AKTUELL
Kienzle Polizeiknüppel gegen politische Phantasie. Die serbische Führung verlor in den letzten Tagen die Nerven. Sie ließ auf wieder mal Demonstranten einprügeln und bewies damit nur unendliche Ratlosigkeit. Seit 77 Tagen wird in Belgrad protestiert. Mit Witz, Ironie und Ausdauer. Und mit diesen Demonstrationen verschwindet das Zerrbild vom häßlichen Serben, das die Medien während des Balkankrieges kolportiert hatten. Plötzlich die Überraschung: kreative Unruhe, demonstrative Friedfertigkeit und jede Menge Zeit und Geduld bei der Konfrontation mit der Staatsmacht.
Allen voran sind es die Studenten, die das neue, andere Serbien verkörpern. Ihre Forderungen sind begrenzt, ihre Phantasie ist jedoch grenzenlos im Erfinden immer neuer Widerstandsformen. Sie legen Wert auf ihre Selbständigkeit, und sie wehren sich dagegen, die Jugendabteilung der Opposition zu sein. Sie haben keine utopischen Forderungen. Sie verlangen lediglich demokratische Spielregeln. Das jedoch kann explosive Wirkung haben im Serbien des Slobodan Milosevic.

Hintersetzer Ein Bericht von Josip Soldo


Belgrad, in der Nacht von Sonntag auf Montag. Serben-Diktator Milosevic gab das Kommando zu einer Knüppelorgie. In den letzten 2 Tagen wurden mindestens 100 Menschen teilweise schwer verletzt. Wasserwerfer-Einsatz bei Minus-Temperaturen.
Dennoch - die Studentenproteste gehen unvermindert weiter. Daß Belgrads Akademikernachwuchs mit Witz und Ironie weltbekannt wurde, ist Studenten wie Aleksandar Djukic zu verdanken. Er ist einer der kreativsten Köpfe der Studentenbewegung. Einer aus der Ideenschmiede. Mitglied des Führungsorgans der Studenten - des 13köpfigen Initiativrats, eine Art Protestkabinett. Hier, in diesem geordneten studentischen Chaos entstehen jene witzigen Ideen, jene Einfälle, die der Welt ein anderes, ein besseres Bild von Serbien gezeigt haben. Mit Trommelwirbeln protestieren sie gegen das staatliche Lügenfernsehen, sie wählen die Miß Protest vor der staunenden Staatsgewalt, sie organisieren ein Fußballturnier vor der Polizeisperre und verblüffen die Milosevic-Knüppelgarde mit Küßchen.

Aleksandar Djukic, Studentenführer
Wir haben eins kapiert: Diese Regierung kennt immer nur Gewalt als Lösung. Deshalb wollten wir genau das Gegenteil tun, um zu sehen, wie diese Herrschaft auf totalen Gewaltverzicht reagiert. Was werden sie tun gegen Komik, Lachen, und Witz. Sie waren völlig überrumpelt, konnten darauf kaum reagieren. Hier im Initiativrat filtern wir die Ideen, besprechen sie, überlegen, was spricht dafür, was spricht dagegen, wägen ab und treten in Aktion.

Immer in Aktion ist der studentische Sicherheitsdienst. Bei allen Witzen wissen die Studenten, daß sie auf einem Vulkan tanzen. Sie schützen sich gegen das Eindringen von Spitzeln und Provokateuren der Staatsmacht. In den einzelnen Fachbereichen kennen sich die Studenten untereinander, wissen wer dazugehört.
Hier, wo früher Vorlesungen gehört wurden, tagen sie nun täglich im freigewählten Studentenparlament, der wohl einzigen demokratischen Institution in Serbien. Tägliche Demonstrationen, täglich neue Ideen - wird man da nicht zu einer Art Protestmanager?

Aleksandar Djukic, Studentenführer
Manager? Nun, es gibt da so eine Idee. Wenn hier alles hoffentlich gut zu Ende gegangen ist, dann wollen wir eine witzige Anzeige aufgeben: Wir suchen ein undemokratisches Land, das demokratische Veränderungen braucht und dann würden wir unterzeichnen als die Protest-Manager der Belgrader Studentenbewegung. Aber, erst müssen wir hier erfolgreich sein.

Seit 77 Tagen nun schaffen es die Belgrader Studenten zehntausende Kommilitonen täglich auf die Straße zu bringen. Ohne persönliche Opfer geht das nicht, das weiß auch Irena Stankow. Sie lebt im Moment nur für den Studentenprotest. Ihren 21. Geburtstag hat die Kunststudentin genau hier vor der Polizeisperre gefeiert - mit tausenden Gästen, wie sie ironisch sagt.
Zum Schlafen kommt sie für einige knappe Stunden in die elterliche Wohnung. Die Eltern unterstützen sie - auch finanziell. Ihr Tagesablauf wird von den täglichen Demonstrationen bestimmt. An unbeschwerte Studentenzeiten kann sie sich nur noch dunkel erinnern.

Irena Stankov, Studentenabgeordnete
Ich habe mich als Person, als Irena, ein Stück weit aufgeben müssen. Wir halten zusammen, wir kämpfen zusammen für die richtige Sache, aber ich habe keine Zeit mehr mich mit Freunden zu treffen, abends auszugehen, ganz einfach Alltägliches zu tun wie früher. Es ist alles dem Protest untergeordnet. Das mag fanatisch klingen, aber so ist es halt.

Irena Stankov ist in der Plattenbau-Tristesse eines Belgrader Vororts aufgewachsen. Ihre Generation ist unter kommunistischer Doktrin erzogen worden. Erst jetzt lernt sie und ihre ganze Generation langsam, was Demokratie bedeutet. Sie sind die Träger eines neuen, eines demokratischen Bewußtseins in Serbien.

Irena Stankov, Studentenabgeordnete
Nicht nur wir Jungen, sondern alle Menschen hier waren doch unmündige Bürger. Nun sind wir alle gemeinsam dagegen aufgestanden. Unser Bewußtsein ist erwacht und die Angst vor Repression, die wir früher hatten, wurde hinweggewischt. Ich gehe mit anderen Menschen auf die Straße und zeige offen meine Meinung. Wir fürchten uns nicht mehr vor dem Staat. Es ist ein neues, bisher unbekanntes Freiheitsbewußtsein erwacht.

Die Ideenschmiede
Demo Den Studentenprotest unterstützen inzwischen die meisten Professoren und Dekane, die heimliche Sympathie einzelner Soldaten genießen sie auch. Ganz offen hat sich inzwischen das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche auf die Seite der Studenten geschlagen.

Patriarch Pavle, Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche
Die Kirche unterstützt die Studenten, weil ihre Ideale die Wahrheit und die Gerechtigkeit sind. Sie sind für die demokratische, freiheitliche Meinungsäußerung und für die Achtung der Menschenwürde. Und, sie waren meiner Meinung nach, von Anfang an nicht für irgendeine der Parteien, sondern die Studenten sind unparteiisch geblieben.

Völlig parteiisch dagegen das Staatsfernsehen - werden die Studenten überhaupt erwähnt, dann als Staatsfeinde, als die 5. Kolonne Amerikas und Deutschlands.

Aleksandar Djukic, Studentenführer
Wir sind weder Vaterlandsverräter noch CIA-Agenten. Wir wollen Demokratie und Gerechtigkeit. Wir werden von niemandem bezahlt, wir tun es aus Liebe zu unserem Land. Wir sind Patrioten.

Und während die stets gefährlichen Proteste weitergehen, versuchen ein paar Meter weiter manche aus der alten Generation sich ein Stück ihrer Normalität zu erhalten. Auch das ist Belgrad.

HG
ZURUECK
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