Vor der Hütte ist gut sitzen. Die Bank ist vom Regen und von der Sonne' blank und ausgebleicht. Der Rauch, der über das SchindeIdach zieht, riecht nach Harz und würzigen Kräutern. Der Almrausch blüht, die Luft ist klar und rein. Die blauen Konturen der Berge ringsum sind wie handgemalt. Aus dem Tal weht der Klang der Abendglocken herauf. Hören auch Sie das Gebimmel der heimwärts ziehenden Kühe ?
Am Rand des Wiesenbalkons tauchen die Almbauern auf. Sie gehen mit schweren Schritten, tragen die Last eines harten Tages auf den Schultern. Aus der Hütte schlägt Ihnen der Duft von frischem Brot und Almkas' entgegen. Die Sennerin erwartet sie. Schnell nehmen sie die letzte Steigung, werfen ihren Rucksack ab, setzen sich zu uns. Zeit zum "Hoagaschten". Zusammensitzen. Geschichten erzählen, wahre und beinahe wahre. Lachen. Schmunzeln. Scherzen.
Maria greift sich mit der knorrigen Hand an den Halsausschnitt ihrer Bluse. "Häst wieder dei Goldkreuzl um", sagt Xander und lacht. "Bei uns wachsen solchene Kreuzln, woaßt!" ja, das Gold! Der Ignaz Rojacher hat vor über hundert Jahren den alten Goldbergbau für kurze Zeit mit Erfolg wiederbelebt. Er baute für die berühmten Bergwerke am Sonnblick Stollen und eine neue Förderbahn. Er wurde fündig, brachte Glanz ins Tal. Ein begnadeter Erfinder war er auch. In Kolm Saigurn installierte er einen Schrägaufzug und eine der ersten Glühlichtanlagen Österreichs.
Auf dem 3105 Meter hohen Sonnblick gründete er eine Wetterwarte, die noch heute die höchst gelegene, ständig besetzte der Alpen ist. Der Kolm Naz, wie ihn seine Landsleute nannten, ist immer noch ein Symbol der Region.
Denn hier ist nicht nur sein Name, sondern auch sein Pioniergeist nach wie vor lebendig. Hier im Nationalpark, wo die Menschen mit einem Fuß in der Vergangenheit, mit dem anderen Fuß in der Zukunft und doch mit beiden Beinen im Leben stehen.
Wenn die Einheimischen am Sonntag nach dem Kirchgang im Wirtshaus sitzen, kann man sie über die Vor- und Nachteile der modernen Hackschnitzel-Anlage diskutieren hören, mit der das Dorf umweltschonend seine Häuser heizt. Pioniergeist bedeutet: Tradition aus Überzeugung, nicht aber aus Gewohnheit üben. Die Wurzeln, die einem Halt geben, nicht achtlos durchtrennen. Und sich neugierig und wachsam den Herausforderungen der Zukunft stellen.
Deshalb gibt es einen Verein wie "Tauriska", der einerseits Volksmusik, Tanz, Kunsthandwerk und zeitgenössische Kunst pflegt, und andererseits Forscherprominenz wie Robert Jungk, Leopold Kohr oder Erwin Chargaff zu Symposien lädt. Deshalb kultiviert man die Zucht des altehrwürdigen Pinzgauer-Rindes oder des Salzburger Berglammes und installiert hypermoderne Solaranlagen. Deshalb forscht man nach dem mythologischen Wissen der Ahnen und plant zugleich das erste "Bildungs- und Informatioriszentrum für Alternative Technologie" in Mitteleuropa.
Deshalb stellt die Sennerin jetzt, nachdem es überm "Hoagaschten" dunkel geworden ist und nur mehr die höchsten Spitzen der Berge vom letzten Sonnenstrahl rot leuchten, eine Kerze auf unseren Tisch und berichtet stolz, daß sie auf ihrer Alm ohne Chemie auskommt und daß ihr Käse demnächst mit dem Gütesiegel ausgezeichnet werden soll. Bitte, probieren Sie doch ein Stück !