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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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10KB
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198 lines
darre bilden sic neu- ~lrJcll klei~lc .`E.ri~,l~u,gen" auf dem Weg
`~1~ Ölten. N- je~lc~- Koll jt~'lktl'' t)iL'j[~t ein grlisse~c~ Stachel
an ArUtitslose~ zurück.
Wenn die Wirtsöltaft in Krise ist, chinn ritt das auch für dCIi
\~'~>hltal~rtsstaat Ein Kollaps des Währungssysr':~s kann un-
sere AHV, unsere Versichcrun~cn und Heilsionen, jederzeit
hinwegfegen. I~'nsere Urgarantien stehen nur auf clen, Papier
─wir haben nichts in der Hand, um uns ZU holen, was uns
zusteht. Unser Vertrauen in die staatliche Sicherheit ist nur
Ausdruck unserer wirklichen Ohnmacht und Vereinzelung
Ein paar gute Freunde werden mehr wert sein als der AHV-
Vcrsicher3lngsausweis oder das Sparheft.
Realpolitik
Vielleicht lässt sich die Maschine noch verändern und umbau-
en, damit sie sicherer und menschlicher wird? Warum nicht
die Arbeitslosigkeit durch Einführung der ZO-Stunden-Woche
auffangen und gleichzeitig die Freizeit zur Selbsthilfe und
Selbstversorgung in den Quartieren und im Sozialbereich ein-
setzen? So hätten alle Arbeit und der Staat könnte sich die
meisten Wohlfahrtsausgaben sparen. Warum nicht den Privat-
verkehr einschränken, mehr in den öffentlichen Verkehr inve-
stieren, Energie einsparen (keine AKWs, mehr Isolation), Ab-
fälle wiederverwerten, weniger Fleisch essen' strenge Umwelt-
gesetze einführen, die Gesundheitsvorsorge verstärken, die
Verwaltung an die Quartiere delegieren (~'autonomer
Sektor"), die Armeen abschaffen? Diese Reformvorschläge
sind vernünftig, realistisch und eigentlich auch durchführbar.
Sie bilden daher auch das offizielle oder inoffizielle Programm
der raufgeklärten" alternativ-sozialdemokratisch-grünbunten
nunft richtet sich genauso, wer eine Volksinitiative für die 40-
Stundenwoche startet oder wer eineuer Spekulanten die Villa
anzündet. Beide wissen, dass die 40-Stundenwoche die NIa-
schine kaum verändert und dass llie Spekulation trotzdem wei-
ter gehen wird. Hinter dieser politischen Vernunft steckt also
eigentlich eine Luge: man tut so, als ob man von seinem Han-
deln noch etwas haben würde, weiss aber, dass man, selbst
wenn der eingeschlagene Weg Erfolg hat, längst tot sein wird,
wenn das'<Ziel,. erreicht wird. Man wird zum geschichtlichen
Helden, fühlt sich bald einmal betrogen. Die Enttäuschung
verlangt nach einer Ölbelohnung", und die kann nur die Ma-
schine geben. So wird aus dem Partisanen von gestern der Po-
. . . .
zelmlolsler von morgen...
Wir kommen nicht darum herum, zuerst einmal mit unse-
ren ganz <`privaten., Wunschträumen herauszurücken, damit
wir uns nicht gegenseitig betrügen. Moral und Realismus sind
die ideologischen Waffen der Maschine und daher müssen wir
es wagen, sowohl egoistisch als auch lächerlich zu sein. ~fiel-
leicht zeigt es sich dann, dass die «`andern,. gar nicht so «`an-
ders,. sind, sondern dass wir uns alle mehr gleichen als wir
denken. Vielleicht ist die Mehrheit, das Volk, die Masse, die
Gesellschaft, die Wähler usw. nur ein Popanz der Maschine.
Gegen die `<erste Wirklichkeiten der Maschine müssen wir unse-
re <`zweite Wirklichkeit>. entwickeln. Sie ist unsere einzige
Chance, weil die erste (inklusive ihre Verbesserungsmöglich-
keiten) definitiv in der Sackgasse ist.
Die Maschine versucht die ««zweite Wirklichkeit,. zu erfassen
und als Kultur zu verdauen. Träume sind als Filme, Musik,
Romane, Feriendörfer usw. eingeplant und abgegrenzt. Eine
Vermischung der ersten und der zweiten Wirklichkeit wird
sorgfältig verhindert. Diese Kanalisierung unserer Wünsche
müssen wir durchbrechen.
Es gibt heute als ``realistische>, Haltung nur noch das'`Nichts
oder Allesei. Entweder schaffen wir ziemlich schnell einen
Sprung von der ersten in die zweite Wirklichkeit oder beide
zusammen gehen zu Grunde. Apokalypse und Evangeliulll.
Weltuntergang oder Utopie, stehen sich heute schroff gegen-
über. Wir müssen wählen zwischen einem endgültigen, zyni-
schen Pessimismus und einem <<salto vitale" in eine vc;llig an-
dere Welt. Entweder endzeitliche Begeisterung oder totale Re-
signation. Mittlere Haltung wie ««HofEnung>" <-Zuversicht-,
``Geduld'. sind heute nur noch Selbstbetrug oder Demagogie.
Das <Nichts" ist heute möglich und es ist auch eine Lebens-
anschauung geworden, mit der man durchaus leben kann.
Wir müssen nicht unbedingt überleben. Es ist dem <`Leben"
und auch der -Natur" völlig egal, ob sie weiter existieren oder
1 60 1
(-Bö
nicht. Aus dem Überleben und der Natur einen .<Wert,. zu ma-
chen bringt nur totalitäre Risiken (Oekofaschismus). Die Apo-
kalyptiker, Nihilisten und Pessimisten haben gute Argumente
für ihre Entscheidung Sie haben ihren Lebensstil, ihre Mode,
Musik, Philosophie (Schopenhauer, Cioran, Buddhismus)
Vielleicht sind die Pessimisten sogar die wirklich ..Glackli-
chen" und ist der bevorstehende atomare oder ökologische
Weltuntergang die grosse Erlösung vom qualvollen ..Lebens-
trieb". I}arum geht es nicht.
Das -Nichts. ist eine Möglichkeit, das <-Allesie eine andere.
Wenn ich daher versuche, meine Phantasien zum «Alles, dar-
zustellen, dann ist damit noch nichts gegen das -Nichts ge-
sagt. Im Gegensatz zum Nichts ist das Alles heute relativ
schlecht dehmiert und erscheint es als weniger realistisch. Nie-
mand macht sich lächerlich mit pessimistischen Voraussagen.
Es lohnt sich nur darum schon, das Alles etwas auszubauen,
damit dadurch vielleicht das ``Nichts', noch verlockender
wird. . .
Politik Real
Bei meinen Erkundungsfahrten in der zweiten Wirklichkeit
bin ich auf bolo'bo]o gestessen. Es ist mein provisorischer,
persönlicher Wunschtraum von einer Welt, in der ich als Va-
gabund oder in einem bestimmten bolo gerne leben würde. In-
sofern ist es purer Ernst. Andererseits ist es nur eine Vorstel-
lung unter vielen,.eine Hypothese, die man sich ausdenken
und dann wieder vergessen kann, eine Wegwerf-Utopie. Ich
möchte wirklich, dass bolo'bolo so in etwa fünfJahren verwir-
klicht wird, aber ich weise auch, dass es nur ein Flipp unter
vielen sein kann. Und wenn es nur eine Anregung und eine
Aufmunterung an andere ist, ihre Zukunftsphantasien auch
herauszulassen, dann hätte bolo'bo]o auch schon einen Zweck
erreicht. . .
Ich stelle mir vor, dass bolo'bolo oder andere Wunschträu-
me die realpolitisch Resignierten wieder aus ihrer Apathie
locken könnten und dass damit so etwas wie eine neue .`Politik
Real,, entstehen könnte. Eine Politik (d.h. Umgang mit sich
selbst und den andern), die nicht nur darauf aus ist, das
`.Schlimwste,~ zu verhindern, sondern die von bestimmten,
möglichst praktischen, aber auch umfassenden Vorstellungen
ausgeht und dann versucht, sie in die Gegenwart zu projizie-
ren. Das könnte z.B. teedeuten, dass man schon heute versucht
tega~sadis (siehe unten) einzurichten und entsprechende Ce-
bäude verlangt.
Doch eigentlich geht es nicht um die Einschätzung der Rea-
lisierbarkeit von bolo'bolo und nicht um seinen (bescheide-
nen) möglichen Nutzen in heutigen Situationen, sondern um
es selbst. Darum habe ich mir einige (aber nicht zu viele) Mü-
he gegeben, in groben Zügen abzuklären' ob bo]o'bolo z.B. in
einem Gebiet wie der Schweiz (die es dann aber nicht mehr
unbedingt geben wird) rein technisch funktionieren könnte
und wie lange es braucht, um es zu verwirklichen. Die verfüg-
baren Fakten zeigen, dass bolo'bolo innert fünfJahren im we-
sentlichen eingeführt werden könnte. Ich habe die Angstc v ie-
ler Leute gerade in der Schweiz {eines der am höchsten versi-
cherten Länder der Welt? ernst genommen und herausgefun-
den, dass keiner verhungern, erfrieren oder früher sterben
müsste als heute. bolo'bolo garantiert eine sanfte Landung in
der zweiten Wirklichkeit.
Fünf Jahre (gemäss dem Delegierten für wirtschaftliche
Kriegsvorsorge sogar nur drei) genügen zur Umstellung der
Landwirtschaft auf Eigenversorgung. Mit Improvisations-
kunst, Verständigung und Freude am Chaos kann das grosse
Durcheinander bewältigt werden. Wenn die nimas stark ge-
nug sind, die Staatsmaschinerie gelähmt werden kann und die
Fabriken still stehen, gibt es genug Zeit und Energie für den
grossen Zügeltag X.
bolo'bolo ist allerdings eine planetarische Veranstaltung
und kann nur bestehen, wenn es weltweit zumindest vorherr-
schend ist (etwa im gleichen Grade wie heute die Geldwirt-
schaft). bolo'bolo als Anfang in einem Land, z.E\. in der dafür
besonders gut geeigneten Schweiz, ist trotzdem denkbar, wenn
es Teil des weltweiten Prozesses ist. Die Schweiz könnte vor-
angehen, weil sie übersichtlich ist, keine grossen machtpoliti-
schen Verschiebungen auslöst, im Grad der Industrialisierung
einen gewissen Modellcharakter aufweist und auch mitten in
Europa gelegen ist. Die Störungen im internationalen Banken-
system dürften auch zu verkraften sein...
Doch es kann auch ganz anders kommen.
rät