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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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8KB
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169 lines
Joseph Weizenbaum sagte einmal, daß die negative Utopie'
Computer könnten so denken wie Menschen, längst nicht so
erschreckend sei wie die Realität, in der Menschen so funktional
denken und handeln wie Computermaschinen. Gegen diese Bü-
rokratenherrschaft in 0st und West müssen wir etwas positives
setzen. Wenn mir während einer Diskussion vorgeworfen wird,
daß der von mir verwendete Begriff ''Menschlichkeit" zu schwam-
mig sei und genauer definiert werden sollte, dann habe ich mit
der künstlichen Intelligenz des IJniversitätslebens, der Verwis-
senschaftlichung des Menschen in der Tat mehr Schwierigkeiten
als mit toten Maschinen. Die erschreckenden Realität die Wei-
zenbaum meinte, hat Walter Volpert kurz und prägnant beschrie-
ben: Wir leben in einer Welt der In Zeit-Not-Gerafenen, eine graue
Weit ohne Muße' ohne schöpferisches Sied und vor allem ohne
mitmenschliche Wärme und - Liebe. Wir beI7andeln unseren
Körper wie eine Maschine, mit htness-Programmen und einer
Medizin nach Art der Wartung, Reparatur und fnstandsetzung von
Maschinenteilen. Wir verwechseln Vernunft mit rationalen
Problemiösungs-Prozeduren und freuen uns, daß wir alles Stack
für Sfack abhaken und einordnen können. Wir sperren unsere
Getütrle In dunkle Verliese und wundern uns, wenn sie als Monster
zurückkehren. Wir sehen die Mitmenschen als Lust-und Agres-
sionsobiekt an und ansonsten als Werkzeuge, mit denen wir
beliebig umgehen können. Das alles macht uns krank' teer und
einsam. Und weit wir es nicht wahrhaben wollen, platzen wir vor
Leistungs- und Konkurrenzsucht und hängen unsere Liebe und
unsere Achtung an chromglitzernde Autos und tiirRis flimmernde
Heimcomputer. Das sind Verhaltensformen von Menschen und
nicht von Computern. Mir bleibt nur die Überzeugung, daß sich
gesellschaftliche Bruchlinien und private Widersprüche niemals
mit technischen Mitteln oder einer reduktionistischen Philosophie
lautlos ausschalten oder bewältigen lassen. Manch tumber Linke
denkt wie die Mächtigen, wenn er - nur kritisch ─ davon
ausgeht, daß sich der Mensch wie eine Marionette durch Com-
putertechnik und Kabelanschlüsse letztendlich harmonisch-
harmios gängeln ließe. Diese Leute halten Menschen für willen-
lose Geschöpfe und machen ihn in unseren Köpfen zur Maschine.
Die negative Kritik ist auf dem besten Wege, menschliche Krea-
tivität totzuschlagen und selbst entscheidend dazu beizutragen,
daß sich ihre Prophezeiungen am Ende erfüllen könnten.
Orwell stecht nicht in den Computern, sondern in den Köpfen'.,J
Doch zurück zum Computer und möglichen Formen einer "gegen
den Strich gebürsteten" Anwendung. Zu Beginn hatte ich die
Videoszene als Beispiel alternativer Nutzung elektronischer Me-
dien genannt. Niemand käme heute auf den Gedanken, die
Videoszene im gleichem Atemzug mit den menschenverachten-
den Horror- und Pornovideos zu nennen, nur weil beide das
gleiche Medium benutzen. Die dahinter steckende Ideologie, die
den Menschen als Rohstoff verwendet, ist die gleiche, mit der wi r
es in der angewendeten Computertechnik überwiegend zu tun
haben. Wilhelm Steinmüller spricht in diesem Zusammenhang
von der Industrie der geistigen Arbeit.
Es gilt deshalb, in Theorie und Praxis
eine davon eindeutig aßgrenzbare An- ~ ,
Wendung zu entwickeln. Der Hambur-
ger HASPA-Hack mag ein kleiner
Schritt in die richtige Richtung sein.
Es ist, wie Walter Volpert schreibt, "ein
positiver Ansatz, daß gerade
Computer-Enthusiasten den Mythos
der unangreifbaren Maschine zerstö-
ren können - das bringt ihnen viele
Sympathien ein".
Allerdings ist nicht es ratsam, jeden
Monat publikumswirksam irgendwel-
che Datenbanken aufzupacken. Am
Ende bleibt nur, wenn überhaupt, ein
nach Sensationen lüsteroder Presse-
rummel, der schnell verebbt. Dies
kann nicht die einzige Perspektive
eines '7Robin-Data-Widerstandes"
sein. Doch wenn ein Teil der Hacker
die kompetentesten Kritiker der Daten-
sicherung und des [}atenschutzes
sind, warum sollen dann Hacker und
Computerfreaks nicht in einem ähnli-
chen Sinne die kompetentesten Kriti-
ker einer menschenverachtenden
Computertechnik sein? Warum sollten
nicht Anti-Kabel-lnitiativen und Com-
Puterfreaks zusammen eine fundierte
Kritik entwickeln und eine gegen den
Strich gebürstete Computeranwen-
dung erarbeiten, eine Computerkultur,
in der der Aufbau sozialer Netze den
absoluten Vorrang vor der technischen
Vernetzung erhält.
&~
Es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die sogenannte
"Szene" die Computertechnik nutzen wird. Das beste Beispiel
dafür ist die taz, deren Existenz ohne Textverarbeitungssystem
überhaupt nicht denkbar wäre. Und schließlich gibt es kaum eine
andere gesellschaftliche Gruppe, die so ''versessen" auf Infor-
mationen ist, deren Überwiegende Arbeit in der Anhäufung von
Wissen und dem Füllen von Archiven besteht. Dennoch wird
beispielsweise ein "Chaos Communication Congress" niemals
durch ein eng geknüpftes Netz von Mallboxes ersetzbar sein.
Technische Kommunikation Ist immer auch reduzierte Kommuni-
kation. Als kommunikationsförderndes Medium hat der Computer
in sehr wenigen Fällen einen wirklichen Nutzen und wird nie
mehr leisten können als das Telefon - im Gegenteil. Hier gilt
auch, die Diskrepanz zwischen Bedeutungszuweisung, die im
Interesse der Computerindustrie liegt, und den wirklichen Mög-
lichkeiten der Computertechnik zu überwinden. Es müßte auch
gefragt werden, ob mehr Technik zwangsläufig auch zu mehr und
zu welchen Informationsmöglichkeiten führt - und was aus dieser
Mehrinformation an praktischen Handeln resultieren kann.
Die Informationstheorie unterscheidet sinnigerweise zwischen
Daten und Informationen. Daten sind im Sinne der Inforrnations-
theorie quantitativ meßbare Größen - gemessen in bit öder byte.
Sie haben zunächst keinen Informationsgehalt. Dieser nicht meß-
bare Informationsgehalt entsteht erst dann, wenn den Daten eine
Subjektive Bedeutung beigemessen wird─wenn sie in letztlich
soziale Zusammenhänge gestellt werden. Ohne diese Zusammen-
hänge, ohne praktischen Zweck ohne Ziele und Inhalte wäre ein
alternatives Computernetz nichts weiter als ein "alternatives Btx".
All'diese Fragen können im Rahmen dieses Beitrages natürlich
nur angedeutet werden. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn
auf dem nächsten Chaos Communicatmn Congress" (Hamburg
28.-30. 12. 85) Arbeitsgruppen aus der Computerszene und die-
jenigen, die in verschiedenen Initiativen arbeiten und über An-
wendungsmöglichkeiten der Computertechnik nachdenken, sich
treffen - gegenseitig beraten, um Perspektiven zu entwickeln.
Es gilt, eine Computertheorie zu erarbeiten, die als Gegenposition
zur herrschenden Computermythologie gelten kann, die den
respektlosen Umgang mit der Technik d.h. auch mit der dahinter
stehenden Macht fördert und die Ehr/Furcht durchbricht. Aber -
Iheorie formuliert immer Erfahrungen─eine Theorie vor allem
Handeln zu setzen wäre denkbar ein Unding─hierzulande aber
sehr beliebt. Doch weil maschinenstürmende Romantik die Ent-
wicklungen ebensowenig zurückdreht wie sentimentaler Kultur-
pessimismus, wird es höchste Zeit, die kreativen Kräfte zu
vernetzen und gemeinsam gegen die verordnete Tendenz zu
experimentieren. Da wird man sich gegen Technikfetischismus
und Kulturpesslmismus gleichermaßen zur Wehr setzen müssen
─eine nicht leichte Aufgabe─aber wie sagte Erich Kästner so
weise: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
Alioscha Ischdons
VOLKMPH1.WS ~731 1~2
G1~
1 1 Endstation Bundeskriminalamt. Computerraum beim BKA in Wiesbaden mit Kartei-
liften und Datensichtstationen
In...