Peter Glaser SPASS INVADERS "Man muá als Mann den Ernst wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte." Nietzsche Das erste Computerspiel spielte ich Ende der sechziger Jahre. Es lief auf meinem "Logicus", einem sogenannten Spielcomputer der Firma Kosmos ("Das Spezialversandhaus fr Naturfreunde"). Lief ist vielleicht ein wenig bertrieben. "Logicus" war eine Art Makrochip. Ein mensch„rgeredichnichtschachtelgroáes, beiges Plastikgeh„use, vorn acht rote Schieberegler (input), hinten acht Glhbirnchen unter einer rauchglasfarbenen Kunststoffhaube (output). Hob man die Haube ab, lieáen sich verschieden bedruckte Transparentfolien ber die Birnchen stlpen. Jungs lieben es, Folien ber Birnchen zu stlpen. Programmiert wurde das Ger„t ber ein Steckfeld, in das man - nach Pl„nen in einem Beiheft - die abisolierten Enden himmelblauer Dr„htchen st”pselte. Es sah aus wie die Taschenbuchausgabe einer Telefonvermittlung aus den dreiáiger Jahren. Handverdrahtete Software! No kidding. Auf einer der Folien waren sechs Fuáballspieler, vor jedem Birnchen einer, und links und rechts ein Tor. Mit jedem Reglerschieben leuchtete ein anderes Birnchen auf. Die Verschaltung war notwendigerweise undurchschaubar. Licht im Tor gab einen Punkt. "Theoretisch kann ein Echter Programmierer seine Programme zum Laufen bringen, indem er sie direkt ber die Schalttafel in den Computer eingibt", schreibt Ed Post in einer Betrachtung ber Echte Programmierer. "In den frhen Tagen, als die Computer noch Schalttafeln hatten, wurde das gelegentlich so gemacht." Die Legende sagt, daá Seymour Cray, der Erfinder des nach ihm benannten Supercomputers, das Betriebssystem aus dem Ged„chtnis ber die Schalttafel eingab, als die neue Maschine zum ersten Mal hochgefahren wurde. Soviel, um dem Mythos entgegenzutreten, Computerspiele seien was fr Kinder. Der "Logicus"-Episode folgten die langweiligen siebziger Jahre, deren erste H„lfte ich damit zubrachte, Leonard Cohen zu imitieren. In der zweiten fing ich an, ernsthaft zu flippern. Das Flippern habe ich immer als einen tief befriedigenden Tanz erlebt, in immer eleganteren Bewegungen, je besser ich das Spiel beherrschte. Die Mittelfinger links und rechts an den Kn”pfen, das RattRatt KLONK! dingdingding anstelle urzeitlicher Trommeln, das Bekken kreist neben dem Mnzeinwurfschlitz. Perfekt der Rhythmus der akrobatischen Route der spiegelnden Stahlkugel. Und jede Hftknochenkarambolage mit dem Geh„use knapp, aber kunstvoll eben noch unter den TILT-Horizont gesetzt. Ein bedeutendes Prinzip, das bereits im Flipper begrndet war, und das sich heute in den Computerspielen wiederfindet, ist die Ungreifbarkeit, besser: Unfaábarkeit der Spielfiguren. Anders als bei den klassischen Karten-, Geschicklichkeits- und Brettspielen, sind die H„nde aus dem eigentlichen Spielbereich ausgeschlossen. Nur die Gesichtssinne haben noch Direktkontakt. Spielvergngen durch mechanisches Fernwirken kennen wir von nichtkriegerischen Waffenanwendungen wie dem Bogenschieáen oder dem Speerwerfen. Die Kugel im Flipper weist auf die militante Abkunft des Genres. Ende der siebziger Jahre erschienen die ersten, wie man damals sagte: Bildschirmspiele. In den „ltesten Videogames wurde die Kugel substituiert durch einen Strich mit senkrechter ("Breakout") oder Strahlenkanonenstreifchen mit waagerechter Freiheit ("Space Invaders"). Hinter dem Bildschirm gab es nicht einmal mehr was zu greifen, wenn man die Scheibe einschlug. Das Videospielen kostete dreimal soviel wie das Flippern, war jedoch faszinierender weil neuartig. Ein paar Jahre sp„ter, als ich einen Artikel ber verbesserte Software zur automatischen Kuherkennung auf einem amerikanischen Bauernhof las, begriff ich, was die Faszination ausmacht. Es w„re wohl einfacher, einen Landarbeiter hinzustellen, statt mit riesigem Rechenaufwand und Methoden aus der Satellitenbildauswertung vorbeiwankende Euter von Nichteutern zu unterscheiden. Aber es w„re nicht INNOVATIV. Die Videospielmaschinen strahlten khl und graublau, nichts mehr von den Feuerfarben der Flipperfrontscheiben, und sie gaben T”ne ab, die auf ungemein moderne Art knstlich und reduziert, um nicht zu sagen pionierhaft simpel klangen. Neben den Standger„ten tauchte kurzzeitig ein Tischger„t auf, an dem man zu zweit spielen konnte. Jeder lenkte einen Wurm, der immer l„nger wurde und weder mit sich selbst noch mit dem anderen Wurm kollidieren durfte. Naja, die meisten Leitmedien des 20. Jahrhunderts haben auf dem Rummelplatz angefangen. Der besondere Reiz an dem Prinzip der anthropoevakuierten Spielr„ume liegt in der magischen Anmutung, den alles Fernwirken hat. Auf Deutsch: Ich bin Merlin, der Zauberer, der mit winzigen Handbewegungen macht, daá es sich da drin abspielt wie bl”de. Im Videospiel wird der Spaá noch gesteigert durch die Basisbegeisterung, die aller Computerei zugrunde liegt: Eingreifen zu k”nnen in den Bildschirmraum, der - inbildhaft der Fernsehbildschirm - jahrzehntelang den groáen programmproduzierenden Anstalten (dieses Wort!) vorbehalten war. Nun kann jeder steuernd eindringen in das vormalige Macht-Vakuum der Bildr”hren. Eine gleichermaáen fremdartige wie zeitgem„áe Facette der k”rperfreien Spielr„ume ergibt sich aus der Modellhaftigkeit einer gespenstischen Anstrengung des Menschen: sich aus ganzen Weltbereichen auszuschlieáen. In den Clean Rooms der Chipfertigung st”rt der Mensch nur noch als Verunreinigungsfaktor. Musterhaft auch die Exklusion am Beispiel nuklearer Industrien. Hier wird der Aufenthalt teils fr Zeitr„ume von aberhunderten von Generationen ausgeschlossen. Auch 'ne Art von Naturschutz. Vordringlich gewnscht wird die Menschenfreiheit (dieser Doppelsinn!) vor allem von den Milit„rs. Die Welt als ein von Gefhl und Skrupel abgekoppeltes Kriegstheater; was das bedeutet, wissen wir seit dem Golfkrieg. DAS ist die šbung beim Videospielen, und nicht Reaktionstraining, wie Ronald Reagan irrtmlich annahm. Nochmal Ed Post: "Im Goldenen Zeitalter des Computerns war es einfach, die M„nner (auch "Echte M„nner" genannt) von den Bubis (auch "Mslifresser" genannt) zu unterscheiden. Aber die Zeiten „ndern sich. Heute sehen wir eine Welt, in der kleine, „ltere Damen einen computerisierten Mikrowellenherd haben, zw”lfj„hrige Kids einen Echten Mann bei Asteroids oder PacMan spielend in die Tasche stecken, und jedermann seinen h”chstpers”nlichen Personal Computer kaufen und verstehen kann." Anfang der achtziger Jahre erfuhren die Pocketvideospiele, zugleich mit dem Mikrocomputer, einen ersten Boom. Ich legte mir einen C-64 zu und kaufte von zwei Jungs in der Spielzeugabteilung bei Karstadt um einen Fnfer eine Diskette mit Spielen. "Frogger" - der Frosch muá ber die stark befahrene Straáe. "Squish 'em" - immer hochklettern, die Spinnen tottreten und den Waschbecken ausweichen, die sie von oben runterschmeiáen. An "Loderunner", mein Lieblingslabyrinthspiel, setzte ich mich glattrasiert und hatte einen beinah weichen Bart, als ich das n„chste Mal in einen Spiegel schaute. Klimper, mein Mitbewohner, hatte ein sogenanntes Fachbuch erworben und tippte zwei Tage und N„chte lang ein Spielprogramm ab ("Wildwasser"), das sich nach dem ersten Startversuch selbst auffraá. Die Rechner wurden schneller, die Bedienungsanleitungen krzer: "If it moves: shoot it. If it don't move: blast it." ("Goldrunner"). Das erste Text-Adventure, das ich durchspielte, hieá "Stein der Weisen" und war zweifellos von einem Schweizer geschrieben worden. Mitten im wildesten Phantastistan erschien der Hinweis: "Sie befinden sich vor der Kantonalbank." Computerspielen ist alles andere als harmlos, denn es ist nicht wirklich Spiel, es ist Kult. Kult im dramatischen Sinn. Nur aus den Tiefen des Spirituellen kann eine solche Inbrunst und fanatische Motivation, eine derartige obsessive und konvulsivische Steigerung kommen. Nirgendwo sonst ist eine so unbedingte Bereitschaft, eine so schmerzliche Verzckung zu beobachten, auáer vielleicht beim Triathlon oder bei der Steuerhinterziehung. Wie illuminierende Beichtsthle stehen die Ger„te in den Daddelarkaden. L„ngst erfllen die westlichen Kirchen ihre Pflicht, das Kultische lebendig zu halten, nicht mehr; l„ngst verm”gen sie nicht mehr zu fassen, wie sich dieses tiefe Bedrfen in die heutigen Zeiten einformt. Unf„hig und starr haben die Kirchen die geradezu phantastische Andachtsbereitschaft der nachmals Computerspieler verschenkt. "Das Beispiel Japan k”nnte die Neuentdeckung kultureller Bedingungen der Technikstile auch in Europa inspirieren", schreibt Joachim Radkau in einer Rezension des fnften Bands der Propyl„en Technikgeschichte. "Im brigen zeigt die Entstehungsgeschichte des Personal Computers ..., daá auch die Bedeutung des privaten Spiels bei der Technik-Genese nicht zu vernachl„ssigen ist." Ich muá an Chris Markers auáergew”hnlichen Filmessay "Sans Soleil" denken. Da betrachtet jemand in einem tokioter Groákaufhaus eine Ausstellung von Sch„tzen aus dem Vatikanmuseum, "die das Museum seit Jahrhunderten nicht mehr verlassen haben." In den Augen der japanischen Kaufhauskunden vermeint der Betrachter einen Glanz von Industriespionage wahrzunehmen, der ihn daran denken l„át, daá die Japaner m”glicherweise in ein paar Jahren mit einer leistungsf„higeren und billigeren Version des Katholizismus auf den Markt kommen k”nnten. Schon geschehn. Zwar vermissen wir noch das Sony Taschenbeichtger„t, der Nintendo- oder Sega- Handaltar jedoch ist lieferbar. Daá neben den proletarischen Mario Brothers, in denen die Arbeiterklasse zum Gegenstand der Verehrung wird, ausgerechnet das im Hort des Atheismus von dem Sowjetrussen Alexei Pazhitnov programmierte "Tetris" zum globalen G”tzen geworden ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Zeit und die kraftlosen Groákirchen des Westens. Im Ritual reduziert sich das Erz„hlen aufs Z„hlen. Die Wiederholung oft sinnloser Floskeln, Formeln, Bewegungen fhren zur Ekstatisierung. Gameboygambling hat das Rosenkranzherbeten abgel”st und hilft zur Erleuchtung. Das Ziel stundentagewochenlanger Computerspiele ist - eine Zahl. Wie in Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis", wo der zweitgr”áte Computer der Welt die Frage nach dem Leben, dem Universum und allem ("Die Antwort wird euch aber nicht gefallen") mit "42" beauskunftet. Ein Eintrag in der Hall of Fame. Was Verg„nglichkeit bedeutet, vermitteln nicht die eitlen PC-Spiele, in denen der Highscore sich auf Disk speichern l„át, sondern der geniale Gameboy, dessen LeadershipList nach jedem Ausschalten wieder erlischt. Die Gimmicks, kleinen Animationen, Extrabildchen oder Minimelodien beim Durchbrechen bestimmter spielerischer Schallmauern sieht weiágott niemand als Spielziel an. Es geht um mehr. Das Spiel ist Opfer. Wir geben das Wertvollste: Zeit. Das Videospielen bertrifft die TV-Verzckung, indem es aktiv betrieben wird, derwischhafter ist. Schon Jiddu Krishnamurti sagte, daá es egal ist, ob man Omm oder Cocacola murmelt - oder Ddeldt, m”chten wir erg„nzen -, das Ergebnis ist immer dasselbe. Kids spielen um zu spielen. Und sie nehmen sich wesentlich mehr Zeit dafr als Erwachsene, auf den ersten Blick jedenfalls. Erwachsene spielen, um zu gewinnen. Sie gewinnen Zeit, zu opfern. Was Erwachsene alles anstellen, um spielen zu k”nnen, belegen Untersuchungen ber die Effizienz von EDV und die Tricks, mit denen Spielesoftware fr's Bro ausgestattet ist. Ein Druck auf die Taste P (wie Panik) oder I ("If The Boss Wanders By...") h„lt das aktuelle Spiel an und zeigt ein Arbeitsblatt aus einer Tabellenkalkulation am Bildschirm. Mein Freund Dieter hat sich einen neuen Rechner gekauft. Riesenspeicher, Riesenbildschirm, Riesenalles. Gut 15.000 Mark ausgegeben; Powerusergurke. Den Groáteil der Zeit spielt er. Sein Lieblingsprogramm ist ein Flipper in 16.777.216 Farben. Man kann, ber die Leertaste, sogar virtuell dagegentreten. (c) Peter Glaser