Checkliste für die Projektplanung
HTML-basierte Projekte / WWW-Projekte
Projekt-Chekliste
Bis vor kurzem meinte man, wenn man von "Hypertext" sprach,
in der Regel einzelne, separate Hypertext-Anwendungen. Das sind mehr
oder weniger große Projekte, die mit bestimmten Hypertext-Programmen
editiert und präsentiert werden und auf lokalen Rechnern oder
LAN-Netzwerken laufen. Typische Projekte dieser Art sind Hyper-Lexika,
Dokumentarchive usw. Bekannte Hypertext-Programme für solche
Anwendungen sind Hypercard (Macintosh), Guide (MS-Windows) oder Augment
(Workstation-Umgebungen).
Im Zusammenhang mit dem World Wide Web dagegen kommt eine neue Dimension
hinzu: die weltweite Vernetzung. Das bedeutet jedoch nicht, daß
das WWW eine weltweite Hypertext-Anwendung ist. Vielmehr ist es eine
einheitliche, normierte Plattform für Hypertext-Projekte, mit der
Möglichkeit, projektübergreifende, weltweite Verweise zu
anderen Projekten zu setzen.
Die einzelnen Projekte im WWW sind oft abhängig von den Ideen
und Zielen der einzelnen Server-Betreiber. Natürlich gibt es auch
unstrukturierte Server, bei deren Inhalt kein Konzept erkennbar ist.
Doch auch solche Server enthalten lauter kleine "Zellen",
die Hypertext-Projekte darstellen. Denn zweifellos ist jedes Firmen-,
Vereins- oder Personenportrait, das aus einer Handvoll untereinander
vernetzter HTML-Dateien besteht, ein kleines Hypertext-Projekt.
Hypertext-Projekte im WWW sollten stets zwei Anforderungen genügen:
sie sollten zum einen in sich geschlossen sein, d.h. dem Anwender im
WWW-Browser als ein erkennbar geschlossenes Ganzes erscheinen; zum anderen
sollten sie aber auch der Tatsache Rechnung tragen, daß sie Teil
einer weltweiten Plattform sind, d.h. dem Anwender im WWW-Browser die
Möglichkeit bieten, zu anderen Projekten im WWW zu wechseln.
Ziel des Projekts
(Was soll erreicht werden? Eine Idee vorstellen, Unterhaltung bieten,
eine Firma vorstellen, Information vermitteln, bestimmte Produkte anbieten?)
Zielgruppe des Projekts
(Akademiker, Jedermann, Geschäftsleute, bestimmtes Fachpublikum?)
Daten-Ressourcen
(Vorhandenes Schriftgut, vorhandene elektronische Daten, Neuerstellung?)
Aufwand
(Terminvorgaben, Arbeitsstunden, Speicherbedarf, Pflegeaufwand?)
Gliederung und Strukturierung
(Verweisstruktur, Informationsverteilung auf HTML-Dateien?)
Corporate Identity
(Logo, Kopf-/Fußzeilen, Farben, Layout?)
Beispiele für mögliche Ziele eines Projekts:
- Wir als Firma stellen uns und unsere Produkte/Dienstleistungen vor
- Wir als Firma bieten eine Dienstleistung direkt über diese
WWW-Seiten an
- Ich als Einzelperson stelle meine Aktivitäten in meinem
Fachgebiet/Hobby vor
- Ich als Einzelperson veranstalte auf diesen WWW-Seiten ein
persönliches Happening
- Wir als Institution/Organisation/Verband/Verein stellen unsere
Ziele und Aktivitäten vor
- Wir als Institution/Organisation/Verband/Verein bieten Ihnen die
Möglichkeit, über diese WWW-Seiten an einer bestimmten Aktion
teilzunehmen
- Ich/Wir stelle(n) auf diesen WWW-Seiten einen großen
Datenbestand aus einem bestimmten Sachgebiet zur allgemeinen
Verfügung
- Ich/Wir sammeln auf diesen WWW-Seiten in loser Weise alles, was zu
einem bestimmten Sachgebiet gehört
Die voranstehende Liste mit Beispielen will zeigen, daß es erstens
sehr unterschiedliche Ziele eines Hypertext-Projekts im WWW geben kann,
und daß auch ein und derselbe Anbieter von WWW-Seiten
unterschiedliche Ziele verfolgen kann.
Wichtig ist, daß Sie sich in der Konzeptphase eines Hypertext-Projekts
für das WWW über das oder die Ziele des Projekts im klaren werden,
und daß Sie dem Anwender, der Ihre Seiten aufruft, gleich zu Beginn
(auf der Einstiegsseite) klar machen, welches Ihre Ziele sind. Das kann
explizit geschehen durch Sätze wie: "XY begrüßt Sie.
Auf diesen Seiten stellen wir uns und unsere innovative Technik vor
usw.", oder "Light your fire and feel free to loose
yourself into this hyperspace". Es kann aber auch durch die
Aufmachung der Startseite geschehen. So vermittelt eine neutral aufgebaute
Startseite (ohne Hintergrundbilder, animierte Grafiken, JavaScript usw.)
wissenschaftliche Seriosität; eine gestylte, aber überlegen
statische Seite suggeriert beim Anwender eine große, etablierte
Firma oder Institution oder ein Projekt von monumentalen
Außmaßen. Eine poppige, nach Aufmerksamkeit schreiende Seite
dagegen verrät eine kleine, werbende Firma oder ein freakiges, nicht
ganz so ernst zu nehmendes Projekt.
Genauso wichtig wie eine Zielsetzung ist es, die Zielgruppe zu bestimmen,
die durch das Projekt angesprochen werden soll. Mögliche
Zielgruppen sind z.B.:
- Potentielle Kunden/Käufer
- Hobbyisten/Liebhaberkreise
- Wissenschaftler/Experten
- Kinder und Jugendliche
- Familien
- Computerfreaks/Hacker
- Vergnügungssüchtige
- Neugierige
- Sinnsuchende
Natürlich können Sie versuchen, alle Besucher ihrer WWW-Seiten
zufriedenzustellen. Das wird allerdings ziemlich schwer, und es besteht
die Gefahr, daß Sie niemanden so richtig zufrieden stellen. Besser
ist es, sich vorzustellen, wie bestimmte Leute, die auf Ihre WWW-Seiten
stoßen, sofort ein Lesezeichen darauf setzen, weil sie gleich
erkennen, daß dies Seiten sind, die mit ihren eigenen Interessen,
ihrem Wissensdurst, ihrer Lebensart oder ihren Wünschen, Gedanken
und Hoffnungen zu tun haben.
Ebenso wie die Zielvorgabe Ihres Projekts sollte dem Anwender auch die
adressierte Zielgruppe klargemacht werden. Dazu eignen sich explizite
Sätze wie: "Allen Fahrradsüchtigen bieten wir auf diesen
Seiten technische Neuigkeiten und Tourenvorschläge". Aber auch
die Aufmachung der Startseite selektiert das Publikum. Dabei hängt
allerdings viel vom Zusammenspiel der Elemente ab. Ein dunkler
Sternenhimmel als Hintergrundbild spricht joystickverliebte Cybernauten
ebenso an wie entrückte Esoteriker. Erst die Vordergrundsymbolik
(z.B. grelle Strahlen aus Laserwaffen, die ein Monster treffen, oder
wehender weißer Schleier, der auf eine Pyramide zufliegt) sorgt
in solchen Fällen für intuitiv klare Verhältnisse.
Wenn Sie speziellere Information anbieten wollen, sollten Sie sich
auch die Frage stellen, ob es im WWW überhaupt ein Publikum für
dieses Angebot gibt. Prinzipiell ist im WWW zwar alles möglich, aber
wenn Sie möglichst viele Leute erreichen wollen und dabei blind auf
das Web setzen, könnten Sie möglicherweise eine
Enttäuschung erleben. Auch könnte es sein, daß es das,
was Sie anbieten wollen, längst schon gibt. Deshalb sollten Sie
sich vorher schlau machen. Überlegen Sie sich zu diesem Zweck ein
paar Stich- und Schlüsselworte, die Ihr Projekt charakterisieren.
Über das voranstehende Eingabefeld können Sie einen Datenbestand von zig Millionen Web-Seiten nach einem Stichwort durchsuchen. Es handelt sich um einen Aufruf der Datenbank des Suchdienstes Altavista.
Werten Sie die Suchergebnisse nach folgenden Kriterien aus:
- Gibt es gar nichts zu diesen Suchbegriffen? Das kann bedeuten,
daß die Welt auf genau das wartet, was Sie anbieten wollen. Es kann
aber auch bedeuten, daß das niemanden in der Welt interessiert.
In diesem Fall ist es angebracht, mit einer kleinen, nicht so aufwendigen
Projektversion zu beginnen und Feedback abzuwarten.
- Gibt es uferlos viel zu den Suchbegriffen? Das kann bedeuten, daß
Ihre Pläne voll im Trend liegen, aber auch, daß Sie hier nicht
mehr viel Neues werden bieten können. Folgen Sie den Verweisen der
Suchergebnisse und analysieren Sie sorgfältig, was es bereits gibt, und
was Sie Neues bieten können (z.B. "erstes Angebot dieser Art
in deutscher Sprache").
Nur wenn Sie sich mit der potentiellen Zielgruppe auseinandersetzen,
werden Sie Web-Surfer "gezielt" erreichen können.
Die folgende kurze Liste versteht sich als Gedankenanstoß zum
Thema "Datenquellen und Datenverarbeitung"
- Gibt es vorhandene Daten, z.B. Firmenprospekt, wissenschaftliche
Aufsätze, Dokumentarchive? (wenn nicht, wo soll die "Substanz"
dann eigentlich herkommen? Es gibt leider viele WWW-Projekte, die an so einem Mangel an Substanz kranken und das mit einem permanenten "under construction" kaschieren wollen)
- Liegen die Daten elektronisch in Dateiform vor? (wenn ja, in
welcher Form? Es ist herauszufinden, wie die Daten am besten in HTML
konvertiert werden können. Wenn nein, gibt es gedruckte Daten auf
Papier, die man einscannen kann? Wobei das Einscannen nur in Verbindung
mit einer Schriftenerkennungs-Software sinnvoll ist.)
- Sollen laufend eintreffende neue Daten, z.B. Nachrichten, verarbeitet
werden? (wenn ja, ist zu überlegen, ob man die Daten jedesmal per
Hand in HTML aufbereiten soll, oder ob die Entwicklung eines Programms
lohnt, daß den HTML-Code automatisch generiert)
- Sollen Daten fremder Anbieter integriert werden? (wenn ja, ist zu
überlegen, ob den Fremdanbietern ein einheitliches Layout vorgegeben
werden soll, das in Form von "Roh-HTML-Dateien" zu
erstellen wäre)
Der Aufwand eines WWW-Projekts verteilt sich auf folgende Bereiche:
- Konzept- und Planung
- Realisierung
- Pflege
In allen Fällen handelt es sich um Zeitaufwand, der nicht zu
unterschätzen ist. Wenn Sie aus Begeisterung oder als Hobbyist arbeiten,
werden Sie die Formel Zeit=Geld nicht so sehr empfinden, aber wenn Sie
kommerziell arbeiten, müssen Sie für alle drei genannten
Bereiche Kalkulationen anstellen. In allen Fällen jedoch, auch wenn
Sie nicht kommerziell arbeiten, sollten Sie eines tun: Termine setzen.
Denn ohne selbst gesetzte Termine wird ein Projekt nie fertig. Die Termine
sollten allerdings realistisch sein. Ein Termin, der nicht zu halten ist,
ist nicht mehr wert als kein Termin.
Wenn Sie Geld für das Projekt investieren müssen, sind folgende
Abwägungen wichtig:
- Selbst- oder Fremdarbeit: ist es günstiger, sich
selbst die Zeit (=Geld) zu nehmen, um sich in Konzept und Realisierung
(=HTML, Know How) einzuarbeiten, oder ist es besser, jemanden zu beauftragen
(= ebenfalls Geld), der sich damit auskennt und dies übernimmt? Wenn
es sich um einmal zu erstellende Daten handelt, ist die Fremdbeauftragung
wohl günstiger. Bei pflege-intensiven Projekten ist die
Selbsteinarbeitung vorzuziehen.
- Rentabilität: wie empfindlich treffen Sie die
anfallenden Kosten? Können Sie sich leisten, daß das Projekt
ein Flop wird? Für erfolgreiches Publizieren oder Werben im WWW gibt
es noch keine Maßstäbe. Wenn ein Flop Ihren Untergang bedeutet,
sollten Sie es vielleicht erst mal mit risikoloseren Investitionen
versuchen.
Im Web präsent sein heißt "in" sein. Aber belanglose
Werbung oder Allerweltsinformation bringen weder dem Web noch Ihrem
Geldbeutel etwas. Das Web braucht Juwelen, um eine Sensation zu bleiben.
Und Juwelen sind teuer. Eigentlich können nur Besessene so viel aufbringen.
Ein WWW-Projekt besteht aus wenigstens einigen, oft aus vielen, manchmal
aus unzähligen HTML-Dateien. Je mehr Dateien das Projekt enthält,
desto wichtiger wird eine schriftliche Fixierung der Datei- bzw.
Verweisstruktur. Aber auch bei kleinen Projekten, die nur aus wenigen
Dateien bestehen, sollten Sie sich vorher überlegen, was in welche
Datei gehört, und wie die Dateien vernetzt werden sollen.
Hypertext zwingt Sie nicht zu bestimmten Formen. Hypertext ist
ein nicht-lineares Medium. Der Anwender soll nicht der Reihe nach lesen,
sondern auswählen, was ihn interessiert. Das ist eine große
Freiheit, birgt jedoch zugleich die Gefahr des "lost in
hyperspace" - Gefühls.
Die meisten Anwender im WWW sind keine erfahrenen Hypertext-Piloten.
Bei Projekten, die aus mehr als einer Handvoll Seiten bestehen, sollten Sie deshalb versuchen, dem Anwender eine "Metapher" zu bieten, an die er sich halten kann. Mögliche Metaphern:
- Buchmetapher: das Projekt hat Dokumentcharakter, besitzt ein
Inhaltsverzeichnis und evtl. ein Stichwortverzeichnis, Dateien entsprechen
Kapiteln usw. Diese Metapher eignet sich besonders für
begrenzte Information zu bestimmten Themen, wobei die Daten selten
upgedatet werden.
- Verzeichnis- oder Baummetapher: das Projekt wirkt auf den Anwender wie ein Dateimanager. Es gibt Dateien mit Verweislisten, die durch ein Ordnersymbol gekennzeichnet werden, und Dateien mit Information, die durch Dokumentsymbole gekennzeichnet werden. Diese Metapher eignet sich besonders für große Datenbestände mit häufigen Neuzugängen, wobei jedoch der Informationsbereich, der abgedeckt wird, von vorneherein bekannt ist.
- die Indexmetapher: ein großes, alphabetisch oder nach anderen Kriterien (z.B. Datum, Zeit) sortiertes Verweisverzeichnis bildet den
Zugang zur Information. Diese Metapher eignet sich besonders für
Projekte, deren Informationsbereich nicht genau eingrenzbar ist, und
bei denen häufig neue Daten hinzukommen.
Sobald der Anwender Ihre beabsichtigte Metapher erkennt, kann er sich eine
"räumliche Vorstellung" Ihres Projekts machen. Das ist
eine ganz wichtige Sache, die Sympathie des Anwenders gegenüber dem
Projekt hängt tatsächlich zum großen Teil davon ab, ob er
diesen Aha-Effekt hat oder nicht.
Genauso wichtig wie ein Gliederungskonzept ist ein
Corporate-Identity-Konzept. Das bedeutet, daß alle Dateien, die zu
einem Projekt gehören, ein optisch einheitliches Bild bieten, damit
der Anwender intuitiv erkennt, daß er sich noch im gleichen Projekt
befindet. Corporate Identity stellen Sie her, indem Sie bestimmte
Gestaltungselemente bei jeder Datei des Projekts wiederverwenden. Das
können sein:
- Ein Logo. Es sollte an immer gleicher Stelle auf der Seite stehen, zum Beispiel immer links oben am Seitenanfang. Wenn Sie mit der Frame-Technik arbeiten, können Sie das Logo auch in einem fixen Bildschirmbereich plazieren.
- Grafische Symbole. Das sind kleine GIF- oder JPEG-Grafiken, die an
bestimmten Stellen stehen und eine für den Anwender sofort erkennbare
bzw. nachvollziehbare Bedeutung haben. Symbole können z.B. bedeuten:
"dies ist ein Beispiel", oder "dies ist eines unserer
Produkte" oder "dies ist ein Verweis, mit dem der Anwender das
Projekt verläßt".
- Textformate. Dazu gehört z.B., Beispiele immer in dicktengleicher
Schrift darzustellen.
Corporate Identity suggeriert Geschlossenheit. Besonders bei kommerziellen
Projekten, also bei Firmen, die sich vorstellen oder direkt etwas anbieten,
vermittelt Corporate Identity dem Anwender das Gefühl, es mit
erfahrenen Profis zu tun zu haben.
© 1997 Stefan Münz, s.muenz@euromail.com