Schrot & Korn 2/97
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Sauerkraut -
Weißkohl von seiner besten Seite -
ideal für die Frühjahrskur
Der Genuß von milchsaurem Weißkohl hat in Deutschland
eine lange Tradition. Er ist auf vielen Speisekarten zu finden und gilt
bei Liebhabern der deftigen wie auch der feinen Küche als Delikatesse.
Sauerkraut schmeckt aber nicht nur gut, es ist auch als Heilnahrung von
besonderem Wert. Vor allem Magen- und Darmkranke können sich hiervon
überzeugen. Wie wäre es jetzt mit einer Sauerkraut-Frühjahrskur?
An der Legende vom "edlen Sauerkraut" als typisch "deutschem
Essen" hat schon der Dichter Ludwig Uhland fleißig mitgestrickt.
Wilhelm Buschs Witwe Bolte mochte es am liebsten aufgewärmt. Spätestens
nach dem zweiten Weltkrieg war das Klischee von den "german Krauts"
mit freundlicher Unterstützung des Schlagersängers Gus Backus
auch in den Köpfen anderer Nationen fest etabliert. So ganz unrecht
haben sie ja nicht, man ißt tatsächlich gerne Sauerkraut hierzulande,
immerhin zwei Kilo pro Kopf und Jahr. Daß wir bei Kartoffeln und Fleisch
viel hemmungsloser zulangen, wird allerdings übersehen. Auch die Geschichte
liefert wenig Hinweise auf einen urgermanischen Brauch. Im Gegenteil: Es
waren die Römer, die bereits vor 2 000 Jahren ihren ganzen Kohl in
hölzernen oder irdenen Töpfen in Salzlake konservierten. Die Slaven
und Orientalen, sogar die Menschen der Prähistorie haben das Säuern
als einfache Methode des Haltbarmachens ebenfalls gekannt.
Milchsäuregärung nur unter Ausschluß von Sauerstoff
Daß Sauerkraut aus Weißkohl gewonnen wird, weiß wohl jeder.
Wie das am besten geht, haben die mittelalterlichen Klosterküchen unseren
Ahnen gründlich vorexerziert. Heute wie damals werden die Kohlköpfe
von Hand geerntet, gesäubert und von den harten äußeren
Blättern befreit. Beim abschließenden Putzen und Herausschneiden
der Strünke rollen sie mittlerweile aber über das Band. In gleichmäßig
feine Streifen geschnitten (gehobelt) und mit Meersalz versetzt gibt man
den Weißkohl in große Bottiche, um die wichtigste Etappe der
Sauerkrautherstellung, die Milchsäuregärung, einzuleiten. Omas
Krautfaß ist voluminösen, oft gigantischen Behältern gewichen,
die Gärsilos der konventionellen Massenproduzenten fassen bis zu 120
Tonnen. Hier schuften Männer in hellen Gummistiefeln (nicht mehr barfuß!)
im Schweiße ihres Angesichts, verteilen und pressen das Kraut mit
einem Rüttelgerät und unter Einsatz ihres Körpergewichts.
Ist diese Arbeit getan, schließt eine schwere, mit Wasser gefüllte
Schwimmblase aus Plastik das Ganze luftdicht nach außen ab. Beschwerungssteine
oder -hölzer sind nur noch bei kleinen Haushalts-Gärtöpfen
zu finden und gehören ansonsten der Vergangenheit an.
Damit eine saubere Milchsäuregärung in Gang kommt, darf kein Sauerstoff
in den Krautbehälter gelangen. Der Druck sorgt zusammen mit dem Salz
dafür, daß die Flüssigkeit aus den Kohlzellen austritt und
die restliche Luft zwischen den eingelagerten Schnitzeln verdrängt.
Unter solchen anaeroben Bedingungen kann die natürliche Bakterienflora
des Weißkohls ohne Zusatz sonstiger "Beschleuniger" die
Kohlenhydrate (vor allem Fruchtzucker) zu Milch-, Essigsäure und Kohlendioxid
vergären. Das kurze Stadium der sauerstoffabhängigen Hefegärung
wird so schnell übersprungen und die fortan dominierende Milchsäuregärung
setzt bald ein. Durch das spezifische Gärungsmilieu wird der Gehalt
an erwünschten Bakterien gefördert und die Zahl der unerwünschten
Mikroorganismen reduziert. Bis die Milchsäure ihre konservierende Wirkung
entfalten kann, die gleichzeitig eine alkoholische Gärung verhindert,
schützt das Salz den Kohl vor dem frühen Verderb. Bei der Gärung
bilden sich durch enzymatischen Abbau auch diverse Geschmacks- und Aromastoffe,
nörgelnde Kostverächter sprechen hier bisweilen von Gestank.
Das Gros des Ware wird nach dem Abfüllen pasteurisiert
Je nach Jahreszeit und Gärtemperatur (am besten acht Grad) dauert die
Gärung zwischen sechs Tagen und drei Monaten. Theoretisch zumindest,
denn in der Praxis brechen die meisten Hersteller den Prozeß schon
nach sieben bis zehn Tagen ab. Dies hat den Vorteil, daß das Kraut
nicht zu sauer schmeckt, außerdem braucht man dann weniger Salz (im
Schnitt 1,5 bis 2,5 Prozent). Unsere Vorfahren mußten noch tiefer
ins Salzfaß greifen, weil sie lange Lagerungszeiten zu überbrücken
hatten. Heute wird das Gros der Ware nach der Kurzgärung in der Lake
blanchiert, in Dosen oder Gläser abgefüllt und nach dem Verschließen
auch noch pasteurisiert. Vorher jedoch prüft man im Labor den Reifegrad
und achtet auf einen Milchsäuregehalt von mindestens 50 Prozent. Normalerweise
gelangen keine weiteren Zutaten ins Endprodukt, doch gibt es verschiedentlich
Varianten mit Wein (ein Liter auf 50 Kilo Kraut) oder Ananasraspeln sowie
Rezepturen mit Kräutern und Gewürzen. In den Konserven der marktbeherrschenden
Großanbieter finden sich bisweilen auch überflüssige Beigaben
wie Zucker, Zuckeraustauschstoffe, Ascorbinsäure und die Konservierungsmittel
Ameisen-, Benzoe- oder Sorbinsäure.
Bio-Kraut aus Dithmarschen und dem schwäbischen Fildern
Mit solchen fragwürdigen Manipulationen hat die Naturkost-Branche nichts
im Sinn. Sie verwendet zudem nur kontrolliert biologischen Weißkohl,
den sie ohne synthetische Dünge- und Spritzmittel anbaut. Am Pasteurisieren
der Glas- oder Folienware führt aber auch hier kein Weg vorbei. Nur
frisches Sauerkraut hat jedoch den vollen Nährstoffgehalt, zum Beispiel
60 Prozent mehr Vitamine. Um solches ständig anbieten zu können
und gleichbleibende Qualität zu garantieren, schneidet Martin Evers
in Mariennachdorf während der Saison von September bis April jede Woche
neu ein. "Wir lagern nicht das Kraut, sondern nur den Kohl". Der
kommt aus dem traditionellen Anbaugebiet Dithmarschen in Holstein. Der Salzanteil,
so Evers, liege bei nur 0,8 Prozent, dadurch sei sein Sauerkraut besonders
mild. Evers vergleicht das Einlegen von Sauerkraut mit dem Brauen von Bieren.
Jeder Hersteller gebe seinem Produkt ein ganz eigenes Aroma, an dessen Entwicklung
die spezifischen Bakterienkulturen in den Räumen sowie die Einflüsse
von Kälte und Wärme teilhaben. Während Evers ausschließlich
Naturkostläden beliefert, produziert die Filderstädter Firma Schweizer
neben Bioland- und Demeter-Kraut auch konventionelles. Eine Spezialität
der Gegend um Stuttgart ist seit jeher Sauerkraut aus Spitzkohl, das sogenannte
"Filderkraut". Weil der länglich-spitze Weißkohl nicht
so rationell zu verarbeiten ist wie der runde, wird "Spitzkraut"
aber immer seltener angeboten.
Prima Heilnahrung nicht nur bei Leiden an Magen und Darm
Sauerkraut gilt nach übereinstimmender Meinung vieler Mediziner als
ausgesprochen bekömmlich und gesund. Der englische Weltumsegler James
Cook hatte damit bereits 1775 seine Schiffsmannschaft vor Darmfäule,
Skorbut und anderen Mangelkrankheiten bewahrt. Der berühmte Chirurg
Ferdinand Sauerbruch empfahl Sauerkraut nach Operationen zum schnellen Schließen
und Heilen von Narben und Pfarrer Sebastian Kneipp lobte es als Universalheilmittel
bei Blutarmut, Nervenschwäche, Magen-Darm-Geschwüren und selbst
bei Magenübersäuerung. Als weitere Indikationen werden oft genannt:
Arteriosklerose, Rheuma, Gicht, Leberschwäche, Verstopfung, chronisches
Asthma und Wurmleiden vor allem bei Kindern. Einen Großteil seiner
Vorzüge verdankt das Sauerkraut der rechtsdrehenden Milchsäure,
die potentiellen Krankheitserregern das Leben schwer macht. Milchsäurebakterien
beugen Fäulnis nicht nur in Sauerkrautprodukten vor, sondern auch im
menschlichen Darm. Das bei der Gärung entstehende Acetylcholin steigert
die Blutzirkulation und bringt zusammen mit verschiedenen Faserstoffen die
Darmperistaltik auf Trab. Alle milchsauren Erzeugnisse harmonisieren auf
wunderbare Weise das Magenmilieu, gleichgültig, ob es zuviel Säure
enthält oder zu wenig. Da die Kohlenhydrate bereits abgebaut sind,
kann Milchsäure die Bauchspeicheldrüse aktivieren und damit die
übrigen Verdauungsorgane entlasten, was für Diabetiker von hervorragender
Bedeutung ist. Sauerkraut ist reich an Vitamin C (15 bis 20 Milligramm pro
100 Gramm), das die Abwehrkraft des Körpers gegen Infektionen erhöht.
Beim Pasteurisieren wird es allerdings beschädigt. Nennenswerte Mengen
der Mineralstoffe Calcium, Kalium, Natrium, Phosphor und Eisen machen die
ernährungsphysiologischen Tugenden dieses kalorienarmen Lebensmittels
komplett.
Der Phantasie der Köche sind keine Grenzen gesetzt
Qualitativ gutes Sauerkraut ist hell, knackig, hat einen feinsäuerlichen
Geruch und einen angenehm würzigen Geschmack. Ist es unpasteurisiert,
gärt es als lebendige Speise auch im Kühlschrank nach und sollte
bald genossen werden. Für die Verwendung in der Küche sind der
Phantasie kaum Grenzen gesetzt. Ob roh und unvermischt für die Puristen,
in kalten Salaten, in Suppen, Aufläufen, als Füllung oder auch
zum Gratinieren - immer erhalten Sie ein ebenso leichtes wie herzhaftes
und wohlschmeckendes Gericht.
Der französische Naturarzt Maurice Mességué singt in
seinem zum Klassiker gewordenen Buch "Die Natur hat immer recht"
ein Loblied auf den "Armendoktor" und "König des Gemüsegartens",
den Weißkohl. Nach leidenschaftlicher Fürsprache erweist er am
Ende in knappen Worten auch dem Sauerkraut seine Referenz. "Man tut
also nur gut daran, den Kohl in all seinen Erscheinungsformen zu sich zu
nehmen, als Saft, Rohkost, gedünstet und sogar als Sauerkraut, unter
der Bedingung, daß man diesem äußerst gesunden Gemüse
nicht allzu viele fette Würste hinzufügt". Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Hans Krautstein
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