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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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7KB
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188 lines
Seite 16 Ausgabe 51 Ausgabe 51 Seite 17
Verschlüsselungsparanoia ganz nett beflügelte.
Nachdem die systemimmanenten Gefährdungen
elektronischer Netze sich immer deutlicher her-
vortun, schicken besorgte Eltern Petitionen an
den Senat, man möge doch endlich "etwas tun".
Am Besten das ganze Teufelszeug verbieten,
eine Zensurbehördeeinrichten und automatische
Strafdämonen installieren, die die bei Auftau-
chen bestimmter Inhalte sofort ein
Sondereinsatzkommando mit einer einstweili-
gen Erschießung zum Absender schicken. Eine
schnellere Fortbewegung als mit Kutschen war
ja schliesslich bei der Einführung der Eisenbah-
nen in England auch als absolut tödlich diagno-
stiziert worden. Offenbar ist die tiefere Bedeu-
tung des Begriffs "Informationsgesellschaft"
noch nicht bis in die Hirne der meisten Journa-
listen und ihrer Rezipienten vorgedrungen.
Wenn sich ein deutscher CDU-Politiker hinstellt anonymous
und absondert, da sich in "Voice- und
Mailboxen" sowieso nur Extremisten herumtrei-
ben, müsse man im Zuge der Mobilfunk-Ab-
hörgesetze gleich noch was gegen derartige
Kommunikation unternehmen, zeigt nur zu deute
lich, welches Mass an modernem Analphabe-
tentum unter Bildungsbürgern anzutreffen ist.
In vorauseilendem Gehorsam bilden sich Initia-
tiven für eine Freiwillige Selbstkontrolle im
Internet, (" Guten Tag, ich bin Ihr neuer Daten-
bloclcwart! Ihren Mailberechtigungsnachweis
Litte!") und ähnlicher Schwachsinn. Offenbar
sind auch Nutzer von Datennetzen nicht gegen
Hirnausfall gewappnet. Dass es Informationen
gibt, die entsprechend entschlossenen Leuten
die Ausführung von illegalen Akten erleichtern,
ist allen bekannt, daß es diese Informationen
immer noch wesentlich schneller, qualifizierter
und unauffälliger in der nächstgelegenen Uni-
Bibliothek gibt, zählt wohl nicht zurallgemein-
Bildung. Die technische Entwicklung macht vor
keinem Bereich der Gesellschaft halt - auch vor
dem Terrorismus und der Kriminaltät nicht. Das
Internet wegen der Benutzung durch Böseholde
verbieten zu wollen, ist in etwa so logisch wie
das Verbot von Messer und Gabel -Hitler, Sta-
lin und PolPot haben schliesslich auch mit Be-
steck gegessen.
In der nächsten Zeit sind noch einige Attak-
ken dieser Art auf die Freiheit der Informations-
verbreitung zu erwarten. Bis sich die Erkennt-
nis durchsetzt, dass Kommunikation nicht zu
verbieten, Verschlüsselung nicht zu reglemen-
tieren und wirklich digitale lnforrnaiton nicht
zu vernichten ist, wird es wohl noch etwas Zeit
brauchen. Die Erkenntniss, daß die gesellschaft-
lichen Bedingungen unter denen aus zusammen-
kopierten Chemiebuch-Informationen Bomben
werden, das Problem sind, nicht aber das Pa-
pier auf das sie kopiert werden, wird sich nicht
zu letzt durch die durchschlagende Dynamik der
technischen Entwicklung verbreiten. Sollten
sich die "Demokratien`' jedoch zu einer Art rus-
sischen Lösung (Kryptegrafieverbot, siehe Mel-
dung in dieser Ausgabe) entschliessen, ist der
Weg in eine halboffene Dikatur nicht mehr weit.
,,~/
)
Ibdesanzeige
inzwischen verstorben sein dürfte:
unser geliebter Softwarebug
*7#
sein Leben war kurt
aber es hatte Sinn
Sein Judas lebt noch
chic ~tcn~c~lcu~er - Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende ~
1.
Reklame: License to Kill
"Eine Sendelizenz ist sowas wie eine Lizenz
zum Geld drucken" sagen manche
Medienmogule und denken an reklame-
finanzierte Fernsehsender. Andere wollten "se-
riösesi' Fernsehen machen wie Wladislaw
Listjew und auf Reklameabhängigkeiten ver-
zichten. Eine Gruppe "neuer Mächtiger'` in der
GUS sah wohl deshalb ihre "Licence to Bill"
bedroht und machte aus dem lobwill ein <k>ill.
Und so wurde Listjew, der Chef des öffentlich-
rechtlichen Fernsehens in Moskau ermordet.
Das ist schon eine Weile her und von vielen
vergessen. Aber m a n c h e vergessen sowas
nicht. Der Verzicht auf Reklame kann so teuer
sein, daß es das Leben kostet. Zum 01.04.1995
hat der neue Sender ORT den ersten TV-Kanal
von OSTANKINO übernommen, der fast alle
Republiken der früheren Sowjetunion erreicht
und mehr als 200 Millionen Menschen erreicht.
Wichtigste Neuerung bei ORT ist das Fehlen von
Reklarne.Es gibt und gab in der Medienwelt
wenige Produkte, die auf Reklame verzichten.
Kaum noch bekannt ist "Der Ziegelbrenner",
eine pazifistische Zeitschrift aus der Zeit des
ersten Weltkrieges. Einer der "Macher", Ret
Marut, verließ Deutschland, bevor er von "auf-
rechten Deutschen" umgebracht werden konn-
te. Dies ist den meisten, die den "Ziegelbren-
ner"-Autor unter seinem späteren Pseudonym
"B. Traven" kennen, nicht bekannt. Dabei ist
sein Wille, lieber unbekannt leben und zu schrei-
ben, einsichtig. Der ZIEGELBRENNER war so
radikal, keine (!) Buchbesprechung zu bringen,
sondern eine Schimpftirade, wenn ein Verlag es
wagte, ein kostenloses Rezensionsexemplar an
die Redaktion zu schicken und zu betonen, man
würde nur Bücher rezensieren, die man selbst
gekauft habe. Den ZIEGELBRENNER oder
vergleichbar radikale Organe gibt es kaum
noch.Bis heute existiert die "Ente in Ketten",
CANARD ENCHAINE aus Paris. Eine
Zeitungs-"Ente" hat in Frankreich ähnliche Be-
deutung wie hier. Dieses antimilitaristische, frei-
heitsliebende und zensorfeste Blatt erscheint seit
dem ersten Weltkrieg ohne Reklame. So eine
"Marginalie" der Reklame-Unabhängigkeit ist
heute noch wichtiger als damals, weil inzwi-
schen fast global die Meinungsfreiheit durch die
Gewerbefreiheit abgelöst worden ist und wirk-
lich freiheitliche Medien wie ANARO
ENCHAINE eine seltene Ausnahme von der
profitorientierten Regel sind.Die Fragen der
Verflechtung zwischen redaktionellem Teil und
Anzeigen sind häufig recht subtil. So gehört die
Südthüringer Zeitung FREIES WORT irgend-
wie zu der SZ-Gruppe, die Anteile am TV-Sen-
der VOX hat. Und wer dann den "reda~ctionel-
len" Teil TV-Programm anschaut, findet täglich
im FREIEN WORT rund zwei Dutzend Zeilen
für das VOX-Programm, aber für ARTE und/
oder 3sat ist kein Platz. Überspitzt formuliert
ist derAbdruck des VOX~Programmes nicht als
solche gekennzeichnete "Verlagsreklame" und
kein redaktioneller Beitrag. In der Präzisierung
des Unterschieds ist die Frage entscheidend, -
wer der "Platzanweiser" für die Senderauswahl
war und - warum er so entschieden hat.Ein "ge-
lernter DDR-Bürger" kann zwar dank jahrzehn-
telangem Training viel besser"zwischen den
Zeilen" lesen als ein Wessi. Aber die Umgangs-
formen wie "Herr VOX, Sie werden plaziert"
sind neu.
~ ~ -' .
1 · ..
1" _',.
~ Hä'
Der Ruf nach Freiheit im Ostblock siegte an
einem bestimmten historischen Zeitpunkt, weil
eine gewisse Menge verfügbarer Informations-
und Kommunikations-Technologie
überkommene Herrschaftskonzepte absurd
machte (mehr dazu wurde mildem CCC auf dem
CoCom 1990 in Berlin ausgeführt).Gegen die
Freiheit und gegen den Liberalismus stehen
heute Leute des "rechten Lagers" von FAZ bis
JUNGE FREIHEIT und dieTerroristen der Ver-
sion "Dyba doppelplusungut verschärft". Sol-
che "Uberzeugungstäter" prügeln nicht nur
c ~nten~chleuber - Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende ( -