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"Rindfleisch aus Europa ist nicht nur für den Opa". So lautet allen Ernstes ein Vorschlag des österreichischen EU-Agrarkomissars Franz Fischler für eine Werbekampagne der Branche. Schließlich müsse man jetzt etwas für die europäischen Rinderzüchter tun. Der Mann dichtet offenbar nach dem Motto, reim dich oder ich freß dich. Aber auch mit den krachendsten Slogans läßt sich das angeknockte Beef-Image nur noch schwerlich aufpolieren. Die Verbraucher sind tierisch verunsichert. Ein böser Verdacht macht die Runde: Brüssel hat trotz Warnungen viel zu spät etwas gegen die Rinderseuche unternommen, wissenschaftliche Erkenntnisse seien sogar bewußt zurückgehalten worden, aus Rücksicht auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Die Krisenpolitik der EU-Kommission - ein einziger Kuhhandel also?
Das europäische-Parlament setzte im Sommer einen Untersuchungsausschuß ein. Der tagt heute (1.10.96) und soll in 3 Monaten seinen Bericht vorlegen. Der Vorsitzende dieses Ausschusses ist ein engagierter Deutscher, der mit seinen Kollegen schon jetzt zu einigen erstaunlichen Erkenntnissen gekommen ist.
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Ein Bericht von Herbert Schäfer Brüssel, Rue Belliard 97, Sitz des Euro-Parlaments. Hier machen manche Abgeordnete beim Aktenstudium die Nacht zum Tag. Mit Wut im Bauch. Der Grund: Riesenschlamperei der EU-Kommission, die in Sachen Rinderwahn reichlich unverfroren die Zügel schleifen ließ - jahrelang. War dabei womöglich auch Korruption im Spiel. Aufklärung wird von dem seit heute tagenden Untersuchungsausschuß erhofft.
Vorsitzender dieses 19 Mitglieder zählenden Ausschusses ist der Abgeordnete Reimer Böge, Agrar-Ingenieur aus Bad Segeberg. Er befürchtet durch das Fehlverhalten der EU-Bürokratie schweren Schaden für den Verbraucherschutz. Zum ersten mal packt Böge aus:
Reimer Böge, CDU, BSE-Untersuchungsausschuß der EU
...daß es zwischen der Zeit von Juni 1990 bis zum Mai 1994 keine einzige Veterinärinspektion der Kommission im Vereinigten Königreich gegeben hat. Die Kommission hat sich damit herausgeredet, sie hätte nur insgesamt 12 Inspektoren zur Verfügung. Und der Ministerrat und das Parlament hätten die notwendigen Finanzmittel versagt. Dies ist natürlich schlichtweg dummes Zeug. Ist alles dummes Zeug. Ich bin seit 1989 im Haushaltsausschuß. Die Kommission hat nie solche Anträge gestellt. Und die Personalbewirtschaftung ist immer eine originäre Aufgabe der Kommission.
Noch einmal: Ausgerechnet als es im britischen Fleischhandel drunter und drüber ging, sah Brüssel einfach weg. Die Briten hatten gerade ihr 100.000stes BSE-Rind verbrannt. Wer aber weiß, wieviel BSE-Fleisch sie unkontrolliert exportierten?
Reimer Böge, CDU, BSE-Untersuchungsausschuß der EU Ich habe auch den Eindruck, daß es im Vereinigten Königreich bis ins letzte Jahr hinein eben keine flächendeckenden Kontrollen und Überwachung gegeben hat. Ich will nur darauf hinweisen, daß die notwendige Registrierung und Identifizierung der Herden bis zum Sommer diesen Jahres nicht genügend gewährleistet gewesen ist.
Nach FRONTAL-Informationen wird auch das strikte Exportverbot für Lebendvieh aus Großbritannien nicht lückenlos respektiert. Dasselbe gilt für britisches Kadavermehl: Das berüchtigte Futter soll vor allem inFrankreich versickern. Illegale Weitervermarktung - auch nach Deutschland - ist zu befürchten. Bei Gelatine aus tierischem Kollagen für die Pharma- und Nahrungsindustrie hat Brüssel ebenfalls versagt.
Reimer Böge, CDU, BSE-Untersuchungsausschuß der EU
Also, ich will zunächst mal sagen: Es war generell in der Zeit ein Klima, daß niemand das Thema so richtig ernst nahm. Daß man nicht das genügende Bewußtsein hatte, vorbeugenden Verbraucherschutz in den Mittelpunkt des Bemühens zu stellen. Was dann hinter den Kulissen noch zusätzlich stattgefunden hat, kann ich natürlich im Moment noch nicht bewerten.
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In den Brüsseler Büro-Etagen munkelt man, es sei kräftig geschmiert worden bei der Kommission. Korruption also gleichfallsein heißes Thema im Untersuchungsausschuß? Reimer Böge, CDU, BSE-Untersuchungsausschuß der EU So weit sind wir noch nicht. Aber ich schließe in diesem Untersuchungsausschuß nichts mehr aus. Und dieser Ausschuß will hochkarätige EU-Funktionäre als Zeugen vernehmen. Dies sind nach einer internen Brüsseler Liste unter anderem ein Generaldirektor für Landwirtschaft, ein Generaldirektor für Volksgesundheit, ein ehemaliger hoher Beamter für Verbraucherschutz und ein bis 1995 amtierender Binnenmarkt-Generaldirektor. Gelatine - ebenfalls Streitpunkt im Brüsseler Skandal. Uns vorliegenden Sitzungsprotokolle beweisen: Die vermeintlich unabhängigen wissenschaftlichen Ausschüsse der EU gaben noch im April dieses Jahres Unbedenklichkeitsempfehlungen für den Vielzweck-Rohstoff. Etwas blauäugig. Trotz neuer alarmierender Erkenntnisse aus der Forschung. Haben sie sich von der Gelatine-Lobby in Politik und Wirtschaft über den Tisch ziehen lassen? Reimer Böge, CDU, BSE-Untersuchungsausschuß der EU Ich kann natürlich nicht dem endgültigen Ergebnis der Untersuchungsarbeiten vorgreifen, aber der Eindruck verfestigt sich durchaus nicht nur bei der Fragestellung Gelatine. Und wir werden natürlich sehr genau recherchieren, inwieweit Dinge hier hintertrieben worden sind. Unsere Nachforschungen erhärten den Verdacht: Bei der Gelatine-Gewinnung aus Bindegewebe und Knochenabfall sind die BSE-Risiken weit größer als bisher angenommen. Demnach scheinen selbst die als besonders streng geltenden deutschen Sicherheitsstandards bei der Produktion nicht auszureichen, um potentielle Erreger abzutöten. Absolute Sicherheit für Gelatine gibt es aus wissenschaftlicher Sicht nur, wenn das Ausgangsmaterial frei von Erregern ist. Denn diese sind sogar gegen extrem harte chemische Behandlung - wie in Deutschland praktiziert - äußerst resistent. (siehe "Hintergründe") Das zeigen bisher unveröffentlichte Tierversuche. Es waren Versuche mit Mäusen, wie hier. Seit Juni 93, im schottischen Forschungsinstitut Inveresk, wie FRONTAL zugespielte Dokumente belegen. Alles streng geheim. Auftraggeber: der europäische Verband der Gelatine-Hersteller. Infektiöses Material, Code-Nummer "ME 7", wurde den Mäusen injiziert. Ursprünglich gewonnen aus dem Hirn scrapiekranker Schafe. In den uns zugegangenen Aufzeichnungen über die Experimente heißt es, Zitat: "Zwei entscheidende Schritte im Herstellungsprozeß der Gelatine wurden daraufhin untersucht, ob sie den Scrapieerreger und auch alle verwandten Erreger inaktivieren können."
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Im Klartext: Wie bei der Gelatine-Produktion wurde auch im Tierversuch das Erregermaterial einer besonders harten chemischen Tortur unterzogen. Und zwar mit Salzsäure und Lauge, in diesem Fall Kalkmilch. Eben jene Chemikalien, von denen man bisher annahm, daß sie für die Erreger garantiert tödlich sind. Fehlanzeige: Den Dokumenten ist zu entnehmen: Die Masse der im schottischen Labor verwendeten Versuchstiere, soweit sie den Eingriff eine zeitlang überlebten, starb Monate später an den typischen Symptomen der Schafseuche Scrapie. Ursache: krankhafte Veränderungen im Gehirn. Ein schockierendes Resultat: Ob Scrapie beim Schaf oder BSE beim Rind, Politik und Lebensmittelwirtschaft müssen ihre Positionen nun wohl korrigieren. (siehe "Hintergründe") Deutsche Hersteller versichern in ihren Prospekten, daß ihre Gelatine ohne Risiko ist. Weil die Rohware aus BSE-freiem Schlachtabfall stammt. Bei ausländischer Ware ist dies offenbar nicht immer sicher. Zurück zum Brüsseler Wahnsinns-Theater, mit dem sich nun der Untersuchungsausschuß herumschlagen muß. Die Kommission steht nicht nur im Verdacht, in Sachen BSE weitgehend untätig gewesen zu sein, sondern auch Forschungsergebnisse beeinflußt oder gar unterdrückt zu haben. Das bedeutet weiteren Vertrauensverlust beim Verbraucher. In Sachen Gelatine erscheinen auch die wissenschaftlichen Ausschüsse nicht im besten Licht. Reimer Böge, CDU, BSE-Untersuchungsausschuß der EU Der wissenschaftliche Lebensmittelausschuß hat vor der Entscheidung des wissenschaftlichen Veterinärausschußes ausdrücklich davor gewarnt, daß Gelatine aus BSE-Gebieten überhaupt in irgendeiner Weise verwendet werden sollte. Und auch dieses Votum ist nach meinem Kenntnisstand beiseitegeschoben worden. Schiebung, Schlamperei, Verbotsverstöße. Eine niederschmetternde Bilanz. Die Aktenlage scheint klar zu sein. Wie heute an der Rue Belliard zu hören war, sollen außer den EU-Generaldirektoren noch hochrangige Politiker und Regierungsbeamte der Mitgliedsstaaten vor den Untersuchungsausschuß zitiert werden. Brüsseler Enthüllungen werden wohl noch manchen Ordner füllen.
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