AKTUELL
Hauser Vor einigen Monaten mußten in Hessen mehrfach Straftäter aus Untersuchungsgefängnissen entlassen werden, weil nicht rechtzeitig ein Termin für die Hauptverhandlung anberaumt werden konnte. Eine Untersuchungshaft darf ohne Haftprüfung nicht länger als sechs Monate dauern. Überfüllte Gefängnisse, ein überlasteter Justizapparat, überforderte Justizbeamte, das sind die Gründe dafür, daß Straftäter ohne Verhandlung wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Daß Strafen dann besonders wirksam sind, wenn sie den Taten gleichsam auf dem Fuße folgen, ist eine unbestrittene Erkenntnis der Justizbehörden. Dies ist zumindest bei Bagatelldelikten möglich, wie der Langener Amtsgerichtsdirektor Rolf Engelhard beweist. Er rief Staatsanwälte, Strafrichter und Rechtsbeistände zusammen und beschloß mit ihnen, zukünftig bei Bagatelldelikten die im Paragraph 417 Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit des
" beschleunigten Verfahrens" anzuwenden. Das heißt, daß Kleinstbetrüger innerhalb von 24 Stunden unter gewissen Voraussetzungen mündlich abgeurteilt werden können.

Hintersetzer



Ein Beitrag von Barbara Völkel

Giovanni Perrone, Untersuchungshäftling
Ich bin seit dem 27. September 1996, also seit mehr als zwei Monaten, in Untersuchungshaft wegen Ladendiebstahls. Ich habe ein paar Hosen gestohlen für 99 DM, ein paar Turnschuhe und Parfum im Wert von 150 Mark.

Bagatellkriminalität - so nennt es das Gesetz. Die schon hoffnungslos überfüllten Gefängnisse werden damit auch noch konfrontiert, denn wer ohne festen Wohnsitz ist, kann wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft kommen. Der Justizapparat hat trotz seiner umfassenden Möglichkeiten jahrelang versagt. Im hessischen Langen will man es nicht nur bei dem Tropfen auf dem heißen Stein belassen.

Rolf Engelhard, Amtsgerichtsdirektor Langen
Ich halte es für nicht mehr zumutbar, die Justizvollzugsanstalten mit Kleinkriminellen zu überlasten. 5000 Häftlinge sitzen unter sechs Monate in Deutschland und ich bin der Auffassung, daß dazu auch das beschleunigte Verfahren, das Untersuchungshaft vermeiden soll, hilfreich sein kann.

"Beschleunigtes Verfahren", Zauberwort zur Entlastung der Gefängnisse. Binnen 24 Stunden wäre damit ein Kleinstbetrüger oder Ladendieb verurteilt.

Rolf Engelhard, Amtsgerichtsdirektor Langen
Im "beschleunigten Verfahren" muß ich absolut überzeugt sein, daß der Beschuldigte die Tat begangen hat, sonst kann ich kein Urteil fällen. Das heißt, wenn ich das nicht bin, muß ich das "beschleunigte Verfahren" abbrechen und kann kein entsprechendes Urteil erlassen. Im übrigen ist es auch so, daß in diesen Fällen die Angeklagten meist geständig sind. Nicht weil sie Angst vorm Verfahren haben, sondern weil sie es tatsächlich gewesen sind. Das ergibt sich daraus, daß sie das Diebesgut meist bei sich tragen.

Seit gut 2 Wochen funktioniert die Organisation zwischen Staatsanwalt, Strafrichter und Rechtsbeistand hervorragend. Wer morgens erwischt wird, ist nachmittags schon verurteilt! Die Langener machen es vor. Aktenberge setzen keinen Staub an.

Giovanni Perrone, Untersuchungshäftling
Das was ich getan habe, war verkehrt. Das weiß ich auch und ich muß dafür bestraft werden. Ich finde es aber nicht richtig, daß man mich soviele Wochen schon eingesperrt hat für diese Sachen, für Kleinigkeiten, die ich gestohlen habe. Ich finde das von der Justiz nicht gerecht.

Jede Minute wird in Deutschland ein Ladendieb ertappt. Die Dunkelziffer läßt sich nur erahnen. Mal verhaftet, gibt das "beschleunigte Verfahren" dem Beschuldigten verfassungsgemäß den Anspruch auf eine Verteidigung. Selbst Wiederholungstäter fallen je nach Vorstrafe unter diese Rechtsnorm. Die Haftanstalten platzen immer mehr aus den Nähten. Abhilfe tut Not.

Im Gespräch mit Ekkehard Hoffmann, Leiter der JVA Preungesheim
Wir haben heute in der Anstalt 875 Gefangene.
Ist das eine Überschreitung Ihrer Kapazität?
Das ist eine erhebliche Überschreitung und zwar eine Überschreitung um fast 60 Prozent. Wir haben nämlich eigentlich nur 553 Haftplätze.
Dient das "beschleunigte Verfahren" nicht einer Entlastung Ihrer Anstalt?
Es ist natürlich klar, wenn so ein Verfahren häufig angewandt würde oder angewandt werden kann, dann würden wir dadurch entlastet werden.

FRONTAL
Im Knast Jeder Zellenplatz wird dem Steuerzahler täglich mit 160 DM in Rechnung gestellt. Viele Bagatelldelikte verursachen nicht einmal soviel Schaden wie ein Tag Untersuchungshaft den Staat kostet.

Rolf Engelhard, Amtsgerichtsdirektor Langen
Wenn man dies hochrechnet, ergibt dies bei drei Monaten Untersuchungshaft einen Betrag von 15.000 DM. Wenn man es weiter hochrechnet, wenn etwa 1000 Untersuchungshäftlinge weniger in Deutschland wären, wären das ca. 15 Millionen DM, die einzusparen wären.

Giovanni Perrone wartet weiter auf seinen Prozeß. Er soll bald, so die Anstaltsleitung, dem Richter vorgeführt werden. Dann sitzt er schon fast drei Monate in Haft. Ein teueres Vergnügen.

Giovanni Perrone, Untersuchungshäftling
Ich werde auf keinen Fall wieder nach Italien zurückkehren. Das läßt mein Stolz nicht zu. Das ist, als hätte ich einen Krieg verloren. Ich habe hier einen Freund, der wird mir helfen, der wird mir Unterkunft geben. Ich werde auch versuchen, Arbeit zu bekommen, um mein Leben auf ehrliche Art und Weise fortzuführen. Meine Familie wird darüber informiert, was ich, wenn ich hier rauskomme, machen werde. Es liegt dann an ihr, ob sie nach meiner Haft wieder Kontakt zu mir haben wollen.

Andere Gerichte sollten bei klarer Beweislage ihre Organisation endlich einmal überdenken und dem Langener Modell folgen. Giovanni Perrone kostet den Staat bereits jetzt schon mehr als 12.000 DM und das alles für ein paar Hosen, Schuhe und eine Flasche Parfum.

ZURUECK
ZDF HOMEPAGE
HILFE
KOMPASS
SUCHEN
IMPRESSUM

(ZDF Homepage.Hilfe.Kompass.Suchen.Impressum)


ZDF