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General Lebed, Jelzin geschaßter Sicherheitsberater, brachte es im August auf den Punkt: der Krieg in Tschetschenien ist ein kommerzieller Krieg. Politisch ohnehin unsinnig, militärisch ein Desaster, moralisch verheerend. Nur eben wirtschaftlich war er für viele eine Goldgrube. In Tschetschenien selbst blühten Bestechung und Korruption, wurden Waffen und Panzer an die Tschetschenen verkauft. Aber noch viele mehr wollten etwas von diesem Krieg haben. Umgerechnet 3,8 Milliarden Mark hat Moskau allein 1995 für den Wiederaufbau überwiesen. Nur ein Bruchteil davon kam wirklich an. Das Geld, das für das zerstörte Groszny und andere Städte geplant war, landete auf Umwegen in den Taschen von Kreml-Beamten, Rüstungsfirmen und Banken. Auch Spendengelder für Lebensmittel, Medikamente und Hilfsgüter wurden von Hilfskonten auf private Konten geschoben. Exakt nachzulesen ist das alles im jüngsten Bericht des Rechnungshofes der russischen Föderation. Unsere Reporterin Susanne Dönitz bekam ihn in die Hand.

Ein Bericht von Susanne Dönitz


Tschetschenien, fast zwei Jahre tobte der Krieg gegen Rußland. Ein Krieg, der viele Opfer und Verlierer kennt, aber nicht nur. Abzocker gibt es reichlich. Sie haben Millionen verdient. Und während die Hinterbliebenen um ihre Opfer trauern, verwischt sich die Spur der Kriegsgewinnler.

Musa Dschamalchanow, Mitglied der Sawgajew-Regierung
Es geht nur um die Wirtschaft, alles im Auftrag der Wirtschaft. In diesem Krieg geht es um den Raub der Reichtümer eines riesigen Landes, Rußlands. Jeder will das größte Stück des Kuchens für sich.

Moskau, auf den Spuren der Kriegsgewinnler. Von Kameras überwacht, erhalten wir Zugang zum Rechnungshof der russischen Föderation.
Diesem Mann verdanken wir den Einblick in ein brisantes Dokument. Jurij Boldyrjew, Vize-Präsident des Rechnungshofes. Mit seiner Hilfe lesen wir, was außer Regierung und Parlament niemand zu sehen bekam. Einen internen Bericht über veruntreute Tschetscheniengelder.

Fazit: Ingesamt 176 Milliarden Rubel, rund 250 Millionen Mark sind verschwunden.

Jurij Bodyrjew
Das geht recht einfach. Offiziell ist das Geld für die Wiederherstellung der Wirtschaft in Tschetschenien deklariert. Das Parlament stimmt diesen Mitteln nicht zu, denn im Haushalt sind sie nicht eingeplant. Trotzdem werden von der Regierung Gelder lockergemacht und nach Tschetschenien versandt. Dort spazieren sie durch Privatbanken. Warum das so ist? Eine theoretische Erklärung wäre - das ganze System ist schlecht organisiert und die örtlichen Machthaber haben keine Kontrolle darüber, wo die Gelder sich befinden. Aber daran glaube ich einfach nicht.

Rechnungshofbericht. Seite 22: Für verzögerte Überweisungen hat die Bank Menatep 5,3 Milliarden Rubel , 1.6 Millionen Mark, zurückzuzahlen."
Menatep, eine der größten Privatbanken Rußlands. Über ihre Konten pumpte laut Bericht die Moskauer Regierung Geld nach Tschetschenien. Die Bank ließ die Staatsgelder offenbar erst einmal monatelang für sich arbeiten und kassierte Zinsgewinne. Doch nicht nur sie hat kräftig verdient.

Bakowka, eine Villensiedlung rund 20 km vor Moskau. Wir suchen sogenannte Generalsdatschen, finanziert durch Kriegsgewinne.
Jedes der Häuschen hier ist fast eine Million wert, D-Mark. Von einem Offiziersgehalt kaum zu finanzieren. Doch korrupte Militärs konnten in Tschetschenien Waffen und Kriegsmaterial verkaufen, ohne daß es auffiel. Ihre Datschen lassen sie jetzt von Soldaten bauen. Vor unserer Kamera leugnen sie das, wie diese Offiziersfrau.

Offiziersfrau
Wieso Soldaten? Wer würde uns Rentnern Soldaten geben? Ich habe hier nie Soldaten gesehen. Ich glaube, keiner hat sich hier jemals von Soldaten helfen lassen. Solange ich hier wohne, weder bei diesen Nachbarn, noch bei jenen habe ich jemals einen einzigen Soldaten gesehen.

Dabei gibt es überall Soldaten. Sie flüchten vor unserer Kamera. Die Männer haben Anweisung, sich nicht filmen zu lassen. Uns gelingt es dennoch, einen von ihnen zu befragen.

FRONTAL
Was meinen Sie, woher hat ein General so viel Geld?
Soldat
Sicherlich aus Tschetschenien.
FRONTAL
Aus Tschetschenien?
Soldat
Woher denn sonst. Ich persönlich denke, daß er mit seiner Arbeit auf keinen Fall soviel verdient.

Rechnungshofbericht, Seite 15: " Für Medikamente sind von 79,6 Milliarden Rubel, 23 Millionen Mark, nur 36,7 Milliarden Rubel, 11 Millionen Mark, in Tschetschenien eingetroffen."
Kleidung, Decken, Medikamente gelangten oft nur bis in den Nordkaukasus. Weiterer Verbleib unbekannt. Das Moskauer Gesundheitsministerium behauptet, umgerechnet 23 Millionen Mark geschickt zu haben. Tschetschenische Ärzte schwören dagegen, nur von 11 Millionen zu wissen.
Ein Beispiel. Das Krankenhaus von Samaschki. Zweimal wurde es zerstört, zweimal wieder aufgebaut. Doch Beistand gab es nur von außen:

AÄrztin Chawa Jagodijewa
Wir bekamen keinerlei Hilfe vom Ministerium, von der Regierung ganz zu schweigen. Um Medikamente und Baumaterial hat sich der Arzt selbst gekümmert. Er hat alles selbst gekauft - Zement, Ziegelsteine, Fenster und mit der Arbeit begonnen.

Ähnlich sieht es in der Gemeinde aus. 132 Einwohner kamen beim Sturm auf die Siedlung um, fast die Hälfte der Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht. Der Bürgermeister ist ratlos.

Bürgermeister Letschi Israilow
Keinen einzigen Pfennig haben wir bis zum heutigen Tag bekommen. Bei uns arbeiten verschiedene Baufirmen, doch wir können sie nicht bezahlen. Alles funktioniert nur auf Treu und Glauben.

Rechnungshofbericht, Seite 13:"Infolge Diebstahls von Fahrzeugen und Baumaterialien .... beträgt der Verlust 4,8 Milliarden Rubel, 1,4 Millionen Mark."
Am besten verdient es sich am Wiederaufbau. Beispiel Grosny: Zweimal wurde die Stadt im Krieg zerstört. Auffallend viele der nach dem ersten Angriff renovierten Häuser flogen wenig später ein zweites Mal in die Luft. Auch ein Weg zu betrügen.

Musa Dschamalchanow, Mitglied der Sawgajew-Regierung
Den Hauptteil des Wiederaufbaus hatte die Direktion unter sich, das Bauministerium der Russischen Föderation. Sie waren gleichzeitig Auftraggeber und Auftragnehmer. Das heißt, sie beauftragten sich selbst, bauten selbst und rechneten selbst ab. Und ich weiß - gewöhnlich haben sie für einen Rubel gebaut und 20 dafür berechnet.

Meine Wohnung war zum Beispiel auf der Leninstr.57. Zwei Häuser in der Nachbarschaft, Zwölfgeschösser, hatte man von außen etwas repariert. Aus meinem Haus holten sie einfach die alten Fensterrahmen und bauten sie dort wieder als neue ein. Dafür sah es hübsch aus, von außen schön angestrichen, aber innen alles kaputt.

Ein Teil der Gelder wurde vom Moskauer Statthalter Sawgajew verwaltet. Doch die alte tschetschenische Regierung flüchtete nach Moskau ins Exil. Zurück ließ sie einen Berg Schulden und leere Konten. Mit dem Erbe der Landsleute muß sich nun die tschetschenische Kommandantur herumschlagen.
Kommandant Aslambek Ismailow wurde vom Krieger zum Bürokraten. Doch wo das Geld geblieben ist, weiß er auch nicht.

Aslambek Ismailow
Nichts wurde geräumt. In einem Monat haben wir hier mehr geschafft, als die Regierung in den letzten eineinhalb-zwei Jahren. Weiß der Teufel, was die hier früher getan haben. Ich denke, die haben nur geklaut.

Seit einigen Wochen ist in Grosny Ruhe. Wie lange, weiß niemand zu sagen. Auch nicht, wer den nächsten Wiederaufbau bezahlt. Im zerstörten Zentrum verkaufen derweil junge Männer Ziegelsteine. Geklaute, versteht sich.
Tschetschenien ist ausgeräumt. Auch der Wächter dieses Betriebes scheint das zu wissen. Seine Nachricht am Tor: "Hier gibt es nichts mehr zu holen. Alles schon gestohlen".

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