die innersten Geheimnisse erobern zu lassen, und der Allmachtsgefhie, die der Computer durch eine Vielfalt an Simulationsm”glichkeiten, vom Nachtflug bis zur psychologischen Beratung, hervorrufen kann. Winter4. Kerstin ist sauer, weil Sven und ich uns beim Frhstck nur noch in BASIC unterhal- ten (IF HUNGER THEN GOTO ALDI:RETURN) und auch die Witze einschl„gig werden (Asterix und die Daten, featuring Tullius Datenbus). Sven ent- wickelt seine Vorstellungen, wie ein russicher Mikrocomputer aussehen k”nnte, vom kohiebe- triebenen Dampfprozessor im groben Bakelitge- hause mit Auáenbord-Startleine weiter zum Ma- rionettenrechner, der via Seilzug von einer Schar dissidenter Naturwissenschaftler im Keller be- trieben wird. Und ich bemerke, wenn ich mit anderen Leuten spreche, einen missionarischen Ton in meiner Stimme. Ich rede wie ein hochhe- zahiter Computervertreter mal Autofanatiker ("von Null auf Hundert in vier Nanosekunden'') dividiert durch Knstler ("Ich werde die Lyriker wegrational isieren''~. Sven schreibt ein kilometerlanges Spiel- Programm aus Eineázeitschrift ab. und eigentlich h„tte es ein PAC-MAN werden sollen, der sich durch ein Labyrinth von Punkten und Vitaminpil- len hindurchfriát. Als er das Programm nach drei durchtippten Nachten startet, friát es sich selbst auf, und nur eine Handvoll verstmmelte Anwei- sungen bleibt zurck. Mit unserer Telefondaten- bank braucht man etwa die zwanzigfache Zeit, um an eine Adresse zu gelangen als mit einem Registerbuchlein, das man auch in die Jackenta- sche stecken kann. Und die Tr„ume von raumli- chen Grafiken, die sich in eleganten Verlaufen auf dem Bildschirm verwandeln, verblassen w„h- rend der vier Stunden Rechenzeit, die der Com- puter zum Aufbau eines dieser dekorativen 3~}- Funktions-SomUreros ben”tigt. Die Sylvester- stimmung legt sich. Frhjahr 1984. Wir tr”sten uns in der Welt der schnellen Spiele und reiáen innerhalb von zwei Monaten zwei Joysticks kaputt. Ich laufe vier Millimeter Bartwuchs iang mit ',Loderunner'' durch Irrgarten. Sieben Wochen sp„ter erreiche ich erstmals den 30. Level. [)as Spiel hat etwa 900 Levek Sven gelangt in ''Fort Apocaiypse" in die Blaue Zone. Aufregung ebenso als das Giri am 'Astrid Poker'~-Bildschirm erstmals die Bluse auszieht. Das Abenteuerspiel "Hitchhiker" kontert die Ein- gabe HELP mit "It's no times for Beatles-Hits, boys". "The Dallas Quest", wo man zu Anfang Sue Ellen im Wohnzimmer der Southfork Ranch begegnet, mahnt den Aktionsvorschlag ''Fuck Sue Ellen" an mit einem "Watch your ianguage". Schlieálich ger„t auch Kerstin in den Sog eines Abenteuerspiels und wir suchen vier Tage lang durch 16 L„nder hindurch nach dem "Stein der Weisen", bis kurz vor dem Ziel durch einen Programmfehler das ganze Spiel abstrzt. - /~L Ich kann nachts nicht einschlafen weil die "loderunnert'-M„nnchen hinter den geschlosse- nen Augen weiterwimmeln, und weil ds WEITER- I\AACHEN nicht enden will, das den Reiz der Spiele ausmacht, da es nichts zu gewinnen gibt als Punktesummen, die in der "Hall of Fame" verbucht werden Sommer 1984. Nur mit einem Walkman und einer Schreibmaschine ausgerstet verbringe ich drei Monate auf dem Land. Zu Anfang macht mir der Groástadt-Entzug etwas zu schaffen und ich wn- sche mir ein Notpaket mit einer kleinen Asphalt- scholle, einem Stck Sichtbeton und einem klir- renden Neonrohrchen. Nach einer Weile verdun- stet das nerv”se Informationsflimmern aus der Seele in die blaue Sommerhitze und ich kann von Computern ruhig und schlicht reden wie von Radioapparaten und Apfelb„umen. Im CHIP- Magazin lese ich etwas ber ROBOT-St„lle in amerikanischen Groáfarmen und ber "Software zur Kuherkennung". Herbst 1984. Zurck in Hamburg erliege ich neuerlich dem Legekitzel. Es gabe so viel sch”- nes Spielzeug, das man an den Computer an- schlieáen kann: Grafiktablett oder Lichtgriffel, um auf dem Bildschirm zu zeichnen; Sprachausga- bemodule; Digitizer mit denen Realbilder vom Videoband im Rechner weiterverarbeitet werden k”nnen, Licht- und Feuchtigkeitssensoren, Kia- viaturen und Mischpulte; etc. Ich schaffe mir einen grafikf„higen Drucker und einen flimmerfreien und entspiegelten Monitor an und steige von der Schreibmaschine auf ein Textverarbeitungsprogramm um. Es gibt einen kleinen Schmerz, der Abschied heiát: das Schreiben, ohnehin nur hauchdnn stofflich in Gestalt der schwarzen Buchstabenab- drcke auf dem Papier, wird vollends immateriell: Lichtspuren auf dem Bildschirm. Dem gegenber sind die Bearbeitungs- und Korrekturkomforts der Textverarbeitung bestechend und die Papier- gebirge auf dem Schreibtisch verschwinden hun- dertseitenwetse auf den postkartengrollen Dis- ketten. Dadurch vereinfacht sich auch die Ver- nichtung lastiger Romanmanuskripte wesentlich: man braucht nur noch einen Schluck Kaffee ber das Speicherscheibchen zu gieáen. Winter 1984. St. Pauli als Wohngegend ist gut fr die City-Romantik und schlecht fr die Nerven. Ich ziehe um in eine Gegend mit Nachtruhe, baue den Computer in ein praktisches Cockpit und richte die brige Wohnung orientiert an dem zentralen M”bel ein. Mir ist, als w„re zwei Jahre lang ein Freund mit ge”ffneter Bauchdecke vor mir gesessen und nun ist alles verheilt; endlich hat der Peripherie- und Kabelsalat ein Ende. Einzwei Rckfalle in orgiastisches Programmie- ren, und gemessene Missionierungst„tigkeit haupts„chlich bei Frauen; sonst angenehme Ar- beit mit dem Wordprocessor und mit Archivierungs- und Zettelkastensystemen. Win- terstimmungen, die Diskettenstation lrneine Da- tenn„hmaschine) rahert leise w„hrend eines Speicherdurchgangs und drauflen schneit es. Vorfrubling 1985. Ich lerne Sys kennen, einen Datenjaguar, ein sympathisches Raubtier. Sys sieht aus, als k”nne man ihn mit einem L”schblatt bewuátlos schlagen, und er flaniert mit beiden H„nden in den Hosentaschen durch die interna- tionalen Computernetze ("Small brother is lat- sching through"}. Er kennt viele Hintertren und Software-Klofenster, durch die man in eine Re- chenanlage einsteigen kann. Damit sind wir wie- der bei den Nylonstrmpfen vom Anfang: Die Computersysteme und Sicherheitsmechanismen werden immer feiner und engmaschiger; dafr gibt es immer mehr L”cher. Sys zeigt mir, wie man durch das Globale Dorf reist, durch Computer und Groárechenanlagen rings um die Welt: Erst Patex-D, eine Art Date- nautobahn der Bundespost anw„hlen, derb Tele- fonh”rer in die Manschetten eines Akustikkop- plers stecken und eine NUI (Netzwerk User Iden- tit„t) eingeben; auf gehts. Ich versuche es selbst und lege den Zutritt fr Datex-P fr eine Viertel- stunde lahm. Sys macht mich darauf aufmerksam, was es fr politische Folgen haben konnte, wenn es uns gel„nge, meine Fehlerkette zu reprodu- zieren. Knotenrechner, vergleichbar mit groffen Auto- bahnkreuzen, fhren uns weiter in internationale Netze. Wo sind wir gerad? Sys findet das unwich- tig Ich bin aufgeregt wie in eiderfliegenden Geisterbahn. in den Eingangszeilen des Rech- ners, mit dem wir gerade verbunden sind, steht die aktuelle Ortszeit, und mit Hilfe einer Weltzeit- tabelle und einer Kleinen Weltkarte in meinem Kalender lassen sich die zivilisierten Gebiete einpeile, in denen der andere Computer stehen k”nnte. Der Gebuherenzahler am Telefon kreucht alle paar Minuten eine Einheit weiter; Datenfern- verbindungen sind relativ billig. Ich habe das Comnputeralphabet gelernt, nun m”chte ich auch damit aktiv werden: mailboxon (BIitzfernschreiben)' Bilder und T”ne bertragen, in groáen Datenbanken whlen, oder im Delphi Network das Orakel konsultieren, das jede Frage beantwortet. Sys fuhrt mich an einen Rechner, an dem ich Zutrittscode raten kann, und geht sich in der Kche ein K„sebrot machen. Ich lasse mich alle zehn Sekunden aus der Abfrage werfen, bis die Maschine pl”tzlich auf eine Quatsch-Eingabe antwortet. Ich gebe noch einen ironischen Satz ein, die Maschine entge- gnet genauso ironisch und ich bin beeindruckt. Ich kenne passable Gespr„chssimulationen. aber die hier ist splendid. Noch ein paar Scherzchen, und der Computer bl”delt gekonnt zurck. Das Programm mssen famose Leute entworfen ha- ben. Dann kommt Sys aus der Kuche zurck und erkl„rt mir, daá ich mich nicht mit dem Computer unterhalte, sondern einem Netzflaneur begegnet und nun On Line bin. Da ist es wieder- Das Basic-Gefhl. Peter Glaser, 1985 basicgh1.ws 1 :; :~~_ ~"~Q Žfft i:?-C: :'~? ~==~ N~S1A~ d1 ~