Der Frontal-Reporter
Manfred Karremann
berichtet


Im Juli letzten Jahres wurde in Triest ein Schiff, die MS Tweit, mit 717 Rindern beladen. Die Geschichte dieses Transportes beschäftigt mittlerweile die Gerichte in Deutschland. 319 Rinder starben auf der Reise, und die waren Allianz versichert. Zwischen dem deutschen Exporteur und der Versicherung läuft ein Rechtsstreit über die Auszahlung der Versicherungssumme. Ferner ermittelt die Staats-anwaltschaft Lüneburg wegen des Verdachts der Tierquälerei. Die Tiere seien in Triest in einem äußerst kritischen Zustand verladen worden. Bilder wie diese - kein Einzelfall, nicht nur in Triest.
Seit 1991 gibt es in Deutschland einen erbitterten Streit um die Zustände bei den Transporten. Tierschützer protestieren, die Politik vertröstet. Trotz solcher Bilder, die seit Jahren bekannt sind. Niemand ist zuständig.
1991 verweist ein Bonner Minister auf Europa.

Ignaz Kiechle, ehem. Bundeslandwirtschaftsminister, anno 1991
Ich glaube aber, daß das Datum Binnenmarkt, 1. Januar 93 oder wenn man so will Ende 92, nun dafür sorgt, daß es bis dahin zu einer Gemeinschaftsregelung kommt.

Der Binnenmarkt kommt, doch nichts ändert sich.

1993 zeigen wir diese Bilder dem neuen Landwirtschaftsminister. Reaktion:

Jochen Borchert, Bundeslandwirtschaftsminister, 1993
Das sind grauenhafte, schlimme Bilder, das sind Zustände, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Hier werden Tiere transportiert unter Zuständen, die wir in einem zivilisierten Europa einfach nicht akzeptieren können und die ich auch nicht bereit bin, weiter hinzunehmen.
Wenn diese Möglichkeit für eine solche nationale Maßnahme besteht, bin ich bereit zu einem Exportstop von lebenden Tieren als nationale Maßnahme zu ergreifen.

Vollmundige Ankündigungen, doch nichts passiert. Nur die Proteste werden heftiger. Bonn verweist auf die EU. Doch Brüssel wiegelt ab.

Rene Steichen, EU-Kommissar, 1994
Ich glaube nicht, daß alle Tiertransporte, das die wirklich unter schlechten Bedingungen vor sich gehen, daß eher das Gegenteil der Fall ist, daß ein Minnimum von Tiertransporten wirklich nicht artengerecht durchgeführt werden.

Vertröstungen, Versprechungen. Obwohl Bonn und Brüssel die Exporte finanzieren: Keiner fühlt sich verantwortlich für die Tiere, die auf Schiffe verladen werden, obwohl sie nicht transportfähig sind. Beirut, vor einigen Wochen. So sehen die Folgen dieser Politik aus.

Wir betreten eines der Schiffe, das gerade entladen wird. An Bord: 800 Rinder. Eine fünftägige Seereise liegt hinter diesen Tieren, davor mindestens zwanzig Stunden in der Enge eines LKWs. Jede Verladung bedeutete einen zusätzlichen Streß für die Tiere. Schlechte Versorgung auf der ganzen Strecke und der Klimawechsel tut ein Übriges.
Die Tiere sind in einem miserablen Zustand. Selbst die gesunden Tiere müssen mit Elektroschocks und Schlägen vom Schiff zum Lkw getrieben werden. Doch die Tortur ist noch nicht zu Ende. Ein libanesischer LKW-Fahrer ist bereit, uns mitzunehmen. Wir möchten dokumentieren, wie die qualvolle Reise endet. Feierabendstau in Beirut. Wir nutzen die Gelegenheit, um nach den Rindern auf der Ladefläche zu schauen. Eines der Tiere liegt bereits im Sterben.
Die Fahrt ist kurz, nur eine halbe Stunde nördlich von Beirut liegt das Schlachthaus. Die Arbeiter dort sind mißtrauisch, doch der Chef ist nicht da. Alles klar, sagen wir, und beginnen zu filmen. Unruhe auf dem Lastwagen. Ein Rind ist zusammengebrochen, kann nicht mehr aufstehen.

In der Hektik vergessen die Arbeiter, daß wir filmen. Sie versuchen das Tier auf die Beine zu bringen, so, wie sie es immer tun. Eine Szene voller Brutalität, aber keine Spezialität der Libanesen. Bei uns ist die Technik moderner, und man weiß, daß man nie eine Kamera zuschauen lassen darf.
Die Quälerei dauert Minuten, wir werden sie nicht in voller Länge zeigen.

Unter unsäglichen Schmerzen steht das Tier schließlich auf. Die Arbeiter realisieren erst jetzt, daß wir die ganze Zeit gefilmt haben. Einer telefoniert, wahrscheinlich mit dem Chef, wir fliegen raus.

Vorige Woche. Termin im Landwirtschaftsministerium in Bonn. Wir zeigen Minister Borchert, und später auch EU-Kommissar Fischler in Brüssel, die Bilder aus Beirut und Triest.

FRONTAL
Das ist dann das Ende der Reise, Schlachthof in Beirut. Bilder, wie gesagt, von deutschen Rindern, Verladung in Triest und Beirut in den letzten Wochen aufgenommen. Ihr Eindruck, Herr Borchert?

Jochen Borchert, Bundeslandwirtschaftsminister
Mein Eindruck, das was Sie da gezeigt haben ist ein Skandal. Dies ist nicht nur Tierquälerei oder Verstoß gegen Tierschutzgesetze, das ist brutalste Tierquälerei.

Franz Fischler, EU-Kommissar
Man darf nicht, glaube ich, die Bilder für sich alleine sehen, die sind sicher tragisch, und jeder Fall ist tragisch, ich glaube aber, worum es in erster Linie geht, ist, daß die Häufigkeit solcher Bilder möglichst gering wird.

Jochen Borchert, Bundeslandwirtschaftsminister
Wer diese Bilder sieht, kann nur immer wieder bedauern, daß es uns nicht schon vor langer Zeit gelungen ist, uns auf der europäischen Ebene durchzusetzen. Wenn die Transportrichtlinie gelten würde, würde bei Transporten dieser Art die Exporterstattung nicht gezahlt und die Transporteure würden zur Rechenschaft gezogen.

Franz Fischler, EU-Kommissar
So lange diese strengeren Rechtsvorschriften, die wir schaffen wollen, nicht eingeführt sind, daß also dann das System ungenügend sein muß, würde jetzt schon alles funktionieren, dann würden wir diese zusätzlichen Vorschreibungen gar nicht brauchen.

So wie Ignaz Kiechle 1991 auf den Binnenmarkt hoffte, so erwarten heute die Herren Borchert und Fischler Abhilfe durch eine neue EU-Transportrichtlinie zum 1. Januar 97. Die soll die Versorgung der Tiere sicherstellen, schreibt Ruhepausen vor. Eine zunächst geforderte generelle Transportbegrenzung auf acht Stunden wurde nicht festgeschrieben. Mehr noch: Fachleute sehen Probleme bei der Umsetzung - es fehlen noch immer Vorgaben und Einrichtungen. Schuldzuweisungen.

Franz Fischler, EU-Komissar
Nun, einerseits gibt es gewisse Defizite bei der rechtlichen Umsetzung, andererseits aber auch bei der Schaffung von Einrichtungen. Es müssen ja eine ganze Reihe von Voraussetzungen praktischer Art geschaffen werden, wie eben die Möglichkeit, daß die Tiere entsprechend während der Transportpausen versorgt werden können, gewässert, gefüttert, untergebracht werden können usw.

FRONTAL
Wie kommt es, daß es diese Defizite noch gibt? Die Vorlaufzeit war lang genug.

Franz Fischler, EU-Komissar
Das ist eine Frage, die Sie an die Mitgliedstaaten richten müssen.

Jochen Borchert, Bundeslandwirtschaftsminister
Die Mitgliedstaaten sind sicher unterschiedlich darauf vorbereitet, einer oder der Hauptgrund dafür ist, daß die Durchführungsverordnungen der Kommission auf sich warten lassen. Die Kommission war verpflichtet für Vorgabenkriterien für die Rasthöfe, auf denen die Transporte anhalten, wo die Tiere getränkt, entladen werden können. Kriterien für diese Rasthöfe bis zum 30.6.96 vorzulegen und Vorschriften für die Transportmittel, also die Fahrzeuge bis Ende vergangenen Jahres vorzulegen. Beide Vorgaben, beide Kriterienkataloge liegen nicht vor.



In Brüssel, im Büro des Landwirtschaftskomissars, hat man wohl die Hausaufgaben nicht gemacht. Deutsche Tierschützer jedenfalls sind sauer.

Manfred Hees, Deutsches Tierhilfswerk e.V.
Die Politiker haben in der Vergangenheit sehr viel versprochen. Es gab neue Richtlinien, Transportzahlen wurden neu festgelegt, genutzt hat alles gar nichts. Es hat sich nichts geändert, im Gegenteil, es wird immer nur schlimmer und es wird immer nur profitabler. Man muß also dem langsam einen Riegel vorschieben, wenn die Politik nicht in der Lage ist, dann ist der Tierschutz gefordert.

Enttäuschung und Wut auch beim Deutschen Tierschutzbund, die EU habe genug Zeit gehabt.

Wolfgang Apel, Deutscher Tierschutzbund e.V.
Nicht nur nicht vorbereitet sind die Mitgliedsländer der EU, sondern es ist auch noch gar nicht zusammengestellt was eigentlich für Anforderungen z.B. an die Behältnisse, das heißt an die LKWs gestellt werden. Es ist nicht einmal zusammengestellt, wie die Trinkstationen und wo sie dann überhaupt sein sollen und wie die Kontrolle gewährleistet wird.

Festzuhalten bleibt, 9 Wochen, bevor die Transportrichtlinie in Kraft treten soll, fehlt es noch an fast allem. Tierschützer sehen darin keinen Zufall, sondern vermuten gezielte Verzögerungstaktiken der mächtigen Fleischlobby. Völlig unklar ist bis heute unter anderem, wie die Einhaltung der Richtlinie kontrolliert werden soll. Bis jetzt jedenfalls - gibt es nur Stichproben, wie hier am Walldorfer Kreuz.
Gemeinsam mit der Polizei kontrolliert die Amtsveterinärin Dr. Annette Menne. Zufallstreffer, wenn wir einen erwischen, ist ihr Fazit. Skepsis auch gegenüber dem EU-Computersystem Animo, das Tiertransporte rechtzeitig melden soll.

Dr. Annette Menne, Amtstierärztin Heidelberg
Wir hatten einige gravierendere Fälle, z.B., der ist schon öfter mal angesprochen worden, ein Tiertransport, ein Schweinetransport aus Spanien, der nachts von der Polizei angehalten wurde, und aus dem Hänger floß oder tropfte Blut heraus. Der Laster war etwa zu 70 bis 100 Prozent überladen mit Tieren. Da sind sie so aufeinandergelegen, daß ganz offensichtlich während der Fahrt hinten den Darm sogar rausgedrückt hat und die Tiere sind zum Teil so an die Metallgitter rangedrückt worden, daß die wie Messer in die Schwarten eingedrückt hatten. Das Animo hat natürlich den Nachteil, daß es zum Teil - also ich erlebe das ja tagtäglich - daß wir die Meldung oft erst bekommen, wenn die Tiere zwei, drei Tage schon abgeladen sind. Ich kann also den Transporter an sich oder den Transport an sich durch Animo-Meldung überhaupt nicht kontrollieren.

Vor Jahren noch setzten Politiker große Hoffnungen in das Animo-Meldesystem. Praktiker sehen das heute völlig anders.

Dr. Karl Wenzel, Tierschutzbeauftragter Bayern
Das gibt es bisher nicht, insofern ist Animo im derzeitigen Stadium für die Belange des Tierschutzes wenig nützlich.

Ein Polizist
Handlungsbedarf sehe ich nach wie vor, weil es wäre schlimm für die Tiere, wenn dieser lange Transport, der eigentlich sowieso wenig Sinn macht, aus meiner Sicht, wenn wir den nicht etwas im Sinne des Tieres verbessern.

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