Albanien am Abgrund?
In Albanien herrscht das Chaos. Es ist ein Ringen zwischen dem aufgebrachten Volk, das den Präsidenten Sali Berisha, seine Regierung und die Demokratische Partei stürzen will, und der Staatsmacht, die nicht weichen möchte. Seit Mitte Januar wird das ärmste Land Europas von teilweise gewalttätigen Demonstrationen erschüttert.
Inzwischen hat Albaniens Präsident Berisha unter dem Druck der Aufständischen im Süden des Landes am Wochenende eingelenkt und sich mit der Opposition auf die Bildung einer Übergangsregierung unter Einschluß aller Parteien und auf Neuwahlen unter internationaler Aufsicht bis spätestens Juni diesen Jahres geeinigt. Am 11.März verständigten sich die politischen Parteien darauf, daß die bislang oppositionellen Sozialisten (PSA) in der künftigen albanischen Übergangsregierung den Ministerpräsidenten stellen werden. Unklarheit herrscht noch, wer künftiger Regierungschef des Landes werden soll.
In einer gemeinsamen Erklärung wurden die Aufständischen in Südalbanien aufgerufen, innerhalb einer Woche ihre Waffen niederzulegen. Im Gegenzug wurde ihnen eine Generalamnestie versprochen.
Den politischen Bemühungen zum Trotz haben am Dienstag (11.März) die Aufständischen im Süden Albaniens den größten Militärflughafen des Landes bei Kucova (100 Kilometer südlich von Tirana) erobert. Das berichteten Augenzeugen. Nach unbestätigten Berichten sollen ihnen dabei 40 Kampfflugzeuge vom Typ MiG 15 in die Hände gefallen sein. Bei den Kämpfen um die am Vortag eingenommene Stadt Permet im Südosten seien sechs Menschen getötet worden, unter ihnen der stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Partei, hieß es aus Parteikreisen in Tirana.
Begonnen hatten die Unruhen mit dem Zusammenbruch von dubiosen Anlage-Firmen. Viele Albaner hatten dort ihr Geld angelegt, weil ihnen hohe Zinsen versprochen wurden, von 20 bis 60 Prozent im Monat war die Rede. Nun haben viele ihre gesamten Ersparnisse verloren. Durch die Pleite der Anlage-Pyramiden soll ein Schaden in Höhe von zwei Milliarden Dollar entstanden sein. Dies entspricht dem albanischen Bruttoinlandsprodukt eines Jahres. Nach den ersten Forderungen der Aufständischen, das eingesetzte Geld zurückzubekommen, wurden dann die Demonstrationen politisch.
Am Samstag, den 01.März trat unter dem Druck andauernder Proteste die Regierung unter Ministerpräsident Meksi zurück. Der Süden des Landes ist inzwischen in den Händen der Aufständischen.
Trotz der Proteste war Albaniens Präsident Berisha am 03.März für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden. Der überwältigende Wahlsieg seiner Partei kam jedoch vor allem aufgrund des Boykotts aller maßgeblichen Oppositionsparteien zustande. Im Konflikt setzten Regierung und Parlament auf Härte: sie verhängten am 02.März den Ausnahmezustand, eine nächtliche Ausgangssperre, sowie Pressezensur und forderten die Demonstranten im Sdüden auf, ihre Waffen abzugeben.
Was seit Jahresbeginn in Albanien an die Oberfläche tritt, hat sich seit Jahren aufgestaut. Berisha und seine Führung hatten es verstanden, mit Jubelziffern von hohen Wachstumsraten ihr eigenes Volk und auch den Westen einzunehmen. Doch die Demokratisierung kam nicht voran, die Führung Berishas nahm immer autokratischere Züge an, die Produktion machte kaum Fortschritte, der Güter-Export nahm im Vergleich zum Import nicht zu.
Die Illusion vom schnellen Reichtum für alle durch Spekulationen wurde in Albanien viel zu lange aufrechterhalten.
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