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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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10KB
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193 lines
Schnöde
neue
Weit
Der Titelheld: Seine Existenz ist eine notwendige Bedingung, er heißt
Ben Hampleman (sprich Hämpelmähn). lebt in New York und findet
diesen idiotischen Namen überhaupt nicht witzig, obwohl er nun
schon gut vierzig Jahre Zeit gehabt hat, sich daran zu gewöhnen.
Eine nähere Charakterisierung soll hier nicht erfolgen, es sei nur
vorab verraten, daß er eine Schwäche für Karamell-Bonbons hat,
eine Tatsache, die man sich ruhig merken solte, zumal sie ohne die
geringste Bedeutung ist. Was bisher geschah: Nun, eigentlich nicht
besonders viel, wenn man von ein paar versehentlich gestarteten
Interkontinentalraketen, dem Zusammenbruch des Weltwirtschafts-
ystems der Ausrottung der Wale und ähnlichem Kleinkram absieht,
der ohnehin längst verjährt ist.
Wie jeden Morgen half es auch nichts, sich unter dem Kopfkissen die
Ohren zuzuhalten Einmal hatte es geholfen, doch seitdem hatte das
Terminal, das neben seinem Bett stand, einfach Die Lautstarke erhöht,
mit der nun die Anfangstakte von 'Im Frühtau zu Berge' durch Ben's
2 tf2 Zimmerwohnung dröhnten. Er haßte diese Melodie; als er vor
fünf Jahren hier eingezogen war, hatte er, seinem ki ndlichen Spieltrieb
folgend' auf die harmlose Frage des Appartementsrechners 'Wann
wünschen Sie geweckt zu werden?' mit 'Im Frühtau' geantwortet. Der
Appartementrechner hatte über Taus und Stadtteilknoten Verbindung
mit dem Rechner der Sozialversicherung aufgenommen, dort den
Hinweis auf die Deutschstämmigkeit einiger Mitglieder in Ben's
Ahnenreihe entdeckt und nach Hilfestellung der Datenbank 'Fremd-
ländisches Liedgut' des Antropologischen Instituts die bereits erwähn-
te musikalische Darbietung zustande gebracht, die sich seither Mor-
gen für Morgen um 5.30 Uhr wiederholte. Sämtliche Anträge auf
Löschung oder Änderung der Order waren mit dem Hinweis auf
[)atenschutzdestimmungen, die auch in jener Zeit dem Schutz der
Daten dienten, abgelehnt worden. Mit naturwissenschattlicher Metho-
de hatte Ben bereits alle gängigen Haushaltschemikalien wie Kaffee,
CompuCola oder Joghurt in sämtliche Öffnungen seines Schlafzim-
merterminals gegossen, aber außer einem größerem Posten 'Wartung
und Pflege' auf seiner Mietabrechnung hatten sich keine Ergebnisse
eingestellt. Eher aus Gewohnheit tippte er schlaftrunken 'Shit' in die
Konsole, es bereitete ihm doch immer wieder ein diebisches Vergnü-
gen, die solcherlei verdutzten Computer mit 'I don't know how to Shit'
oder 'command not known' antworten zu sehen. Diesen Morgen wurde
Ben um eine lllusion ärmer: der Bildschirm riet, freundlich grünlich
leuchtend: 'Du solltest morgens nicht schon so fluchen, Ben!'
Irgendwer in der Zentrale schien etwas gegen ihn zu haben. 'Die Welt
ist schiecht', murmelte Ben und schlurfte mißmutig ins Bad. Dort warf
er den Einwegpyjama in den Zentralpyrolator und ließ sich unter der
Dusche die seinem Status zustehenden 75 Liter 38 Grad Celsius
warmen Wassers über den Körper rinnen. Nur unwesentlich erfrischt
begab er sich unter den Warmlufttrockner. Die Trockner hatten vor
ca. 15 Jahren die aus hygienischen Grunden verbotenen Handtücher
abgelöst. Wie Ben aus Erzählungen seiner Urgroßmutter wußte, war
es seit Ende des 20. Jahrhunderts niemandem gelungen, Steuerungen
für diese Automaten zu entwickeln. Viele Leute hatten sich inzwischen
mit den versengten Haaren abgefunden, andere mußten während des
Trocknens ständig auf und ab hüpfen, um die UitraschallSensoren
zum Ansprechen zu bringen. Ben hatte neben der Dusche einen
hitzebeständigen Handschuh hängen, den seine Mutter aus der Zeit
gerettet hatte, in der die Mahlzeiten noch durch Wärmekonvektion in
Metallgefäßen zubereitet wurden. Die behandschufte Hand diente,
gegen den Siedendheißen Luftstrom immun, als Köder für die Senso-
ren, während sich der Rest des Körpers in klimatisch gemäßigteren
Zonen aufhalten konnte. Nach Beendigung des Waschprogramms
nahm Ben seine Arbeitskleidung aus dem Desinfektionsschrank und
begab sich wieder ins Schlafzimmer, wo sich das Bett inzwischen in
einen Tisch und einen Sessel verwandelt hatte. Ben hatte es schon
als kleiner Junge aufgegeben, sich darüber zu wundern, woher solche
Möbelstücke auftauchten und wohin sie wieder verschwanden. Er
nahm eins der SojaBrötchen, wählte die rosafarbene Brotaufstrichtube
mit der Aufschrift 'Thunfischpastete', die immer so gut nach Erdbeeren
schmeckte, und begann während des Frühstücks auf dem Terminal
seine Post durchzublättern. Er verweilte kurz bei einem Schreiben
des Megarotik Versandes, obwohl das Sonderangebot von Plexi-
glasBH's sicher nicht für ihn bestimmt war. Die Jungs vom Service
hatten ihm erklärt, daß solche Vorkommnisse, die von Laien nur
allzuleicht als Irrtum fehlinterpretiert würden, Paradebeispiele für den
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schier unglaublöichen Fortschritt der künstlichen Intelligenz seien. In
diesem Fall hatte der MDN (mail Distribution node) festgestellt,
daß
50.2% der an Ben gerichteten Schreiben ortbegrafische Fehler
im Namen aufwiesen und daraus den logisch einwandfreien
Schluß gezogen, daß alle Empfänger in New York, deren Namen
mit B beginnen und nicht den 10A 7 ortbegrafischen Regeln für
Personennamen gehorchen, mit Ben identisch seien. Ben verab-
schiedete sich mit 'teil 1A2567C8DU I love you' von seiner
Freundin Judy, die sich wahrscheinlich im Moment irgendwo an
der Ostküste aufhielt, und machte sich auf den Weg. Zunächst
kletterte er Über die rostige Feuerleiter, deren Alarmkontakt
schon vom vorherigen Mieter seiner Wohnung sabotiert worden
war, in das Stockwerk über ihm, denn dort wartete der eigens für
ihn terminierte Fahrstuhl, der ihn ohne Verzögerung in das
unterirdische Bürozentrum der 'Nevermore Insurance Co.' brach-
te. Am Eingang zu seinem Büro identifizierte er sich routinemäßig
als Benson Heidelberg. Diesen Namen trug er, soweit er sich
erinnern konnte, seit er beim Einstellungstest seine deutschen
Urahnen erwähnt hatte und setzte sich hinter seinen Schreibtisch,
der außer dem Namen wenig mit seinen historischen Vorbildern
gemein hatte. Ben war als Sachbearbeiter für 'Potentiell system-
bedingte bedingte Sachschäden' tätig, ein Job, der sicher nicht
zu den interessantesten zählte, denn solange Ben hier arbeitete,
war noch kein Fall vorgekommen, in dem ein Geschädigter
beweisen konnte, daß der Schaden wirklich durch das Computer-
system verursacht worden war. Daher hatte die Geschäftsleitung
auch schon vor geraumer Zeit beschlossen, Bens Arbeitsplatz
wegzurationalisieren, aber da es in der Personaldatei keinen
Beschäftigten seines Namens gab, hatte ihn seine Kündigung nie
erreicht. Ben rief die zur Bearbeitung anstehenden Fälle auf,
drückte jedesmal nach Erscheinen einer neuen Bildschirmseite
'Abgelehnt/Anschreiben D17' und hatte so nach einer halben
Stunde sein Tagespensum erledigt. Die Zeit bis zur Mittagspause
vertrieb er sich mit dem Konstruieren kleiner Raumschiffe auf
dem Grafiktablett, und als um 12.11 Uhr, begleitet von einer
kreissagenartigen Piezofanfare, der Satz 'Was wünschen Sie zu
trinken ?' auf dem Bildschirm erschien, tippte er 'OJC', für 'orange
juice', gefolgt von seiner 19stelligen Sozialversicherungsnummer
ein und fand in der dafür vorgesehenen Schreibtischschublade
nach einigen Minuten neben dem Standard-Vitamin-Konzentrat
den gewünschten Kaffee, der ebenso prompt vom Gehaltskonto
des Datenmechanikers Applevan abgebucht wurde. Aber das
wußte Ben nicht. Die zweite Hälfte seines Arbeitstages verbrachte
Ben damih die Nummern auszuprobieren, die Judy von diesem
Altertumsfritzen hatte, den sie vor kurzem auf einem Seminar in
Baltimore kennengelernt hatte Es handelte sich dabei, wie sie
sagte, um die IDs der Bibliothek des Geschichtswissenschaftli-
chen Instituts. In diesen Dateien hatte Ben schon die merkwur-
digsten Sachen über alte Götter und Mythen gefunden. Eine
Instruktionsserie handelte offenbar von einem Urzeitherrscher
namens 'Donkey Kong'. Ben verstand nicht viel von dem, was auf
der Mattscheibe vor sich ging, aber irgendwie fand er es lustig.
Nach dem solchermaßen ermodenden Arbeitstag kehrte Ben in
sein Appartement zurück, nahm ein Bad, weil sonst das Abend-
essen nicht ausgegeben wurde, und sah sich noch die Holovision
'Der Geist des Kryptographen' an. Mehr aus Gewohnheit teilte er
dann seinem Schlafzimmerterminal mit, daß er am nächsten Tag
um 16.30 Uhr geweckt zu werden wünsche, und legt sich ins Bett.
Vor dem Einschlafen zählte er im Geiste noch ein paar Dutzend
Lochkarten, und auf der Schwelle zum Tiefschlaf streifte eine
Vision den Rand seines Unterbewußtseins: Terminals in allen
Farben des Regenbogens stürzten zeitlugenartig in komischen
Pirouetten endlose Fahrstuhlschächte hinab, einander aus den
leeren Höhlen implädierter Bildröhren ratlose Blicke zuwerfend.
Ben lächelt.
Jürgen Scriba
SGHOENH1.WS 850731 0506