Bei virtuellen Zeichensätzen handelt es sich um ein
Interface zwischen der Codierung der Zeichen, wie sie TEX handhabt
und der Art und Weise, wie das Ausgabegerät dieses Zeichen
schließlich darstellt. Im einfachsten Fall handelt es sich also nur
um eine Zwischenstufe in der Zeichensatzbearbeitung, die bei Übersetzung
der .dvi-Datei die Umsetzung des Codes des aktuellen Zeichens in den
entsprecheden Code der .tfm-Datei vornimmt. In nicht so einfachen Fällen
können in der Beschreibung virtueller Zeichensätze auch rekursive
Aufrufe von Zeichensatzbeschreibungen, Linienkommandos oder sogar
\special
-Kommandos für den DVI-Treiber stehen. Eine Spezifikation
der Beschreibungssprache VPL kann man in den TEXhax 1990,
Issue 11–13 oder in der TUGboat v. 11, no. 1 vom April 1990,
Seite 13–23 finden. Die Programme zur Bearbeitung der VPL-Sprache
— VFTOVP und VPTOVF — gibt es ja schon seit einiger Zeit
mit jeder ordentlichen TEX-Implementierung.
Zur Motivation — nach dem Motto „Brauche ich das denn?``— stellen sie sich folgende Situation vor: Sie haben einen POSTSCRIPT-Drucker, dazu teuer gekaufte Zeichensätze wie Garamond oder Lucida und ein TEX-System mit einem Treiber, der keine virtuellen Zeichensätze versteht. Im günstigsten Fall hat dann jemand per Hand bzw. mit PLTOTF TFM-Dateien gestrickt und Sie können Ihren Text mit den kostbaren Zeichensätzen schreiben, solange Sie keine Zeichen wie „ß`` oder „Ä`` verwenden, die von TEX und POSTSCRIPT unterschiedlich codiert werden. Im Übrigen fehlt Ihnen eine Preview-Möglichkeit, sofern Sie nicht ein Display-POSTSCRIPT-System zur Verfügung haben. Jeder, der schon einmal mit TEX gearbeitet hat, weiß, wie unbefriedigend und papierfressend eine solche Arbeitsweise wäre ...
Das erste uns bekannte Treiberprogramm, das in diesem Zusammenhang Abhilfe schaffte, war DVIPS von Tomas Rokicki. Durch Verwendung virtueller Zeichensätze war jetzt immerhin die Verwendung von Sonderzeichen möglich. Zudem wird mit diesem Treiber ein Programm (AFM2TFM) mitgeliefert, das die Zeichensatzmetrikbeschreibung und die Zeichensatzcodierung der POSTSCRIPT-Zeichensätze in den .AFM-Dateien in einen virtuellen Zeichensatz und eine zugehörige .TFM-Datei übersetzt. Fehlt also nur noch ein Preview ...
Basierend auf der Arbeit von Rokicki und Knuth wurde für DVILW und DVI die Verwendung virtueller Zeichensätze implementiert. Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung Benutzerfreundlichkeit getan, denn jetzt braucht man nur noch entsprechende virtuelle Zeichensätze, die die Umsetzung der POSTSCRIPT-Zeichensätze auf die Computer Modern Zeichensätze erledigen, um mit Bildschirmpreview und Druckerausgabe mit POSTSCRIPT-Zeichensätzen zu arbeiten. Es wird übrigens noch ein Freiwilliger für die Anpassung von AFM2TFM gesucht!
Da uns momentan die Verwendung von POSTSCRIPT-Zeichensätzen als sinnvollste Anwendung virtueller Zeichensätze erscheint und Tomas Rokicki auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet hat, orientiert sich der Rest dieses Abschnittes eng an die Anleitung zu DVIPS und AFM2TFM bzw. ist sogar eine direkte Übersetzung. Warum das Rad neu erfinden?