AKTUELL
Sie arbeiten von sechs Uhr morgens bis nachts um zwölf für einen Hungerlohn. Sie haben keine Krankenversicherung und keinen Anspruch auf Rente oder Urlaub. Sie bekommen nicht genug zu essen und werden geschlagen - Hausangestellte der Dritten Welt. Doch dies alles spielt sich nicht in Kalkutta oder Riad, in Nairobi oder in Rio ab. Ausgerechnet in Genf, wo die Menschenrechts-kommission der Vereinten Nationen sitzt, wo die UN-Arbeitsorganisation prüft, wie Arbeits- und Menschenrechte weltweit umgesetzt werden, ausgerechnet in Genf wird nonchalant über Arbeitnehmerrechte hinweggesehen. Und zwar von Diplomaten. Sobald die ihr angestammtes Parkett verlassen, werden sie offensichtlich zu Haustyrannen. Aktenkundig geworden sind 70 Fälle.
Daß Diplomaten keine Bußgelder und keine Parkknöllchen bezahlen, weiß jeder. Immunität heißt das Zauberwort. Doch daß viele ihre Immunität auch nutzen, um die eigenen Angestellten ungestraft auszubeuten, ist ein Skandal.

Ein Bericht von Rita Knobel-Ulrich


Genf ist das, was man eine proppere Stadt nennt: ordentlich, anständig, international. Jeder zweite hier ist Ausländer, meist Diplomat. Und Diplomaten, das weiß jeder, sind angeblich edel, hilfreich und gut. Sie debattieren über Menschenrechte und gerechte Arbeitsbedingungen, verfassen Resolutionen und Papiere. Doch kehren sie in ihre Missionen zurück, dann wird aus manchem Mr. Jekyll ein Mr. Hyde.

Das ist jedenfalls die Erfahrung ihrer Dienstmädchen, Chauffeure, Köchinnen und Gärtner. Hier tagt die kleinste Gewerkschaft der Welt, die "Syndicat sans frontieres" - die Gewerkschaft ohne Grenzen, denn die Ausbeutung in Genf ist multinational. Sie waren Sklaven von Diplomaten: Ahmed aus Marokko, Dencides aus Manila, Silvina aus Argentinien, Munawara aus Sri Lanka.

Ein erstes Beispiel
40 Jahre war ich in der Botschaft von Saudi-Arabien Chauffeur. Ich mußte immer viele Koffer und Pakete schleppen, und dann hatte ich auf einmal schreckliche Rückenschmerzen. Der Arzt hat gesagt, es ist die Wirbelsäule. Tragen dürfe ich nicht mehr, nur noch fahren. Da haben sie mich einfach entlassen.

Ein zweites Beispiel
Ich bin meinem Boß in der indischen Botschaft weggelaufen. Er ist ein schlechter Mensch. Und die Polizei auf der Staße wollte meinen Paß sehen. Da habe ich gesagt, den hat mein Boß weggeschlossen. Und als die Polizei zu ihm ging, sagte er - das geht Sie nichts an. Dieser Junge ist mein Eigentum. Ich habe ihn seinem Vater abgekauft.

Für die Frauen hat Gewerkschaftsgründer Luis Cid eine kleine Dachwohnung gemietet, wo sie unterkriechen können. Manche haben immer noch so viel Angst vor ihren Arbeitgebern, daß sie nicht wagen, ihr Gesicht zu zeigen.

Ein drittes Beispiel
Ich habe alles gemacht: waschen, putzen, kochen - dafür bekam ich 150 Schweizer Franken im Monat.

FRONTAL
Und wieviele Stunden mußten Sie arbeiten?

Ich bin morgens um 6.40 Uhr aufgestanden und durfte um 23.00 Uhr ins Bett gehen.

Ein viertes Beispiel
Einmal hörte ich Schreie aus der Küche und bin hingerannt. Da lag meine Freundin auf dem Boden. Blut kam aus ihren Ohren und aus dem Kopf. Der älteste Sohn von meinem Boß hatte sie auf den Kopf geschlagen. Wir sind gekommen, um zu arbeiten, und sie behandeln uns wie Tiere. Es ist eine gefährliche Familie, ein gefährliches Land.

Wir telefonieren mit den Botschaften, bitten um Stellungnahme, und wir sprechen nicht nur mit Vertretern aus Afrika, Asien, Südamerika oder dem Nahen Osten. Auch Schweden, Italien und Belgien sind bei der Gewerkschaft ohne Grenzen aktenkundig. Nicht nur der kuwaitische und indische Botschafter, die Saudis - alle lehnen sehr höflich eine Stellungnahme ab. Diplomaten wissen, was sich gehört.
Nur die Arbeitgeber von Lourdes können wir aufsuchen. Sie kommen aus den Arabischen Emiraten und wohnen in einem Luxushotel in Genf. Mit laufender Kamera bitten wir um Einlaß und fragen, stimmt es, daß Lourdes und die anderen Bediensteten geschlagen worden sind? Die Familie wird wütend.

Ein Vertreter der Delegation aus den "Vereinigten Arabischen Emiraten"
Sie ist doch nur ein unwichtiges kleines Dienstmädchen. Warum messen sie ihr so viel Bedeutung bei, als sei sie Prinzessin Diana. Sie durfte nicht aus dem Haus, und sie ist einfach davongelaufen.

FRONTAL
Ist das bei Ihnen üblich, rund um die Uhr ohne einen freien Tag zu arbeiten?

Der Vertreter der Delegation aus den "Vereinigten Arabischen Emiraten"
Ja, natürlich ist das üblich. In Ihrem Land vielleicht nicht. Bei uns ja. Sie hätte ihren Vertrag ja nicht unterschreiben brauchen. Sie hat sich entschieden, ohne freie Tage zu arbeiten.

Ihm ist die Arroganz der Reichen durchaus vertraut, die Wahlmöglichkeiten ihrer Dienstmädchen sehen, wo keine Wahl ist. Luis Cid, Chilene, Gründer der Gewerkschaft ohne Grenzen. Er ist selbst ein Fremder, ist Pinochets Häschern mit knapper Not entkommen, lebt seitdem hier. Seine Wohnung ist Bibliothek, Ort der Erinnerung, Unterschlupf für Davongelaufene.

Die Folgen der Rechtlosigkeit behandelt Dr. Subilia vom Genfer Kantonshospital nicht das erste Mal. Als Luis Cid Ram Roop hier einlieferte, war er ausgezehrt und abgerissen. Er wog 46 Kilo bei einer Größe von 1,61. Seine Krankenakte ist umfangreich.

Dr. Laurent Subilia, Kantonshospital Genf
Ram Roop war sehr stark unterernährt. Darüber hinaus hatte er das, was wir Mediziner ein traumatisches Stress-Symptom nennen. Er litt unter Angstvorstellungen, zitterte, war extrem nervös, hatte Alpträume und konnte nicht schlafen.
Er ist kein Einzelfall in unserem Krankenhaus. Sehr oft arbeiten Ausländer bei Diplomaten und sind in keiner Weise sozial oder rechtlich abgesichert.

Genf ist der Sitz der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. In prächtigen Gebäuden arbeiten Diplomaten, Übersezter, Beamte. Doch es geht zu wie im Einwohnermeldeamt einer deutschen Kleinstadt - Abteilung A bis K. Resolutionen, Papiere, Rundschreiben werden unablässig gedruckt und kopiert. Da kann man sich natürlich nicht auch noch um Menschen kümmern.

Jameleddine Ben-Yahmed, Pressesprecher Büro der Vereinten Nationen, Genf
Also wir verfassen alle halbe Jahre einen Rundbrief und erinnern unsere Beamte daran, daß sie die Rechte ihrer Hausangestellten respektieren müssen. Aber ich muß Ihnen sagen, was die Diplomaten angeht, da haben wir natürlich gar keine Einflußmöglichkeit. Wenn es Probleme gibt, dann ist das natürlich Sache der Schweiz. Sie ist das Gastland.

Und was macht das Gastland mit solchen Gästen? Das fragen wir den Botschafter der ständigen Schweizer Mission in Genf. Und auch der fühlt sich nicht zuständig.

Christian Dunant, Botschafter Mission der Schweiz bei den Internationalen Organisationen
Wir haben praktisch keine Möglichkeit, auf die Diplomaten einzuwirken. Die sind ja bei der UNO akkreditiert, und so müssen wir uns immer mit den Vereinten Nationen abstimmen, wenn wir etwas gegen die Diplomaten unternehmen wollten. Zuständig ist die UNO, denn wir sind ja nur Gastland.

Spender finanzieren den Lebensunterhalt, den Unterschlupf, den Prozeß der Ausgebeuteten vor dem Arbeitsgericht. Doch selbst bei einer Verurteilung: Niemand kann die Diplomaten zwingen, ihren Dienstmädchen für 16-Stunden-Tage, für eine Rente oder gar Schmerzensgeld wegen dauernder Schläge etwas zu zahlen.

Wir sind viele, sagen sie. Hinter uns stehen noch Hunderte, die aus Furcht schweigen. Auch wir haben Angst. Doch wenn wir nicht den Mund aufmachen, wer soll uns dann helfen? Man sieht nur die im Licht, die im Dunkeln sieht man nicht.

Diejenigen bei der UNO in Genf, die sich durch diesen Beitrag angesprochen fühlen, sollten vielleicht noch einmal die International Convenant on Civil and Political Rights nachlesen.

ZURUECK
ZDF HOMEPAGE
HILFE
KOMPASS
SUCHEN
IMPRESSUM

(ZDF Homepage.Hilfe.Kompass.Suchen.Impressum)


ZDF