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Viele schöne Reden, wie gerade erst bei der Behinderten-Olympiade in Atlanta, ändern nichts daran: In Zeiten wie diesen, da man nirgends mehr so aus dem Vollen schöpfen kann, wie früher, weht auch vielen Behinderten ein rauher Wind inÆs Gesicht. Behinderte brauchen Hilfe beim Einsatz der Fähigkeiten, die ihre Krankheiten ihnen gelassen haben - nicht nur im Sport. In Berlin wollen gedankenlose Beamte einem Kranken die Mittel nehmen, die er für seinen Beruf braucht. Hans Werner Conen berichtet über einen Mann, der von sich selbst sagt: "Ich bin zwar behindert, aber vor allem werde ich behindert".
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Ein Bericht von Hans Werner Conen Damit der kleine Jonathan nicht nur mit Sozialhilfe aufwachsen muß, kämpft sein Vater gegen die übermächtige Wohlfahrtsbürokratie von Berlin. Michael Czollek leidet seit vielen Jahren an Multipler Sklerose, einer unheilbaren Krankheit des Nervensystems, die ihn in Schüben heimsucht. Czollek hat trotzdem Ausbildung und Zulassung zum Heilpraktiker geschafft. Er will wenigstens zum Teil den Unterhalt für seine Familie selbst verdienen und so auch den Staat entlasten. Die für Behinderte zuständige Hauptfürsorgestelle finanziert vor einem Jahr dem jungen Vater einen Teil der Praxiseinrichtung, damit er in die berufliche Selbständigkeit starten kann. Jetzt will das Amt das Geld zurück. Dieter Heitmann, Hauptfürsorgestelle Berlin: Wir fordern zurück, um genau zu sein, 111 - 120zigstel. Die Übersetzung aus dem Bürokratenchinesisch lautet: der schwerkranke Heilpraktiker soll fast alles wieder hergeben, was er in die Praxis gesteckt hat. Die Begründung: er sei nun doch zu krank, um von den Einnahmen vollständig und auf Dauer leben zu können.
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Daß Czollek zwar nicht ganz, aber doch teilweise auf eigenen Füßen stehen kann, interessiert das Amt nicht: alles oder nichts, heißt die Devise. Die Heilpraxis muß wohl geschlossen werden. Michael Czollek, Heilpraktiker: Also, nach dem was sich jetzt so rauskristallisiert, denke ich mal, daß dort mit mangelnder Sachkenntnis vorgegangen worden ist. Ich kann nicht einem Behinderten, der chronisch krank ist, eine Hilfe gewähren und sie dann nach einem Jahr zurück fordern, weil der chronisch Kranke eine akute Phase seiner Krankheit durchlebt hat. Noch steht er im Telefonbuch, noch finden sich zahlende Patienten zur Behandlung ein. Czollek hat Widerspruch eingelegt gegen den Bescheid, mit dem ihm seine bescheidene Existenz genommen und er zum lebenslangen Almosenempfänger der Sozialhilfe gemacht werden soll. Die Dankbarkeit des Ex-DDR-Bürgers für die großzügige Starthilfe ist in Fassungslosigkeit umgeschlagen. Erst bekommt er Unterstützung, weil er krank ist, dann soll er zurückzahlen - weil er krank ist. Alles paletti, sagen die Ämtler auf diesem tristen Flur, wir befolgen nur unsere Vorschriften. Behindert oder gesund - die Bürokratie ist das größte Risiko. Dieter Heitmann, Hauptfürsorgestelle: Jeder der sich selbstständig macht, egal ob schwer-behindert oder nicht behindert, geht ein erhebliches Risiko ein, ein wirtschaftliches Risiko und muß für den Fall, daß seine Vorstellung zur Selbständigkeit sich nicht realisiert, mit erheblichen Schulden, die auf ihn zukommen, rechnen.
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Der Kranke, der glaubte, ihm werde geholfen, sitzt in der amtlichen Falle: Die Folge: Über 100.000 Mark Schulden bis ans Lebensende für einen, der dem Staat sparen helfen wollte. Michael Czollek, Heilpraktiker: Ich hätte mir noch vorstellen können, wenn ich nun sozusagen, so schwer gesundheitlich geschädigt wäre, daß ich nun überhaupt nicht mehr beruflich tätig sein kann, daß dann eine Rücknahme der Geräte erfolgt, und die dann durch die Hauptfürsorgestelle noch veräußert werden, das hätte ich als logisch empfunden. Es gibt ja keinen Grund, warum Gegenstände irgendwo rumstehen sollen, wenn sie nicht benutzt werden. Doch sie werden benutzt und sollen trotzdem weg. Die Logik des Wohlfahrtsstaates: wer nicht arbeitet, dem wird geholfen. Wer trotz schwerer Krankheit arbeiten will, wird amtlich ausgetrickst. Dieses Lesegerät soll auch verhökert werden. Das Sozialamt muß dann gleich ein neues kaufen, denn Czollek kann ohne technische Hilfe kein einziges Wort lesen. Mit seinem MS-bedingten Augenleiden wird er fertig - mit der Bürokratie nicht.
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