Schrot & Korn 2/97
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Zurück zu den Wurzeln -
Gemüse aus Großmutters Garten
In der kalten Jahreszeit trauern viele dem prallen Gemüseangebot
der Sommermonate nach. Dabei hat auch diese Zeit einiges zu bieten. Viele
schmackhafte und gesunde Gemüsearten sind heute allerdings in Vergessenheit
geraten. Es lohnt sich, sie wiederzuentdecken - und das nicht nur zur
Winterzeit. Machen Sie mit S&K einen kulinarischen Spaziergang durch
Großmutters Garten! Der ist spannend für alle, die sich lecker,
gesund und vollwertig ernähren möchten - und wer will das
nicht?
Im EU-Sortenkatalog sind rund 10.000 Gemüsesorten verzeichnet. Eine
riesige Auswahl, so scheint es. Nur wenige davon gelangen jedoch auf den
Wochenmarkt und von dort auf den heimischen Herd. Schuld daran sind die
Mechanismen des Marktes: Händler konzentrieren sich auf bestimmte Sorten,
die sie in gleichbleibend guter Qualität in großen Mengen zu
günstigen Preisen aufkaufen können. Landwirte wiederum bevorzugen
neue Züchtungen, die mit wenig Aufwand viel Ertrag abwerfen. So manche
wohlschmeckende Landsorte gerät da ins Hintertreffen, so manche alte
Gemüseart wird vergessen und landet als Probe in einer Genbank in der
Warteschleife.
Mangold und Rucola:
altes Gemüse neu im Trend
Initiativen wie die Arche Noah (siehe Kasten auf Seite 9) pflegen und sammeln
alte Sorten und helfen Gartenfreunden, an entsprechendes Saatgut zu kommen.
Gerade im Naturkostbereich hat das ein oder andere Gemüse wieder Anbauer
und Abnehmer gefunden. Zum Beispiel der Mangold (siehe Seite 10). In der
Biobranche ist er bereits so bedeutend wie der Spinat. Der konventionelle
Handel zieht allmählich nach. Die würzig, herbbitter schmeckende
Rauke (Rucola) liegt derzeit voll im Trend: Bei Liebhabern der Mittelmeerküche
steht die senfölhaltige Pflanze hoch im Kurs. Gartenmelde und Guter
Heinrich, ebenfalls alte Blattgemüse, wurden hingegen im Laufe dieses
Jahrhunderts fast völlig vom Spinat verdrängt. Gänzlich unbekannt
dürfte heute der Erdbeerspinat sein, dessen Blätter wie Spinat
zubereitet werden können. Seine kleinen roten Früchte, die ihm
den Namen verliehen haben, sind eßbar, haben aber sehr viele kleine
Kerne.
Rüben aus Teltow:
Goethes Leibgericht
Manche der alten Gemüsearten zählen zu den regionalen Spezialitäten,
wie beispielsweise das Stielmus im Rheinland. Egal wie es genannt wird,
ob Streifmus, Rübstiel oder Stengelmus, es verbirgt sich nichts anderes
dahinter als die gezackten, leicht säuerlich schmeckenden Blätter
der Speiserübe. Sie eignen sich für Salat, können aber auch
gekocht oder gedünstet werden. Die Teltower Rübchen wurden einst
nur in der Gegend von Berlin und der Mark Brandenburg angebaut. Goethe war
ein großer Freund der kleinen Rübenart. Die besten dieser bauchigen
Minirüben - sie werden nur sieben bis zehn Zentimeter groß
- sind im Herbst erntereif.
Andere Rüben, die heute selten auf dem Speiseplan stehen, sind Mai-
und Herbstrübe sowie die Steckrübe. Letztere - Endprodukt
einer Kreuzung von Herbstrübe und Kohlrabi - ist für ältere
Menschen noch immer mit der Erinnerung an die Kriegs- und Nachkriegszeit
verknüpft. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist sie aber
besonders wertvoll und sollte unbedingt mal wieder eine Chance bekommen,
geschmacklich zu überzeugen. Bevorzugen Sie beim Einkauf die kleineren
Exemplare!
Auch unter den Wurzelgemüsen ist vieles vergessen worden, was unsere
Vorfahren noch zu schätzen wußten. Bestes Beispiel: die Petersilienwurzel.
Die Blattpetersilie kennt jedes Kind, die wohlschmeckende Wurzel führt
hingegen wahrlich ein Schattendasein. Die alten Griechen - so bezeugte
es Homer - stärkten mit Petersilienwurzeln ihre Rösser für
die Anstrengungen der Schlacht. Kaiser Karl begeisterte sich für ihren
feinen Geschmack und ließ sie für den eigenen Verzehr anbauen.
Vielleicht tun Sie es ihm in Ihrem Küchengarten nach?
Nicht viel besser als der Petersilienwurzel erging es der Weißwurzel.
Das auch Haferwurz genannte Gemüse wurde ebenfalls schon in der Antike
kultiviert. Ihre Schwester, die Schwarzwurzel, hat sie in unseren Tagen
aber an den Rand gedrängt. Entdecken Sie sie neu, und lassen Sie es
sich schmecken!
Im folgenden stellen wir Ihnen vier alte Gemüsearten ausführlich
vor, die Sie im Naturkosthandel wieder häufiger antreffen und die für
Abwechslung auf Ihrem Speiseplan sorgen können.
Topinambur:
die knorrige Knolle mit den leuchtenden Blüten
Wenn von September bis in den Spätherbst hinein seine goldgelben Blüten
leuchten, kann Topinambur seine Verwandschaft mit der Sonnenblume nicht
mehr verleugnen. Gegessen werden von der anspruchslosen Pflanze die Knollen.
Die "Erdbirne" - wie die ursprünglich nordamerikanische Pflanze
auch genannt wird - wurde im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts bei uns
fast vollständig von der Kartoffel verdrängt. "Topi"
ist in Baden allerdings ein Begriff geblieben: als verdauungsfördernder
Schnaps.
Topinambur hat rote, weiße, gelbe oder violettfarbene Knollen, die
oft - ähnlich der Ingwerwurzel - bizarr geformt sind und faustgroß
werden können. Deftige Minusgrade können ihnen nichts anhaben.
So kommen sie im Winter noch erntefrisch auf den Tisch. Im Gegensatz zur
Kartoffel läßt sich die Erdbirne schlecht lagern: Durch ihre
dünne Schale verliert sie schnell an Wasser und wird schrumplig. Abhilfe
schafft etwas Sand oder Erde, in die die Knollen eingeschlagen werden. Darin
kann man sie zumindest für einige Zeit an einem kühlen Ort aufbewahren.
Topinambur unterstützt Leber, Galle und Nieren und soll bei aufziehenden
Erkältungen helfen. Bei winterlichem Schmuddelwetter also genau das
Richtige! Neben vielen Mineralstoffen und Vitaminen enthält Topinambur
bis zu 16 Prozent Inulin, eine stärkeähnliche Substanz. Im Körper
wird das Kohlenhydrat zu Fruchtzucker umgewandelt und kurbelt die Produktion
des Hormons Insulin an - ideal für Diabetiker. Interessant für
all diejenigen, die ein wenig Winterspeck loswerden möchten: Inulin
wirkt auch appetithemmend.
Verzichten Sie bei der Zubereitung auf das Schälen; die Pelle kann
problemlos mitverwendet werden und schützt die wertvollen Inhaltsstoffe.
Ihr süßlich-nußartiges Aroma entfalten die Knollen roh
geraspelt in Salaten; ein Schuß Zitronensaft oder kaltgepreßtes
Pflanzenöl verzögert die braune Verfärbung. Gedünstet,
geschmort oder geröstet erinnern sie im Geschmack an Artischocken.
Beim Kochen laugen sie schnell aus und verlieren an Aroma. Einige Menschen
reagieren auf den Genuß von Topinambur mit Blähungen. Geben Sie
Kümmel oder Fenchel hinzu, das mindert solche Probleme.
Pastinaken:
in den USA eine Delikatesse
Sie sieht ein bißchen aus wie Rettich: die Pastinake. Etwas abfällig
wird das in England und den USA als Delikatesse begehrte Gemüse auch
Hammelmöhre genannt. In Deutschland fristete die winterharte, cremefarbene
Wurzel lange Zeit ein kümmerliches Dasein. Hier und da war sie mal
als Bestandteil von Suppengrün zu erstehen. Mittlerweile ist die Pastinake
(auch der Pastinak) in der Naturkostbranche und bei Feinschmeckern wieder
auf dem Vormarsch. Die wohlschmeckendsten Wurzeln kommen zwischen Oktober
und Dezember auf den Markt; einige behaupten, daß Pastinaken am besten
nach dem ersten Frost schmecken. An einem trockenen, kühlen und dunklen
Ort gelagert, bleiben sie bis ins Frühjahr frisch.
Ihre ätherischen Ölen verleihen der Pastinake einen würzigen
Geschmack. Sie regen die Verdauung an und wirkt wassertreibend. Im Mittelalter
schätzten Kundige die Heiltees aus den Samen der Pastinake. Sie wurden
vor allem bei Nieren- und Blasenleiden, aber auch bei Magenbeschwerden und
Schlafstörungen verabreicht. Die Wurzel ist mineralstoff-, eiweiß-
und stärkereich und enthält viele Vitamine, vor allem die der
B-Gruppe, Vitamin C und Provitamin A. Hautempfindliche Menschen sollten
vorsichtig probieren, ob sie auf das alte Gemüse mit Ausschlag reagieren.
Die Pastinake kann sowohl roh geknabbert als auch gekocht, gedünstet
oder püriert gegessen werden. Auch junge Blätter lassen sich,
zum Beispiel in Salaten oder Suppen, verwenden. Mit reifen Samenkörnern
können Sie ähnlich wie Kümmel würzen. Bevorzugen Sie
kleinere, harte Wurzeln; allzu große Exemplare können leicht
holzig werden.
Portulak:
gesund für Herz und Arterien
Ursprünglich kommt das kleine Blattgemüse mit dem eigenwillig
nussig-salzig-säuerlichen Geschmack aus Afrika und Kleinasien. Bei
uns geriet Portulak, auch Bürzelkraut genannt und unter seinem niederländischem
Namen Postelein bekannt, nach dem Mittelalter in Vergessenheit - trotz seiner
blutreinigenden und heilenden Wirkung bei Nierenleiden. Wer Portulak genießt,
versorgt sich besonders gut mit Kalium, Eisen, Magnesium und Provitamin
A. Für eine Pflanze ungewöhnlich hoch ist der Anteil an Omega-3-Fettsäuren,
ungesättigten Fettsäuren. Das macht Portulak für Wissenschaftler
interessant, die Mittel zur Vorbeugung von Arteriosklerose und Herzinfarkt
erforschen.
Portulak wächst sehr rasch und wird hauptsächlich im Juli und
August geerntet. Winterportulak mit seinen schüsselförmigen Blättern,
auch unter den Namen Tellerkraut, Winterpostelein und Kuba-Spinat bekannt,
gibt es meist in den Wintermonaten bis etwa Ende Februar. Bei der Zubereitung
müssen Sie sparsam mit Salz umgehen - Portulak bringt genügend
Eigengeschmack mit. Verwenden Sie ihn roh im Salat und Quark oder zum Beispiel
kurz geschmort.
Mangold:
nicht nur als Alternative zu Spinat
Unter den Gemüsen spielt Mangold in Deutschland zwar noch keine bedeutende
Rolle. Aber er zählt immerhin zu denjenigen alten Arten, die in den
letzten Jahren - vom Frühjahr bis in den Herbst hinein - wieder häufiger
an den Marktständen zu finden sind. In der Naturkostbranche ist Mangold
schon seit einigen Jahren genauso gefragt wie Spinat, dem er im Geschmack
ähnelt.
Mangold ist eng verwandt mit Rote Bete und Zuckerrübe, gegessen werden
aber lediglich die Blätter mit ihren Stielen. Der Schnitt- oder Blattmangold
ist sehr zart und bildet kaum Rippen aus. Er eignet sich daher auch roh
für den Salat. Der Stiel- oder Rippenmangold, auch Römischer Kohl
genannt, hat große, dunkelgrüne Blätter mit ausgeprägten
Stielen, die grün oder weiß sein können. Die dekorativen
roten Sorten - wie "Feurio" und "Vulkan" - haben dünne,
lange Rippen.
Mangold ist sehr reich an Mineralstoffen und Vitaminen, besonders gut versorgt
er den Körper mit Calcium, Beta-Carotin und Vitamin C. Er regt Leber
und Niere an und wird daher besonders bei Darmträgheit, aber auch bei
Lungenentzündung, Bronchitis und Hautkrankheiten empfohlen. Doch nicht
anders als Spinat auch speichert Mangold sehr gut Nitrat. Greifen Sie deshalb
zu Gemüse aus ökologischem Anbau, und halten Sie Mangold nie lange
warm. Ein Schuß Zitronensaft verhindert, daß sich die gefährlichen
Nitrosamine bilden können - aber nicht zu früh hinzugeben, da
sonst die Blätter unansehnlich grau werden.
Zwei Tage lang können Sie den Mangold nach dem Kauf im Gemüsefach
- am besten in ein feuchtes Tuch gewickelt - lagern. Spätestens dann
sollten Sie ihn aber zubereiten. Achten Sie darauf, daß Blatt und
Rippe unterschiedlich lange Garzeiten haben: Zuerst müssen die Stiele
in den Topf. Oder Sie bereiten die Rippen wie Spargel zu - auch das eine
leckere Variante. Sollte etwas übrigbleiben, lassen Sie den gekochten
Mangold zum Aufbewahren rasch abkühlen.
Zum Nachlesen
Diese Rezepte und viele weitere leckere Ideen finden Sie bei:
- Martina Kiel & Karola Wiedemann: Kürbis, Mangold & Co.
Neue Rezepte für alte Gemüse. München: Gräfe und Unzer
Verlag 1996 (96 Seiten, 19,80 DM).
Daraus haben wir Ihnen die Pastinakencreme und das Topinamburgratin vorgestellt.
- Gabriele Redden: Vergessene Gemüse. Traditionelle Gemüsearten
für Genießer neu entdeckt. München: Mosaik Verlag 1996 (176
Seiten, 59,90 DM).
Die Rezepte aus dem sehr informativ und ansprechend aufgemachten Band müssen
für die Vollwertküche teilweise etwas abgewandelt werden. Wir
haben Ihnen daraus die Portulak-Gnocchi vorgestellt.
- Irmela Erckenbrecht: Querbeet. Vegetarisch kochen rund ums Gartenjahr.
Darmstadt: pala-verlag 1996 (144 Seiten, 19,80 DM).
Hobbygärtner finden Tips für den Gemüseanbau - darunter auch
viele der im Artikel vorgestellten Arten - in:
- Gerda Dzialas: Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten. Darmstadt:
pala-verlag 1994 (158 Seiten, 19,80 DM).
- Siegfried Stein: Gemüse. München, Wien, Zürich: BLV
1995, 2. Auflage (100 Seiten, 16,90 DM).
- Georg Vogel: Handbuch des speziellen Gemüsebaues. Stuttgart:
Eugen Ulmer Verlag 1996 (1.128 Seiten, 360 DM) - ein Buch für alle
diejenigen, die tiefer einsteigen wollen und hohe fachliche Qualität
zu schätzen wissen.
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