht länger im Stillen leiden, wollen über ihr Schicksal nicht länger schweigen. In einer Großanzeige vom Wochenende weisen sie bewußt in der Vorweihnachtszeit auf ihr Leid hin, das mit dem grausamen Tod ihrer Kinder kein Ende gefunden hat.

Auch vier Jahre nach der Ermordung von Jeannine sind die Wunden der Eltern nicht verheilt. Zwei Jugendliche erdrosselten sie bestialisch. Bei guter Führung werden die Mörder vermutlich vorzeitig entlassen. Die Mutter des getöteten Mädchens kann das nicht verstehen, für sie eine zusätzliche Qual.

Karin Esser - Mutter
Sie müßten schon ihre Strafe absitzen, zumal ich die sowieso für viel zu kurz halte. Im Verhältnis dazu, daß meine Tochter nie wieder kommen wird, haben diese Täter nach sechs oder acht Jahren ein völlig normales Leben vor sich. Und unsere Tochter sieht die Sonne nie wieder. Da kann ich mich nicht mit abfinden. Das ist sehr schwer für uns.

Ein andere Familie, das gleiche Schicksal. Vier bis fünfmal in der Woche besucht der 15-jährige Ronny das Grab seines Bruders, das er seit dessen gewaltsamen Tod liebevoll pflegt. Johannes wäre heute dreizehn Jahre alt. Mai 1994 - in diesem Hochhaus wird er in Bergkamen von einem einschlägig vorbestraften Sexualtäter ermordet und aus dem neunten Stock geworfen. Bis heute noch quälen die Mutter Selbstvorwürfe.

Karin Basten - Mutter
Ich hab mir immer gesagt, Karin du bist Schuld, daß der Johannes nicht mehr hier ist, weil du ausgerechnet nach Bergkamen ziehen wolltest. Und das war bei mir total schlimm. Weil ich hab immer gemeint, ich bin schuld am Tod von Johannes.

Die Schuld bei sich zu suchen, Erklärungen für das Unbegreifbare zu finden - eine typische Reaktion von Opfereltern. Der Tod von Johannes warf die Familie Basten völlig aus der Bahn. Durch die starke psychische Belastung können die Eltern nicht mehr arbeiten, haben kein Einkommen. Um die hohen Beerdigungskosten zu zahlen, müssen sie Schulden machen. Der Staat zahlt der Mutter 212,-Mark Opferrente. Da sind Weihnachtsgeschenke für Ronny und seine Schwester nicht mehr drin. Im Januar wird das Häuschen der Familie Basten zwangsversteigert.
Völlig ruiniert werden sie schließlich durch die teuere Nebenklage. Denn - vor Gericht stünde den Opfern sonst niemand zur Seite.

Marion Zech - Rechtsanwältin
Der Täter, der erhält ja auf jeden Fall ohne Ansehung seiner finanzieller Verhältnisse einen Pflichtverteidiger. Wenn er keinen Wahlverteidiger auswählt, so kriegt er in jedem Fall vom Gericht einen Pflichtverteidiger gestellt. Bei den Opfern ist das nicht so. Die Opfer bekommen grundsätzlich keinen Anwalt vom Gericht bestellt . Sie müssen sich ihren Anwalt selber suchen, sie müssen den in letzter Konsequenz auch selber bezahlen.

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TV-Auftritt

Bilder von Sabine Wojdylo , bislang das letzte Mordopfer in diesem Jahr, aufgenommen während des Familienurlaubs in Tunesien. Drei Monate später wird das 14-jährige Mädchen in ihrer Heimatstadt Leverkusen auf dem Weg zur Schule vergewaltigt und erdrosselt. Der 25-jährige Täter gesteht bei seiner Festnahme vier weitere Sexualverbrechen.
Knapp zweihundert Meter von der Schule entfernt finden Suchtrupps das tote Mädchen, nackt, in den Sumpf gedrückt.
Den ersten Schock halten die Eltern nur mit starken Medikamenten aus. Erst jetzt wird ihnen langsam bewußt, was sie mit ihrem einzigen Kind wirklich verloren haben.

Andreas Wojdylo - Vater
Wir haben auch sehr starke Spritzen gekriegt, Beruhigungsmittel gehabt. Muß ich sagen, die Spritzen am Anfang haben uns geholfen. Da war so alles egal. Zur Zeit ist nur leben. Zur Zeit keine Zukunft. Weil alles, was mit Zukunft verbunden war, war unsere Tochter.

Um das Vermächtnis der toten Kinder ins öffentliche Bewußtsein zu rücken haben sich Eltern, Familienangehörige und Freunde der Opfer inzwischen organisiert. Am letzten Mittwoch, ein stiller Demonstrationszug mit klaren Forderungen an die Bonner Politiker. Für ihre Forderung nach mehr Schutz für Kinder hatten sie bundesweit über einen Million Unterschriften gesammelt.

Gabriele Karl - Opfer gegen Gewalt
Wenn ich jetzt an die Ermordung von unserer Tochter denke, wenn ich an die Ermordung der Natalie denke, dann muß ich sagen, der Staat trägt da eine große Mitschuld. Es waren immer im Vorfeld Sexualdelikte, die von den Behörden nicht ernst genommen wurden. Die Täter hätten längst verhaftet werden müssen. Und drum ist unsere Hauptforderung der Opferanwalt. Daß Betroffene gerade im Sexualdeliktsbereich von Anfang an einen Anwalt zur Seite gestellt kriegen, daß diese Verbrechen konsequent verfolgt werden und dann auch die Täter ihrer Haft zugeführt werden.

Im krassen Gegensatz zum Leid der Opfereltern präsentiert "Schreinemakers live" die Geliebte des Heidemörders Thomas Holst. Ein monströses Showspektakel um den mehrfachen Frauenmörder. Unglaublich, wie Tamar Segal den Gewaltverbrecher anpreisen darf.

Tamar Segal
Ich denke Thomas Holst ist ein wertvoller Mensch, ist ein ganz besonderer Mensch, ist ein Künstler, ist ein Philosoph, ist ein Poet.

Martha Rappolder
Kann man nicht verstehen. Also ich verstehe es nicht. Und ich find auch für so etwas, muß ich ehrlich sagen, keine Worte. Weil es ist unbegreiflich.
Und was sagen sie dazu , daß die Hochzeit des Heidemörders von einem Privatsender gezeigt werden soll?
Ich weiß nicht, ob pervers das richtige Wort dafür ist. Sich mit so was noch zur Schau zu stellen. Das ist ja eigentlich ein Hohn für diejenigen, die Opfer dadurch geworden sind, oder?

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