Peter Glaser, Micha Sontheimer DIE PHILIPS-FALLE Montag, 14. M„rz 1988. Der sechsundzwanzigj„hrige Steffen WernŠry, Journalist und Vorstandsmitglied des Hamburger Chaos Computer Clubs (CCC) sitzt in der Frhmaschine nach Paris, auf dem Weg zur SECURICOM 88, dem 6. Internationalen Kongreá ber Datenschutz und Datensicherheit. Er folgt einer Einladung der Veranstalter, vor internationalem Fachpublikum ber Probleme der Computersicherheit zu referieren. Gegenstand seines Vortrags sollen unter anderem Systemm„ngel sein, die den spektakul„ren 'NASA-Hack' (s. TEMPO 10/87) erm”glicht haben, bei dem der Chaos Computer Club als Vermittler zwischen nicht genannten Hackern, Systembetreibern und Beh”rden t„tig gewesen ist. In Paris will Wernery sich mit Bernd F. treffen, einem CCC-Mitglied aus Heilbronn. Im Anschluá um 14.00 Uhr ist er zu einem Gespr„ch mit leitenden Mitarbeitern der franz”sischen Niederlassung des Philips-Konzerns verabredet. Wernery erscheint zu keinem der beiden Termine. Eine Strafanzeige von Philips Frankreich hatte im September 1987 zur Folge gehabt, daá deutsche und franz”sische Sicherheitsbeamte die Wohn- und Gesch„ftsr„ume der Vorstandsmitglieder des CCC durchsuchten. Dabei wurden sowohl bei Steffen Wernery als auch bei anderen komplette Computerausrstungen, Disketten und zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt. Die Beschlagnahmungen fhrten unter anderem dazu, daá Wernery nicht mehr arbeiten konnte. Die in dem Durchsuchungsbefehl erhobenen Vorwrfe wie etwa "..sich unbefugt Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, verschafft zu haben oder eine Datenverarbeitung gest”rt zu haben..", waren v”llig unkonkret. Trotz wiederholter Beschwerden wurde Wernery's Hamburger Anwalt Axel Bauer w„hrend der nun seit ber einem halben Jahr laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht und damit jeder Anhaltspunkt verweigert, welche Vorwrfe seinem Mandanten nun eigentlich genau gemacht werden. Im Februar 1988 baten Wau Holland und Steffen Wernery namens des CCC - anl„álich der bevorstehenden SECURICOM - in einem Brief an Philips Frankreich um ein vertrauliches Gespr„ch zur Aufkl„rung des Sachverhalts. Die Firma antwortete freundlich. Beunruhigt alarmiert Bernd F. den CCC in Hamburg. Mitglieder des Chaos Computer Clubs erfahren abends ber die deutsche Botschaft in Paris: Steffen Wernery ist um 9.55 Uhr bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Charles de Gaulle von Beamten der Finanzpolizei - in Frankreich zust„ndig fr Informatik-Vergehen - festgenommen worden. Mehr als einen Tag lang ist Wernery unauffindbar. Die franz”sische Anw„ltin Eva Sterzing kann ihn schlieálich in Garde a Vue, dem Polizei-Hauptquartier in Paris, orten. SECURICOM-Generaldirektor Peter Haezelzet kritisiert Wernerys Inhaftierung: "Es ist bedauerlich, daá ein so wichtiger Gast des Kongresses von der Polizei festgenommen wurde, bevor er sich ”ffentlich erkl„ren konnte. Da Wernery drei Tage habe in Paris bleiben wollen, w„re es ein Leichtes gewesen, ihn nach seinem Vortrag zu verhaften." Auch die Teilnehmer der Sicherheitsmesse „uáern erheblichen Unwillen ber die Festnahme. Sein Hamburger Anwalt Bauer auf die Frage, ob Wernery vielleicht noch am dritten Tag der Sicherheitsmesse teilnehmen k”nne: "Ich bin mir da nicht ganz sicher, weil die franz”sischen Justizbeh”rden nach meinen Erfahrungen nicht besonders zimperlich sind." Auf Anfrage von Hazelzet, ob Wernery seinen Vortrag noch halten k”nne, antwortete die franz”sische Polizei mit den Hinweis, daá Wernery im Gegenzug bei den Befragungen durch die Polizei "kooperieren" solle. Offiziell wird ber den Grund der Festnahme nichts mitgeteilt. Meldungen, wonach Wernery nur als Zeuge festgehalten wird, werden von Anw„ltin Sterzing dementiert. Nachdem ihn die Spezialisten der Finanzpolizei 48 Stunden lang verh”rt haben, wird Steffen Wernery am Mittwoch den 16. M„rz dem Untersuchungsrichter von Paris-Creteil, Daniel Fontanaud, vorgefhrt, der auf Fluchtgefahr erkennt und Untersuchungshaft anordnet. Wernery wird in das Pariser Gef„ngnis von Fresnes verbracht und weiter verh”rt. Die Anklage lautet offiziell auf Diebstahl und Sachbesch„digung. Wie es heiát, habe Philips einen Erpressungsversuch befrchtet und den jungen Deutschen auch deshalb angezeigt. Der Pariser Polizeichef Lacoste best„tigt, daá Wernery nicht etwa als Zeuge, sondern wegen Tatverdachts in Untersuchungshaft sitzt. Lacoste beruft sich auf Razzien, die seine Polizei mit den bundesdeutschen Kollegen in der Wohnung Wernery's durchgefhrt hatte. Aufgrund der Anzeige von Philips. Etwa zur selben Zeit wie Steffen Wernery wird am Montag auch der Herausgeber des Dsseldorfer Informationsdienstes "Datenschutz-Berater", Hans Gliss, von der franz”sischen Polizei vorbergehend festgenommen. Da Gliss - ebenfalls zur SECURICOM nach Paris gereist - einen Wohnsitz in Frankreich hat, wird er noch am selben Abend wieder entlassen. Hans Gliss wertet seine vorbergehende Festnahme auch als Eingriff in seine journalistische T„tigkeit. Aufregung gibt es unter den anwesenden Kongreáteilnehmern, als ein englischer Journalist fragt, was ihm passieren k”nnte, wenn er "mit brisanten Informationen in Frankreich einreisen wrde." Gliss stellt am Tag darauf Gewiáheit darber her, weshalb die Hausdurchsuchungen beim CCC auf Anzeige der franz”sischen Philips- Niederlassung erfolgt seien. Diese habe nach einer deutschen Fernsehsendung ("Panorama") am 15. September letzten Jahres von dem NASA-Hack erfahren und Parallelen zu ihrem eigenen Fall gesehen. Die NASA-Rechner sind mit dem Philips-System ber das SPAN-Netz verbunden, einem der gr”áten Computerverbnde der Erde, in dem weltweit mehr als 1200 Groárechenanlagen miteinander vernetzt sind. Dieser "Fall", so Gliss, sei jedoch schon abgeschlossen, da der CCC ber ihn selbst bereits am 15. August 1987 den Verfassungsschutz informiert und der wiederum ber den US-Geheimdienst CIA die Unterlagen an die NASA weitergereicht habe. Dies hat der NASA erm”glicht, fr zuverl„ssigeren Schutz ihrer Computer zu sorgen. Es wird bekannt, daá es in der Pariser Philips-Zentrale eine dicke "Akte Wernery" gibt. Philips-Generalsekret„r Vincent Brunet kmmert sich inzwischen selbst um den Fall. Ein Firmensprecher bestreitet den Briefwechsel zwischen Steffen Wernery und Philips, muá ihn auf Vorhaltungen von Journalisten dann aber doch best„tigen. Im brigen Kein Kommentar. In Deutschland erh„lt Anwalt Bauer inzwischen von der Hamburger Staatsanwaltschaft die Auskunft, daá gegen Steffen Wernery "nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen kein Verdacht besteht, selbst und pers”nlich in fremde Computersysteme, insbesondere auch nicht in das Ssystem der Firma Philips in Frankreich eingedrungen zu sein oder dies auch nur versucht zu haben". Ebenso verlautete, daá das Bundeskriminalamt in Wiesbaden, das die Ermittlungen gefhrt hat, von der Verhaftung Steffen Wernerys in Frankreich v”llig berrascht worden sei. Mit der offenen Informationspolitik, die der Chaos Computer Club immer gepflegt hat, hat er sich nicht nur Freunde gemacht. So war etwa in der Folge des NASA-Hacks ruchbar geworden, daá nicht nur kleine Jungs Raubkopien von Computerprogrammen verwenden. Als der Hersteller der betroffenen Rechnersysteme, die amerikanische Digital Equipment Corporation, fr alle Anlagenbetreiber eine neu gesicherte Version ihres Betriebssystems durchtauschen wollte, kamen einige Forschungszentren und Institute in arge Verlegenheit, da sie keine lizensierte alte Version vorzuweisen hatten. Seit dem Inkrafttreten der neuen Gesetze mit den sogenannten "Hacker- Paragraphen" (BRD seit Februar 1986; Frankreich seit Januar 1988) hat der Chaos Computer Club und hat insbesondere Steffen Wernery in Vortr„gen, Gespr„chen und Ver”ffentlichungen, etwa im CCC-Organ "Die Datenschleuder", auf diese gesetzlichen Grenzen im Umgang mit Computern hingewiesen. Der CCC hat sein Aufgabenverst„ndnis auch dahingehend definiert, daá er M”glichkeiten zum Datenmiábrauch durch Dritte aufdeckt (Beispiel: Volksz„hlung), die Aktivit„ten der Computerfreaks im gesetzlichen Rahmen kanalisiert (Beispiel: BTX, NASA) und ber die M”glichkeiten und Gefahren der neuen Informationsgesellschaft aufkl„rt. Wer wird schon von ”ffentlichen Stellen ausreichend ber die Tatsache informiert, daá heute weltweit an ”ffentlichen Datennetzen der Postverwaltungen Computer angeschlossen sind, die auch ber ”ffentliche Datennetze zug„nglich sind und problemlos und legal angerufen werden k”nnen? Und daá es weltweit etwa 3400 ”ffentlich zug„nglicher Computerdatenbanken gibt, auf die grunds„tzlich jeder zugreifen kann? (Wobei es derzeit weltweit etwa 1.5 Millionen Teilnehmer auf diesen ”ffentlichen Datennetzen gibt). Und die mit Datensicherheit befaáten franz”sischen Stellen sollten wissen, was ein fehlerhaftes Computerprogramm anrichten kann: W„hrend des Falkland- Kriegs wurde eine britische Fregatte durch zwei EXOCET-Raketen zerst”rt. Nach einem Bericht des amerikanischen Fachblatts "Digital Review" war die Fregatte mit einem hochmodernen computergesteuerten Anti-Raketen-System ausgestattet, das die beiden von argentinischer Seite abgefeuerten Geschosse auch rechtzeitig erkannte. Da es sich bei den EXOCET's aber um franz”sische Produkte, respektive NATO-Ger„t, handelte, wurden die Raketen als 'befreundet' eingestuft und ihnen gestattet, in den Abwehrkreis der Fregatte einzufliegen: Ein Software-Fehler. Die durch die EXOCET-Raketen ums Leben gekommenen britischen Soldaten geh”ren zu den ersten Toten des Informationszeitalters. Inzwischen hat die franz”sische Anw„ltin Eva Sterzing bei dem zust„ndigen Untersuchungsrichter in Paris in Erfahrung gebracht, daá die Verhaftung Steffen Wernery's exakt wegen desselben Vorwurfs vorgenommen worden ist, dessentwegen auch die deutsche Staatsanwaltschaft und das BKA gegen ihn ermittelt. Es kann nach den Maást„ben des europ„ischen Rechts nicht m”glich sein, daá ein Mann, der nach den Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft die ihm vorgeworfenen Taten nicht begangen hat und dem allenfalls Informationen darber zugetragen worden sind, in Frankreich gefangengehalten und bestraft werden kann. Um die in Zusammenhang mit der Festnahme von Steffen Wernery entstehenden Kosten weiter aufbringen zu k”nnen, bittet der Chaos Computer Club um Spenden. Konto 59 90 90-201, Postscheckamt Hamburg, Kennwort 'Hackerhilfe'.