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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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10KB
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259 lines
Das BASIC
~f;;hl
Vom Leben mit einemMikrOComputer
,tGive me new ncise, give me new affractions, strenge new toys from another world.'' (TuxedemoOn)
Beim ersten Mal war da nur ein Monitor und eine Tastatur, die aussah wie eine
flachgefahrene Schreibmaschine. "Und wo ist fier Cornputer?".
Der Computer, erfuhr ich, das sind ein paar winzige Chips in dem Tastaturgehäuse.
In meiner bisherigen Vorstellung waren Computer wandgroße Denkmöbel in klimati-
sierten Räumen gewesen Ich hatte gerade gelesen, daß Frauen, die an einem
Computer arbeiten, keine Nylonunterwäsche tragen durften. Die statische Elektrizität
brachte die Rechner durcheinander.
Das ist drei Jahre her.
Inzwischen duften die Frauen wieder Nylons
tragen, die Computer bringen die Manner
durcheinander, und ich bin das geworden,
was man einen Bitnik nennen könnte ein
Mensch, der mit Vergnügen durch den
Dschungel der Datenverarbeitung streift
Mein Freund mit der flachgefahrenen Schreib-
masch i ne, ei n &hriftstel lerkol lege, Öffnete
mir das Fenster i n die neue stofflose und sacht
flimmernde Welt der Computer-Software.
Zur Unterscheidung; Hardware ist das, was
runterfallen kann, also die Geräte. Software
ist das, was einem auf die Nerven fallen kann,
also das, was in einem Rechner und am
Bildschirm vor sich geht. Es gibt einen wei-
teren Begriff, den amerikanische Informa-
tionsingenieure geprägt haben: Wetware. Das
sind wir, die Menschen.
Ich sah, wie die kleine Maschine von einem
Cassettenrekorder Programme einlas und es
war, als sauge sie sich voll mit einer eigen --
tumlichen Kraft. Schnell und elegant hauchte
sie Lichterzeilen auf den Bildschirm
Für jemanden wie mich, der zwei Jahrzehnte
lang einen Fernseher nur ein- und ausschalten
konnte' war es ein gewaltiges Erlebnis, die
Ereignisse auf dem Bildschirm selbst beein-
flussen zu können. Ich hörte eine große Musik
in meinem Hinterkopf Datendämmerung.
Mein Freund ließ Programmzeilen über den
Bildschirm laufen. QQ=PEEK(PP):IFQQ=8
THENFU = 79:0NSQR{CQjGOT050025,3348,
HELL,50026 stand da. Pariez-vous BASIC? Ich
hatte das Gefühl. bald ein neuzeitlicher Anal-
phabet zu sein, wenn ich mich nicht daran-
machte, das zu lernen.
Hatte ich bei meinen ersten Besuchen noch
jedesmal mit meinem Freund und seiner Frau
im Wohnzimmer geplaudert, bevor wir uns an
den Computer setzten, so steuerte ich zuletzt
direkt von der Wohnungstür an das Bild-
schirmfenster. Die Frau meines Freundes
nahm ich nur noch als einen Arm wahr, der
belegte Brote und Kaffee neben den Monitor
stellte. Die Scheidung war vor zwei Jahren,
und vor eineinhalb Jahren hat mein Freund
sich einen schnelleren Computer gekauft.
im Ratgeber einer amerikanischen Psycholo-
gin, die den Computerwitwen Tips gibt, wie
der Mindestkontakt zu einem rechnerverlieb-
ten Gatten aufrechtzuerhalten ist, laßt sich
das Ausmaß der zwischenmenschlichen
Spannungen ahnen; die Hinweise lesen sich
wie zur Verständigung mit Zahnarztpatienten:
"Sprich ihn, während er am Terminal sitzt,
mögl ichst mit Entscheidungssätzen an, die
sich mit JA oder NEIN beantworten lassen.'
Ich besorgte mir das GENIE I, eine billige
Taiwankopie des Tandy Trash-80 meines
Freundes. Es war ein Gefühl wie Weihnachten
in der Kinderzeit. Hier hatte ich nun DIE GANZ
GROSSE Legeschachtel; einen Hirnlego-
Baukasten.
Zu den ersten Erfahrungen gehörte, daß ich
mit Hilfe des Geräts so viele Fehler in so
f _~
~ 40 ~
r_ ~
. ~
kurzer Zeit machen konnte wie nie zuvor. Es
war wundervollt
Die erste Kommunikation mit dem Computer
verläuft so: man macht eine Eingabe und der
Computer meldet sich mit SYNTAX ERROR.
Schon nach wenigen Tagen Übung geht auch
das Hervorbringen extravaganter Fehlermel-
dungen ("Bad Data" - "Extra Igrored" - ',Cur-
sor lost") glatt von der Hand. Das BASIC, in
dem die Eingaben formuliert werden, ist eine
Art kybernetisches Pidgin-Englisch mit einem
Wortschatz von etwa 50 Vokabeln.
Dem Computerlehrling ist es eine Tabulatur
magischer Worte, die seine Panasonic-
Kristallkugel immer neu aufleuchten lassen.
Sommer 1983. Ich ziehe um nach Hamburg,
lasse das GENIE wie die erste Mondfähre in
Düsseldorf zurück und besorge mir einen
Commodore C64, den Fiat Panda unter den
Mikrocomputern. Er ist häßlich wie ein platt-
getretenes Brot, aber ausgerüstet mit einem
Schwung verlockender Extras, bis hin zur
automatisch versenkbaren Umgebung: Ich
komme in die Fieberphase, die jeder Compu-
ternewcomer durchlebt.
Sie dauert mindestens so lange wie eine
infektionöse Gelbsucht und kann auch chro-
nisch werden. Mediziner beschäftigen sich
bereits mit speziellen rechnerbedingten Ge-
brechen, etwa der "Spielklaue", einer kramp-
fartigen Verformung der Hand infolge exzes-
siven Hebelas bei Videospielen, oder Schwin-
delanfällen, wenn nach stundenlangem Bild-
sch i rmbetrachten i n ei nem unvorsichtigen
Seitenblick die Umwelt wieder zu einem drei-
dimensionalen Raum auseinanderfährt.
Inmitten einer 24stündigen elektrisierenden
Atmosphäre lebe ich in einer Wohngemein-
schaft im Herzen von St. Paul-l: Draußen Lärm
und Lichter der Unterhaltungsmaschinerie,
drin das Synthesizer-fauchen und Flimmern
des Computers. Sven, der eine Mitbewohner,
ein freundlicher Punk, wird zu meinem Bluts-
bruder auf den Datensafaris der folgenden
Wochen. Kerstin, Soziologin und als ehemali-
5~ 25~8
65rJ~E
REASSURt~G
EVE
/
~ Ci~
N,~unte,~c~c ümormur', ~J' ~1~~
ge Inhaberin der Gaststätte "Schlaflose Näch-
te" wirklichkeitsgeprüft, hält die Stellung im
grauen Alltag.
Wir haben einen desolaten Schwarzweißtern-
seher als Monitor, dessen linker Bildrand
unaufhorlich wie eine Raupe abwärts kriecht
und dessen Lautsprecher jeden Tag länger
braucht, bis er zu rauschen anfängt. Nach
einer Weile spielt das keine Rolle mehr, da
die Maschine immer an bleibt und wir Tag
und Nacht i n Programmierstaffetten davor ver-
bri ngen.
In der einen Ecke des Zimmers qualmt ein
undichter Kohleofen, der den Computer mit
einer hellgelben Schicht Asche bedeckt. Wenn
in der Straße vor dem Haus eine Schießerei
stattfindet, öffnen wir das Fenster, drehen den
Lautsprecher bis zum Anschlag auf und betei-
ligen uns mit dem synthetischen Getöse von
"Attack of the Mutant Camels".
Herbst 1983. Man programmiert, Stunden um
Stunden, von einem wilden Pioniergeist be-
seelt als gelte es, eine Linie an den Rand des
Universums zu ziehen. "Die Datenverarbei-
tung", so Alan Key von der Apple Corporation,
"hat noch nicht ihren Galilei oder Newton,
ihren Bach, Beethoven, Shakespeare oder
Moliere gehabt". Die Augen brennen, und
man fühlt ein Nervensausen, das eine rnoder-
ne L)ngeduid markiert Wenn das Einlesen
eines Programms von der Diskettenstation in
den Rechner länger als zehn Sekunden
dauert, wird man fahrig.
Die Programme, in denen die ganze Leiden-
schaft kristallisiert, entsprechen dem, was ein
Mitarbeiter der Firma ATARI so ausgedrückt
hat: "Der Computer ist die Lösung. Was wir
jetzt brauchen ist das Problem."
Wenn Sven und ich uns hochmotiviert und im
Zuge eines postundigen Forors mit den Grund-
zügen der Winkelfunktion und den Eigenarten
der Programmierung hochauflösender Grafik
vertraut gemacht haben und eine erste Sinus-
kurve über den Bildschirm schleicht, herrscht
Sylvesterstimmung. Kerstin findet den Auf-
wand und die Kurve lächerlich und besteht
stattdessen darauf, daß einer von uns das
Geschirr abwäscht.
-
Was auch in Keys Liste mannlicher Genies
anklingt: Frauen sind die Dritte Welt des mi-
kroelektronischen Zeitalters. Sie sind immun
gegen Computerbegeisterung. Sie mögen die
Apparate nicht. In zehn Jahren wird es eine
neue Frauenbefreiungsbewegung geben müs-
sen, um den Anwendervorsprung und die
ADV-Bewequngsfreiheit der Männer auszu-
gleichen.
Abneigung gegen das "technische" Flair be-
gründet noch nicht die umfassende Mattigkeit
des Interesses, welches fast alle Frauen den
Rechnern entgegengähnen. Ich habe den Ein-
druck, daß es mehr mit der seltsamen Erotik
der Maschinen zu tun hat: Der sklavischen
Ergebenheit, mit der sie immer wieder das
tun, was man ihnen sagt (und nicht unbedingt
mit dem übereinstimmen muß, was der Pro-
grammierer meint), der Wiliigkeit, sich bis in
ab