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Die Katze |
Die Katze sitzt auf meinem Rücken. Die Katze sitzt immer auf meinem Rücken, wenn sie mich beim Bücken erwischt.
Das gelingt ihr oft, weil ich, immer, wenn ich mich bücke, irgendetwas im Sinn habe, das meine Gedanken von der Katze abhält. Eben hob ich die schmutzige Wäsche, die in kleinen Gebirgen mein Wohnzimmer überwuchert, vom Boden auf, um sie der Waschmaschine zuzuführen,
als die Katze wieder auf meinen Rücken sprang.
Da sitzt sie und schnurrt. Sie liebt mich, sitzt auf meinem Rücken und ist froh. Ich bin ebenfalls froh. Froh, weil die Katze mich liebt und schnurrt. Es ist ein angenehmes Gefühl, wenn die Katze auf meinem Rücken schnurrt. Das Schnurren macht sich selbständig und rollt in meinem Körper umher. In jeden Winkel kriecht es und macht ihn weich und geschmeidig. Jetzt weiß ich, warum Katzen so biegsam sind - es ist ihr Schnurren. Das Schnurren fängt die Katze, wenn sie noch ein ganz kleines, kompaktes Katzenkind ist, und ergreift von ihr Besitz. Allmählich formt es die Katze, wird dabei selbst größer und stärker, mutiert von einem feinen "grrr" zu einem mächtigen "RRRRRRRRR", das die Katze überkommt, wenn sie gerade nicht wachsam ist, und sie durchknetet, bis sie sich wie Teig anfühlt. In diesem Stadium ist die Katze anpassungsfähiger denn je, schwer und fließend sickert sie in jede Ritze um sich herum. Kopfunter lehnt sie an einem der Wäschegebirge und vergräbt ihre schwarze Nase darin. Oder sie wellt sich quer über der Wohnlandschaft. Sie formt sich zu einem Klumpen, der genau in die zum Katzennest umfunktionierte Schuhschachtel paßt. Wer hätte gedacht, daß die Katze da überhaupt hineinpaßt, wohlgenährt wie sie ist? Aber in diesem Zustand, wenn das Schnurren sie überkommt, ist kein Winkel zu eng, keine Spalte zu schmal - die Katze paßt sich an, schmiegt sich hinein, verschmilzt mit ihrer Umgebung. Und jetzt sitzt die Katze auf meinem Rücken und schnurrt. Schnurrt für mich, weil sie weiß, ich kann nicht besonders gut schnurren. Sie muß mir helfen. Das ist eines der Dinge, die sie für mich tut: mir beim Schnurren helfen. Sie versteht nicht, warum ich mir beim Schnurren so schwertue, aber ihr Instinkt sagt ihr: "Wenn etwas, das du liebst, etwas durch und durch Kätzisches nicht kann, hilf ihm dabei." Der Biologe, mit dem ich mich auf einer Party unterhalte, sagt, es handele sich hierbei um einen angeborenen Instinkt, der für die Aufzucht der Jungen durch jahrhundertelange Erfahrung entwickelt wurde. Überlebensnotwendig, ebenso wie das Kneten des geliebten Wesens mit den Vorderpfoten, das keineswegs ein Ausdruck der Zuneigung sei, vielmehr dem Milchtreten der Jungen entspräche. Eine Katze ja weder vernunftbegabt noch zu seelischen Regungen fähig. Ein Tier, weiter nichts. Er kann niemals von einer Katze besessen worden sein. Aufzucht der Jungen, pah. Außerdem ist die Katze, ja, die Katze, eigentlich ein Kater. Gewesen. Und bei den Katzen ist zum Schrecken aller emanzipierten Frauen der Kater niemals für irgendwie geartete erzieherischen Tätigkeiten zuständig. Also müßte er mir nicht beim Schnurren helfen. Eigentlich geht ihn meine Unfähigkeit zu schnurren gar nichts an. Es sollte ihm egal sein, daß ich in wohligem Zustand höchstens ein "mmm" zustande bringe, vielleicht noch ein "mmhmmhmmh" in wechselnder Tonhöhe. Aber kein "grrr", kein "mrrr-rrr-rrr-rrr", niemals ein ordentliches "RRRR". Aber er liebt mich, daher möchte er die Freuden des Schnurrens mit mir teilen. Er liebt mich, und ich liebe ihn, deshalb mag ich es, wenn er auf meinem Rücken sitzt und schnurrt. Entspannt sitzt er da. Und schnurrt. Ein gutes Gefühl. Ewig könnte ich das spüren. Ewig. Ein leichter Stich im Kreuz stört den Wunsch nach Unendlichkeit. Diese gebückte Haltung, obwohl ich ja noch jung bin, aber diese Haltung ist unangenehm. Das Schnurren auf meinem Rücken wiegt die leichte Unannehmlichkeit bei weitem auf. Die Katze liebt mich. Sehr. So sehr, daß sie beginnt, mit den Vorderpfoten meinen Rücken rhythmisch zu kneten. Katzenpfotenmassage. Wohltuend. Katzenkrallenmassage. "Laß das!" Die Katze interpretiert mein Miauen falsch und verstärkt ihre Bemühungen. Sie sitzt auf meinem Rücken und schnurrt. Und krallt. Systematisch stanzt sie kleine Löcher in meine Haut. Vor Liebe. Die Verletzungen heilen wieder, laß doch der Katze ihre Liebesbeweise. Man soll die Katze nicht vor den Kopf stoßen. "Gegen den Strich streicheln. Wie würde dir das gefallen, kleine Katze, wenn jemand spitze Dinge in deine Haut bohrt? So regelmäßig, daß du genau weißt, wann der nächste schmerzhafte Nadelstich erfolgen wird? So regelmäßig, daß dir bei jedem Piekser schon vor dem nächsten graut?" Natürlich weiß die Katze nichts von diesen meinen Gedanken. Sie liebt mich und ich liebe sie und das ist wichtig. Aufrichten müßte ich mich. Das wäre schön. Die vom Dauerbücken verkrampfte Rückenmuskulatur lockern, entspannen. Aber die Katze sitzt auf meinem Rücken. Wenn ich mich bewege, krallt sie sich fest. Es wird wehtun. Sie wird lange, blutige Striemen auf meinem Rücken hinterlassen, wenn sie langsam hinunterrutscht. Es wird sehr wehtun. Also nicht. Dann warte ich eben, bis sie von selbst geht. So lange kann das nicht mehr dauern. Die Katze schnurrt und krallt an mir herum. Selig vor Glück liebt sie mich. Auf ihre ureigenste Art. Niemals wird sie von selbst damit aufhören. Nie. Wie soll ich je die dem Menschen angeborene aufrechte Haltung wiedererlangen? Endlich lasse ich das verschwitzte T-Shirt fallen. Es gibt Dringlicheres als Schmutzwäsche. Mit beiden Armen greife ich hinter mich, dorthin, wo meine Hände die Katze vermuten. Sie treffen einander, ohne einen Hauch von Katze wahrgenommen zu haben. Gut. Wenn ich sie jetzt ein wenig abwinkle und gegeneinander verdrehe, meine Schultern ein bißchen auskugle, müßte es möglich sein, die Katze von meinem Rücken zu pflücken. Da! Jetzt habe ich sie. Fell unter meinen Fingern. Fell, das zu der Katze gehört. Katze - ein ausgewachsener Kater. Sechs Kilo zwanzig nach der letzten Diät. Wie soll ich dieses Gewicht mit meinen armen verdrehten ausgekugelten Armen heben? Zur Seite bewegen? Außerdem brauche ich eine dritte Hand, die die Krallen der Katze aus meinem Sweatshirt befreit. So also auch nicht. Unter leisen Schmerzenslauten bewege ich mich zum Sofa. In Augenhöhe nimmt die Armlehne bedrohliche Ausmaße an. Egal. Ich lehne mich darauf. "Aaaaah." Meine verkümmerten Muskeln müssen nicht mehr ganz alleine das Gewicht meines Oberkörpers in der Waagrechten halten. Die Katze sitzt auf meinem Rücken und schnurrt. Die nach innen gekrümmten Krallen bearbeiten meine Schulter. Vorsichtig schiebt sie sich zu meinem Nacken vor, zärtlich atmet sie mir ins Ohr. Donnergrollen. "Hinunter! Verschwinde! Geh da weg!" Eine Idee: Wenn ich mich nach vorne beuge, bis die Angelegenheit zu steil für die Katze wird - vielleicht rutscht sie ja ab? Vorsichtig verstärke ich die Neigung. "RRRRR" Mehr. "RRRRRRRR" Noch mehr. "RRRRRRRRRR" Die Katze fühlt sich sehr wohl, die spitzen Widerhaken ihrer Krallen sichern ihren Halt. Es schmerzt. sehr. Fehlversuch. Hilflos stehe ich da, in der Mitte abgeknickt wie ein Grashalm im Wind. Nur kostet mich diese Haltung mehr Kraft als einen Grashalm. Ich bin schwerer. Viel schwerer. Jetzt weiß ich erst, wie schwer. Dies ist der Startschuß für eine Diät. Gleich morgen fange ich damit an. Vorausgesetzt, ich kann diese Haltung vorher aufgeben. Vielleicht muß ich ja mein restliches Leben so verbringen. Halbhoch und doppeltbreit. Ungeschickt, tapsig, kopflastig. Ständig in Gefahr, auf der Nase zu landen. Mit einer Katze am Rücken. Lange sitzt die Katze jetzt schon auf meinem Rücken. Zu lange. Ich muß sie da herunterkriegen. Einen Kran müßte man haben. Einen, der die Katze von meinem Rücken hebt. Der sie aus dem Nest zerrt, das sie mit den Krallen aus meinen Nackenhaaren formt. Einen Katzenhebekran. Ich schaue auf den gelben Seiten nach. Katzenbedarf, Katzenfutter, Katzengras, Katzenklo, Katzenkorb, Katzenkratzbaum, Katzenspielzeug, Katzenwaren. Kein Katzenkran. Wieder nichts. Neue Ideen, irgendetwas muß helfen. Katzenspielzeug - auf allen Vieren krieche ich umher, die Katze sitzt auf meinem Rücken, und suche den Socken. Baldriansocken. So ein Ding, das Katzenbesitzern anderen Katzenbesitzern mitbringen, wobei sie tun, als hätten sie Katzenwohl im Sinn. Dabei sehen sie gern zu, wenn fremde Katzen in fremden Wohnungen Spielzeug im Bleikristall jagen. Ganz wild ist meine auf sowas, sagen sie, und sind enttäuscht, wenn die Katze nicht beglückt sondern gelangweilt ist. Die Katze, meine Katze, die jetzt auf meinem Rücken sitzt, liebt den Baldriansocken. Wenn er mich belohnen will, darf ich sogar auch damit spielen. Ich muß ihn finden, dann wird die Katze von meinem Rücken springen und ihn erlegen. Sie schätzt Beute, die nicht davonläuft, denn die Katze ist wohlgenährt und schwerfällig. Der Socken ist von irgendjemandem in den hintersten Winkel unter der Couch verschleppt worden. Unter Verrenkungen hole ich ihn, halte ihn der Katze vor die Stumpfnase, besser gesagt, hinter mich, dort wo ich die Nase vermute, und wedle damit herum. Nichts. Ich bewege ihn weg von mir. Nichts. Tue, als würde ich ihn aufessen. Appell an den Futterneid. Nichts. Die Katze gönnt mir den Socken, wenn sie auf meinem Rücken sitzenbleiben darf. Einen halben Tag lang sitzt die Katze schon auf meinem Rücken und durchlöchert ihn. Weil sie mich liebt. Schön. Sehr schön. Verdammt schön. Ich hasse die Katze. Außerdem werde ich durstig. Wasser. Wenn ich den Kopf weit genug in den Nacken lege, kann ich den Wasserhahn sehen. Ein Trinkglas? Die befinden sich in Kopfhöhe. Wenn ich stehe. Jetzt bin ich gebeugt, denn auf meinem Rücken sitzt die Katze. Kein Glas. Ich weigere mich, aus dem Wassernapf der Katze zu schlabbern. Lieber verdursten. Jawohl. Die Zunge wird pelzig, klebt am Gaumen. Doch das Katzenwasser? Nein, mit der hohlen Hand schaffe ich mühselig einige Tröpfchen zum Mund. Mehrmals, oftmals, dann bin ich - undurstig? Hungrig - satt, durstig - undurstig? Gestillt? Befeuchtet? Es gibt kein Wort dafür. Aber das Wort hungrig - gegessen habe ich länger nichts mehr. Die Katze sitzt auf meinem Rücken, als ich die Eiskastentüre öffne. Ich kann nicht so hoch hinaufschauen, also taste ich nach Essen. Die Katze reißt mir die Wurst aus der Hand, ohne meinen Rücken zu verlassen. Sie fängt auch den Käse ab. Das Joghurt war offen und rinnt mir ins Haar. Nachtisch für die Katze. Genüßlich schleckt sie daran herum. Ein halber Paradeiser. Den mag die Katze, die auf meinem Rücken sitzt, nicht. Ich esse ihn langsam, genieße jeden Bissen, wer weiß, für wie lange es die letzte Mahlzeit ist? Vielleicht verdurste und verhungere ich, während die Katze auf meinem Rücken sitzt? Vielleicht gehe ich einfach einkaufen? Mit der Katze? Nein, sie hat Angst, die Wohnung zu verlassen. Wenn ich gehe, wird sie bleiben wollen. So geht es. Ich ziehe Schuhe an, dabei ist man ohnehin gebückt, nehme den Schlüssel und verlasse die Wohnung. Die Katze schnurrt. Sie vertraut mir, auf meinem Rücken passiert ihr nichts. Ich gehe weiter, denke Tierarzt, Katzenspritze, großer Hund, es nützt nichts. Ich denke Tierarzt, und die Katze ist weg! Verschwunden! Aufgelöst! Im Normalfall. Jetzt ist nicht normal, die Katze sitzt auf meinem Rücken. Die Katze wohnt auf meinem Rücken. Sie beabsichtigt, ihren Lebensabend hier zu verbringen. Es gefällt ihr hier, und sie malt sich aus, wie sie in einigen Jahren meinen Rücken testamentarisch unter ihren Nachkommen verteilen kann. Sie liebt mich, deshalb sitzt sie auf meinem Rücken und schnurrt. Ich läute bei allen Nachbarn, rufe die Feuerwehr, "Se san ja ka Bam!", die Tierrettung, die Menschenrettung, die Polizei. Keiner will helfen. Keiner kann helfen. Niemand steht mir bei. Da! Ich bin nicht mehr allein. Schlüssel drehen sich im Schloß. Mein Mann kommt. Er wird mir helfen. Wenn er mich hier findet. Wenn er mich erkennt. Verkrümmt, deformiert, halbiert, durchlöchert, ausgetrocknet, abgezehrt, halb verhungert, ein Nervenbündel, seit die Katze auf meinem Rücken sitzt. Und mich liebt. Und ihre Krallen in die wunden Stellen bohrt. Und schnurrt. Vor Liebe. Und vor wasweißichwas. Warum schnurren Katzen? Überflüssige Tätigkeit. Unproduktiv. Ich wimmere. "Hallo! Katze!" ruft er von der Tür, "Zeit fürs Futter!", und die Katze, die mich liebte, springt hoch und rast ihm aufgeregt entgegen. |
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