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Kienzle Mehr als 100 Millionen Mark sind verschwunden. Auf Nimmerwiedersehen, wahrscheinlich. Es waren deutsche Steuergelder, für ehemalige Zwangsarbeiter und Opfer des NS-Regimes in der Ukraine bestimmt.
Es sollte eine Geste der Versöhnung sein, ein Skandal ist daraus geworden. Zuerst ließen die ukrainischen Verantwortlichen die NAZI-Opfer warten und kassierten Zinsen. Von 100 Millionen Mark ist die Rede.
Dann ging die Großbank pleite, die einen Teil der Hilfsgelder verwalten sollte. Das Geld ist in dunklen Kanälen verschwunden. Rund 80 000 Ukrainer warten deshalb noch immer auf ihre Entschädigung.
Gegen die Bank und die Verantwortlichen in Kiew ermittelte zwar inzwischen der Staatsanwalt; aber das bringt das Geld auch nicht zurück. Erstaunlich: Die Regierung wußte seit einem Jahr von den kriminellen Machenschaften, unternahm aber nichts.

Hintersetzer




Ein Bericht von Friedrich Kurz

"Mama, erzähl, wie deutsche Soldaten Dich im Krieg verhaftet und weggeschleppt haben, damals zur Zwangsarbeit nach Deutschland! "

Tochter Anna muß schreien, damit ihre Mutter sie versteht. Galina Iwanowa ist schwerhörig. Seit 20 Jahren ist sie hilflos ans Bett gefesselt. Es sind Spätfolgen einer Infektion, die sie sich damals als ehemalige Ostarbeiterin in Nazi-Deutschland zuzog. Nur 45 Mark Rente - das reicht weder für Arzt noch für Medikamente. Deutschland hat ihr etwas finanzielle Entschädigung versprochen. Doch die schwerkranke Frau wartet vergebens.
Hübsch sah Galina Iwanowa als junge Frau aus - vor dem Krieg. Zusammen mit ihrer Tochter Anna, die sie jetzt pflegen muß.

1941: Der Angriff Hitlers auf die Sowjetunion. Die deutsche Wehrmacht erobert auch die Ukraine. Die Nazis verschleppen gewaltsam Millionen von Zivilisten als Arbeitssklaven nach Deutschland. Diese werden als sogenannte Ostarbeiter in umzäunten Lagern kaserniert, leisten in Fabriken und Bergwerken für das NS-Regime Zwangsarbeit. Auch Galina muß drei Jahr lang hart schuften. Als sie Ende 1945 zurückkehrt, ist ihre Gesundheit ruiniert.
Zurück in der Heimat wird sie als "Nazi-Helferin" geächtet. Ihr bleibt nur ein Leben in Armut - typisch für viele frühere Ostarbeiter. Ohne ihre Tochter wäre sie wohl schon tot. Die hat sich tief verschuldet, um für ihre kranke Mutter gelegentlich Medikamente kaufen zu können.

1992: Bundeskanzler Helmut Kohl vereinbart mit Boris Jelzin eine "einmalige humanitäre Zahlung" für jene früheren Ostarbeiter, die jetzt noch leben. Eine Milliarde D-Mark für 1,2 Millionen Menschen. Ob das Geld auch wirklich dort ankommt? Man verzichtete auf finanzielle Kontrollen - endlich hat die Bundesregierung das heikle Thema vom Hals.

Kiew in der Ukraine. Hier in diesem Haus ist die Zentrale der "Stiftung für Verständigung und Versöhnung". Sie soll das deutsche Geld so schnell wie möglich verteilen. Für die Ukraine insgesamt 400 Millionen D-Mark. Es meldeten sich 600.000 frühere Ostarbeiter. 650 D-Mark Entschädigung sollen sie bekommen für drei Jahre Zwangsarbeit.

Doch dann: bittere Enttäuschung: Die Auszahlung des deutschen Geldes wird blockiert - mehr als vier Jahre lang. Die ukrainische Stiftung baut bürokratische Hürden auf, bearbeitet Briefe nicht, verlangt nur schwer zu beschaffende Behördenpapiere. Viele der alten Leute sind überfordert.

Stimmen einiger Antragsteller
Schon vor zwei Jahren habe ich alle Unterlagen ausgefüllt - doch keine Antwort bisher.

Eine Unverschämtheit ist das! Man zwingt alte Leute hin- und herzufahren. Denen müßte man doch viel mehr helfen!

Wir haben gewartet und gewartet. Jetzt ist meine Mutter tot.

Das Zentralbüro der Stiftung. Täglich kommen 150 neue Anfragen. Doch es gibt viel zu wenige Mitarbeiter. Nur ein einziger Dolmetscher, um Bescheinigungen aus deutschen Archiven zu übersetzten. Die Angestellten fühlen sich alleine gelassen.

Ein Angestellter
Wir sind hier nur acht Kollegen in der Abteilung, um 600.000 Anträge per Hand zu bearbeiten.

Ist die Verzögerung etwa trickreiche Absicht? Dafür spricht vieles. Deutschland hat das Geld längst in die Ukraine überwiesen, Auf Devisenkonten wirft es dort riesige Profite ab. Bei hochriskanten Spekulationsgeschäften geben ukrainische Privatbanken 20-50 Prozent Zinsen. Laut "Neue Züricher Zeitung" dürfte die Stiftung schon über hundert Millionen Mark Profit gemacht haben. Die heimlichen Geschäfte kamen jetzt nur deshalb heraus, weil bereits angewiesenes Geld an Naziopfer nicht ausbezahlt wurden. Eine Bank hatte es verspekuliert.
Wieviel Geld fehlt jetzt der Stiftung?, fragen wir den Aufsichtsrat Iwan Kuras.

Iwan Kuras, Aufsichtsratschef "Stiftung für Versöhnung"
Es fehlen etwa 100 Millionen Deutsche Mark, vielleicht sindÆs 118 Millionen. Wir hatten sie der Grado-Bank gegeben.

Die Grado-Bank. Hier hatte die Stiftung rund 100 Millionen Mark deutsche Hilfsgelder geparkt - für freie Risikospekulation. Doch die Bank wurde zahlungsunfähig, weil sie in dubiose Fischfang-Geschäfte investierte - und dabei selbst betrogen wurde. In Panik zogen die Bankkunden ihr Kapital ab. Plötzlich waren auch die 100 Millionen Deutsche Mark für Naziopfer verschwunden. Der inzwischen gefeuerte Stiftungsvorstand verschwieg das zunächst.








Arbeitsbuch

Irina










Die Kiewer Zeitungsjournalistin Irina Titowa hat den Skandal recherchiert. Der deutsche Außenminister handele naiv, wenn er hier auf wirksame Kontrollen verzichte, sagt sie. Gegen den früheren Stiftungsvorstand und auch gegen Grado-Bankchef Scherditzky ermittele jetzt sogar der Staatsanwalt.

Irina Titowa, Journalistin, Kiew
Nach meinen Informationen wurde das Geld zunächst auf ein Schweizer Bankkonto geschafft. Ausgerechnet in die Schweiz. Aufgrund eines Trustvertrages mit der Ukrainischen Stiftung für Versöhnung konnten es die Banken daraufhin völlig unkontrolliert benutzen. Es diente als Deckungsgarantie für weitere Kredite, die sich die Beteiligten an dem Geschäft daraufhin von anderen ausländischen Banken geliehen haben. Auf diese Weise hoffte man das Doppelte bis Dreifache an Profit herauszuschlagen und gleichzeitig auch noch alle Kreditkosten zu decken. Doch das ganze Geschäft ist voll in die Hose gegangen. Möglicherweise waren die Beteiligten zum Schluß so geldgierig geworden, daß sie sich den Gewinn nicht mehr teilen mochten.

Grado-Bankchef Scherditzky ging ins Gefängnis. Jetzt möchte die ukrainische Staatsbank eine Anleihe auflegen, aus deren Zinsen die Nazi-Opfer entschädigt werden sollen. Irgendwann.

Doch die früheren Ostarbeiter sind schon sehr alt. Täglich sterben Hunderte. Das spart der Stiftung Kosten. Außerdem entdeckte FRONTAL, daß Hilfesuchende in Kiew wissentlich falsch beraten werden. Das verzögert die Beschaffung deutscher Unterlagen auf Jahre.

Anna Iwanowa
Wir sollten deutsche Arbeitsdokumente vorlegen, hat uns die Stiftung gesagt, wir sollten persönlich an den Rotkreuz-Suchdienst nach Arolsen in Deutschland schreiben. Dort gäbe es Archiv-Unterlagen. Wir müßten nur warten.

FRONTAL recherchierte beim Rotkreuz-Suchdienst. 22 Kilometer Akten sind in Arolsen archiviert. Auch NS-Akten über Zwangsarbeiter. Normale Einzelanfragen benötigen tatsächlich drei Jahre Bearbeitungszeit. Doch zugunsten von Naziopfern hat man mit der Stiftung in Kiew ein Schnellverfahren vereinbart. Sammelanfragen werden vereinfacht und sofort geprüft. Doch Kiew erspart es sich, auf diese Art und Weise anzufragen.

Charles Biedermann, Suchdienst Internationales Rotes Kreuz
Wir haben aus der Ukraine insgesamt knapp über 200.000 Anfragen bekommen und lediglich, ich muß das sagen mit großem Bedauern, ein Prozent der Anfragen, die bisher reingekommen sind, sind auf diese Art und Weise hierher gekommen.

Auch Galina Iwanowa wurde falsch beraten, hat nur eine Einzelanfrage gestellt. Es wird daher noch Jahre dauern, bis sie Geld bekommt, bis sie bessere Medikamente kaufen kann, falls es dann für die alte Frau nicht schon zu spät ist.

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